Ausgabe 9 - 2005 berliner stadtzeitung
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Durch schwere Mischpulte stolperte ...

Jens Friebes zweites Album In Hypnose (Frequently Asked Questions 2020)

Welche Menschen interessierten sich 2005 für Jens Friebes Album In Hypnose?

Das waren viele, verschiedenen Alters. Aber mehr wohl aus der Jugendfraktion, für die es als sophisticated produzierte, cool abgehangene Konsens-Scheibe galt. Weil von allem ein bißchen drin war: Neue deutsche Leichtigkeit, anspruchsverachtende Elektronik-Tanzparameter, die einfach lospoltern wollten, sehr fein verzweigte Geräuschschichtungen- und einlagerungen, ein Hauch von Soul, welcher in der etwas gekünstelten Ausdruckspalette des Sängers tatsächlich ungewöhnlich guten Schlagercharakter annahm.

Was unterschied diese doch sehr eingängig anzuhörende Platte von anderen Popproduktionen der Zeit?

Sie hatte ständig Überraschendes zu bieten. Ganz plötzlich ein Song, der die Oberfläche vollends verließ ­ was der nächste sofort zurücknahm bzw. einfach wieder vergaß. Bei der damaligen von vielen Menschen ihm gegenüber empfundenen Haßliebe geriet dieses Werk aber nie zudringlich, übermotiviert, verfahren oder gar nationalistisch. Jens Friebe wurde ja u.a. von der FAZ („Das sind deutsche Momente") des National-Pops mitverdächtigt. Die Musik nahm sich aber nichts Besonderes heraus ­ blies sich nie auf. Sie gab aber auch nichts for free weg. Nein, das Album war glücklicherweise lange nicht so einfach, wie es vorgab zu sein.

Waren Friebes Ausdrucksmittel nicht eher begrenzt? Hör dir doch seine erste Platte einmal an.

Schon, aber er hatte sich guten Rat geholt. Diese ganze Mediatisierung wurde auch nie verschwiegen. Guten Leuten war dieser junge Mensch, ohne Tuning aber mit okayem Feeling, in die Arme gerannt. Das wollte auch erstmal gefühlt sein. Und wenn da unterschrieben wurde mit „produziert von Tobias Levin", dann sollte das offenbar nicht dort stehen, um zu beeindrucken, sondern um zu sagen, daß dieses Werk von einem musikalisch sehr dominanten Produzenten mitgestaltet wurde. Das Vorgänger-Album Vorher Nachher Bilder hatte wirklich eine etwas andere Aura ­ ähnlich vielleicht dem schwachen Schlußstück von In Hypnose. Es wirkte sehr viel angestrengter und immer aufgesetzt-zupackend, ohne diesen musikalischen Halt. Obwohl Friebe schon deutlich mehr Lustfaktor als andere deutsche Interpreten zu dieser Zeit versprühte, war sein Gesang ohne die betörenden Arrangements sehr schwer zu ertragen.

Geht das nicht alles auf bestimmte Einflüsse zurück, ganz ähnlich anderen deutschen Bands?

Tocotronic oder Kante, ja. Die spintisierten zu dieser Zeit ja auch gerade diese manieristischen Sound-Flächen. Friebe stolperte aber viel soulmännisch-naiver durch ihm fremde schwere Mischpulte. Textlich ähnelte er durchaus den frühen Tocotronic, wie sie z.B. 1997 ­ im Stile einer The Band/Bob Dylan-Karikatur ­ „sie wollen ganz bestimmt/daß wir glücklich sind/und unsere Leidenschaft/ist ihnen rätselhaft" sangen. Jens Friebe hatte dieses Herumstochern in negativer Dialektik übernommen, wenn er sang: „Sie wollten uns zerstören/Und wer weiß, vielleicht/Haben sie es ja geschafft/ Hättet ihr das gedacht?"

Lief J.F. damit nicht irgendwie einer sehr fortgeschrittenen Entwicklung hinterher?

Nein, er war ja deutlich jünger. Und als junger Musiker mußt du nicht unbedingt sofort Nick Drake sein oder Bob Dylan. Er sang zum Beispiel davon, ob man nicht eine Chance auch mal als Gefahr begreifen müsse. Er wußte also zumindest, daß er noch nicht viel wußte, und war so gesehen recht weise. Vorsichtig mit Größenwahn, bog er nicht in die „Sack-Straße" des national-gefühlten „Sieg-der-Andeutungsführerschaft"-Pop ein; er machte aber jenen Protagonisten ihren Pop-Appeal sehr wohl streitig, indem er trotzig Selbstverliebtheit, Jungsein, Jungesein und Naivsein feiern wollte: „Ihr müßt mich feiern, wie ich fall." Das war die offene Flanke, in Agitprop den Glamour zu mischen und sich zwischen Blumfeldern links und Kraftwerken rechts hindurchzumanövrieren.

Gab es bei den genannten Gruppen Parallelen zu Friebe, was die Fähigkeit angeht, Konsensfähigkeit herzustellen, ohne nennenswert an eigenem Stil einzubüßen?

Zumindest was die Strategie dahin anging. Sicherlich wußten jene Bands mit den Marktgesetzmäßigkeiten, mit ihren musikalischen Bezügen ähnlich spielerisch umzugehen wie Friebes Berater, und dies hieß auch immer: riskant und kompromißlos. Wenn man mutig war, konnte man natürlich ­ und gerade auch ­ in linken Konzertsälen die Pathos-Stelle „wir herrschen und wir küssen" singen, aus einem Liebeslied, welches Friebe zu Recht nicht einfach per anti-nationalem Rotstift hätte durchgestrichen werden dürfen, da das Großspurige stringent dem vorangestellt wurde, was folgte: „wie es mit allem geht, das liebt?/Man umarmt sich/Auf dem Weg nach unten." Seine ­ für 2005 ­ herausfordende Naivität, seine spröde Mittelstands-Laszivität, gepaart mit dieser unglaublich geschickten Produktion, lassen Friebes Platte gleichsam wider die Norm gedrechselt, wie auch sehr zeittypisch einfach klingen. Hörst du die Platte soundforschend ab, so findest du aber hundert mehr oder weniger versteckte Zitat-Brocken sauber eingearbeitet.

Was wußten Friebes Produzenten von Popgeschichte?

Ich denke ziemlich viel. Die Kunst war aber, dieses Wissen so einzusetzen, daß hinterher ein homogener, sehr einfacher Oberflächeneindruck entstehen konnte. So konntest du bei „Lawinenhund" einen Friebe hören, der in einem an „I wanna be your dog" angelehntem, mit London-Calling-Beat versetztem Hundestück ­ zuzüglich eines Sex-Pistols-Gitarrenriffs ­ „ich suche Leben" lechzt. In einem anderen nahm er z.B. die Gesangsfährte von Robert Forster (wenn dieser Neil Diamond covert) auf. Er durfte locker bleiben, während unterschwellig die Songs geschickt zu hermetischen Sound-Bezugssystemen entwickelt wurden. Anders als bei den zwischen den Worten „eingebauten" Songzitaten von Kante oder dem vielverweisenden Text-Patchwork bei Blumfeld ­ immer aber sich auf diese Traditionen/Stile beziehend. Einfache Themen wie zum Beispiel Ethik beim Essen/Einkaufen ließen sich mit dieser Methode enorm transzendieren. Kunstvoll, wie „Abend voller Glück" es schaffte, im Intro noch Brian Wilson zu zitieren und zum heulend-stampfenden Ende hin Brian Eno zu huldigen, ohne daß dies irgendwie zusammengeschnipselt gewirkt hätte.

Jörg Gruneberg

* „In Hypnose" von Jens Friebe erschien im Herbst 2005 bei ZickZack/ EMI

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