Ausgabe 9 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

scheinschlag 26/96

Würde, Idylle, Segregation

Wie ein „Planwerk" versucht, die Metropole zu bändigen

Anhand des „Planwerks Innenstadt" dürfen die Berliner schon mal einen Blick auf jene Zukunft werfen, die da „Hauptstadt" heißt. Damit ist weniger die Vision einer engen und vermutlich arg versteinerten Altstadt gemeint, als vielmehr die mediale Inszenierung, mit der die Pläne der Öffentlichkeit präsentiert und anempfohlen werden. Darin wimmelt es von Begriffen und Wendungen, die noch unlängst auf dem Index bundesrepublikanischer Political Correctness standen.

Für Dieter Hoffmann-Axthelm, Co-Autor des Plans für die City-Ost, ist der Regierungsumzug „repräsentativ für das Ankommen der achtzig Millionen Bundesbürger"; diese endlosen Bürgerscharen (bzw. deren gewählte Vertreter) „gehen in das historische Zentrum und finden dort keine Mitte". Das ginge ja nun nicht, denn, wie einst die Nationaldenkmäler, soll heute diese „Mitte" als „Beziehungsobjekt für die gesamte Bundesrepublik" herhalten. Senator Strieder geht noch einen Schritt weiter. Er will nicht nur national, sondern auch international mit dem Berliner Zentrum Eindruck schinden, und dafür sollen nicht etwa heitere Zeitgenossen, sondern „die Geschichte und ihre gewachsenen Potentiale" sorgen. Für den Zeit-Redakteur Klaus Hartung kann „Berlin keine zivile Form gewinnen, wenn es sich stadträumlich im verschlissenen Unterzeug seiner Teilungsgeschichte darstellt. Für die Hauptstadt reicht es nicht aus, der Bundesrepublik den Kurfürstendamm, die Kneipen in Charlottenburg und die entleerten Demonstrationsräume der DDR-Staatsmacht anzubieten". Er sucht vor allem nach „Würde", denn er ahnt, was der Spiegel schon weiß: „Bis zur Jahrhundertwende entsteht in Berlin das Machtzentrum des stärksten europäischen Staates." Nationale Identifikation, internationale Bedeutsamkeit, Darstellung von Macht. Sind das die Leitvokabeln des zukünftigen Berlin?

Foto: Kevin Foy in scheinschlag 11/97

In merkwürdigem Gegensatz zu solch markigen Sprüchen steht die Planung selbst. Sie versucht, das Machtzentrum ins Betuliche zu wenden. Deren ideologisches Hauptmotiv „Primat der Mitte" verkündet die Abkehr von der Polyzentralität der Stadt. Dieser plötzliche Sinneswandel ist tatsächlich einschneidend. Er verweigert sich der Einsicht, daß gerade das Auseinanderdriften der zwei Citybereiche eine Folge der radikalen Modernisierung Berlins im ersten Drittel unseres Jahrhunderts war. Der Westen für die Bessergestellten, der Osten für die Proleten. Dazwischen, „historisch", die Kanzleistadt der Beamten. In dieser unsentimentalen Ausdifferenzierung fand die geschmähte und bewunderte Metropole im Stadtbild ihren Niederschlag. Dazu kommt die generationenlang eingeübte Fähigkeit, verschiedenste Einwohnerschaften trotz aller sozialen, kulturellen oder mentalen Differenzen zu einer leidlich funktionierenden Stadtgesellschaft zusammenzuführen. Allein dank dieser Konflikttauglichkeit ­ und nicht wegen seiner schieren Ausdehnung ­ ist Berlin der einzige Ort Deutschlands, der das Prädikat „Großstadt" wirklich verdient.

Es heißt, Berlin sei viele Städte. Aber erst diese vielen Städte machen das neuzeitliche, das disparate, aufregende und kreative Berlin wirklich. Wenn nun erneut nach der einen „Mitte" als identifikationsstiftendem „Ort für Alle" gerufen wird, steckt darin die Absage an die Stadt der gelebten und öffentlich ausgetragenen Widersprüche. Genau hier unterliegt die Ideologie des „Planwerks" einem fundamentalen Irrtum. Urbanität ist keine Frage von Stadtbildern, sondern eine Kategorie sozialen Verhaltens. Die „Zivilität" von Stadtbürgern mißt sich weder am gepflegten Auftreten noch am luxuriösen Konsum; sie zeigt sich in der Lust an politischem Handeln. So gesehen stellt z.B. die Streitkultur, mit der die Kritik am „Planwerk" derzeit als „Rechthaberei der Basis" (Klaus Hartung) oder als ostalgische Besitzstandswahrung diffamiert wird, dem „öffentlichem Raum" Berlins das denkbar schlechteste Zeugnis aus.

Was dagegen von den City-Planern unentwegt als neue „Stadtbürgerschaft" beschworen wird, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Traum von der Idylle: Mit Szenarien von Flaneuren und Häuslebauern versucht die Provinz, das Metropolitane an Berlin zu bändigen. Gehört nicht die Angst vor der Unberechenbarkeit zu den Hauptmotiven der Umzugsgegner? So meldete sich denn auch prompt Bonner Applaus zu dem Vorschlag, die künftige Hauptstadt „nach historischem Maß" neu zu ordnen, sprich: irgendwie übersichtlicher zu machen.

Auch in Sachen Demokratieverständnis setzt das „Planwerk" für eine künftige „Berliner Republik" eher alarmierende Zeichen. In keinem Fall der jüngeren deutschen Planungsgeschichte ist die von den Veränderungen unmittelbar betroffene Bevölkerung dermaßen verächtlich behandelt und mit Verleumdungen überschüttet worden. Während der Spiegel die Kritiker des Planwerks als „kiezverliebt" bezeichnet, spricht Dieter Hoffmann-Axthelm den existierenden Wohnvierteln an der Karl-Marx-Allee oder auf der Fischerinsel jede Milieufähigkeit ab. Senator Strieder kann sich, unter Verweis auf die lauschigen Seitenstraßen Charlottenburgs, das Aufkommen von Lebensfreude in einem Wohnumfeld vom Zuschnitt der Leipziger Straße schlicht nicht vorstellen. Kein Argument ist verwegen genug, um den Einsprüchen der Mitte-Bewohner gegen die Planung von vornherein alle Legitimität zu entziehen.

Auf den Kern der Sache kommt Hoffmann-Axthelm, wenn er im Spiegel behauptet: „Die Leute fürchten den Zuzug von außen." Das ist wohl wahr, denn die Ostberliner haben mit den Mechanismen der Segregation schon ihre Erfahrungen gemacht. Aber ausgerechnet der namhafte Stadtentwicklungsexperte will die Verdrängungsgefahr, wie sie mit der „Verdichtung durch bessere Adressen" zwangsläufig angelegt ist, nicht erkennen? Stattdessen deuten die Verteidiger des Plans die berechtigte Furcht der Bewohner vor Verdrängung infamerweise in Fremdenfeindlichkeit um.

Im „Planwerk City-Ost" steckt, bei allem Reden über „stadträumliche Spurensuche", ganz wesentlich eine soziale Strategie. Es geht nicht um Schutz der vorhandenen, sehr wohl ausdifferenzierten und weiter im Umbruch befindlichen Milieus, sondern um dessen Austausch durch jene vielbeschworenen „neuen Stadtbürger", die nach Karl Schlögel angeblich in allen Städten Osteuropas jetzt wieder das Ruder übernehmen. „Die Zonis wollen nicht so richtig schlendern", hat die taz schon in der Friedrichstraße festgestellt, und auch sonst scheinen sie die Anforderungen an ein reputierliches Hauptstadtpublikum nur schwer zu erfüllen. Gibt nicht gar ihr Wahlverhalten gelegentlich Anlaß, an ihrer Verfassungstreue zu zweifeln? Und so will ein ironischer Zirkelschluß der Geschichte, daß die früher als besonders staatsnah Gescholtenen jetzt den Gewinnlern der neuen Ordnung weichen sollen. Die „Mitte" den Tüchtigen und den Braven. So bieder wurde hierzulande schon immer Hauptstadt gedacht.

Wolfgang Kil

(aus stadt.plan.mitte. Gemeinsame Beilage von scheinschlag und taz zur Diskussion über das Berliner „Planwerk Innenstadt")

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