Ausgabe 9 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

scheinschlag 20/95

Bürger, können Sie sich ausweisen?

Dieser vertrackte Ausweis. Blau, mehrseitig, bestempelt – eindeutig DDR-Relikt. Seit Wochen mahnen mich diverse Zeitungen, ich müsse ihn umtauschen gegen ein Plastikkärtchen, und zwar jetzt, sofort, spätestens bis Jahresende; sonst würde es dauern – und Geld kosten. Es ist verrückt: Etwas in mir scheint sich zu sträuben, weigert sich, die „Pflicht" zu verinnerlichen. Die diversen Zeitungen bestätigen mir, daß ich nicht die einzige bin: Soundsoviel Prozent haben noch nicht umgetauscht, mahnen sie. Die Schlangen auf den Meldestellen werden immer länger – ein Gutteil der Ex-DDR-Bevölkerung zögert den Umtausch offensichtlich bis zum letztmöglichen Termin hinaus.

Kontrastprogramm zur Währungsunion ­ jener Tausch konnte den meisten nicht schnell genug gehen. Und jetzt, fünf Jahre nach der deutschen „Vereinigung"? Hat sich auch nur einer sofort mitten in der Nacht angestellt, um das einst gut verhaßte Reiseverhinderungs-Dokument loszuwerden? Drei Stunden hätte er angestanden, erzählt einer der „Nachzügler", und das Merkwürdigste sei gewesen, daß ausnahmslos jeder in dieser Schlange von Nachzüglern und Zögerern seinen alten DDR-Personalausweis zurückhaben wollte. Und wenn auch nur mit dem Vermerk „Ungültig". Gleichzeitig boomt das Buch Der Schein fürs Sein, das innen und außen genauso aussieht wie ein Personalausweis, aber vom Karikaturisten Heinz Jankofsky etwas „aktualisiert" wurde: „Bürger der Deutschen Demolierten Republik: Dieses Dokument ist ihr schönster Personalausweis."

Foto: Christoph Eckelt in scheinschlag 21/98

DDR-Nostalgie? So einfach ist es nicht. Weil mein Ausweis, auf dem Hammer, Sichel und Ährenkranz eine Harmonie vorgaukeln, die dieses Land nie erlebt hat ­ und auch die vielbeschworene Euphorie der Fünfziger entpuppt sich im Nachhinein als ein fragwürdiges (Wunsch)Bild, das nur ein Teil der DDR-Realitäten war ­ weil eben dieser Ausweis nicht nur der Reiseverhinderer war. (Abgesehen von der staatenübergreifend-dämlichen Idee, daß sich Menschen über Papierchen zu legitimieren haben.) Dieser Ausweis ist nicht nur das Ding, das ich auf die sächsisch-entnervende Aufforderung „Zeichen Se mol Ihren DeeBeeOoa (Zeigen Sie mal Ihren DPA = Deutscher Personal-Ausweis) vorzuzeigen hatte. (Die schönste Begegnung: Fünfzehnjährig, nach einem Kinobesuch, Samstagabend am Alex, Ausweiskontrolle an der ohnehin verdächtigen „Tute". Ein forschender Blick des Vopos in das Fahndungsbuch, hernach auf die Postleitzahl (Wohnbezirk Friedrichsfelde) und die verblüffende Frage: „Und was machen Sie hier in Mitte?")

Man erinnert sich auch an die Witze, die kursierten, die politische Trostlosigkeit bespöttelnd. „Bürger, können Sie sich ausweisen?" ­ „Wieso, kann man das jetzt schon selber?" Dieses komische Ding erinnert einfach daran, daß es für jeden auch ein Leben vor der deutschen Vereinigung gab, ob das nun fünf, zwanzig oder vierzig Jahre waren. In einem Land, in dem ich nicht mehr lebe, obwohl ich den Wohnort nicht gewechselt habe. Das ich so auch nicht mehr haben wollte. Dessen „Ersatz" ich aber genauso zweifelhaft finde. Und mit diesem Zweifel scheine ich nicht die einzige zu sein.

Seit mehreren Ausgaben gründelt der Spiegel fasziniert im Osten, um herauszukriegen, warum (nach fünf Jahren deutscher Einheit, wo doch eigentlich solche Themen vom Tisch und alles zusammengenagelt, wenn schon nicht -gewachsen sein sollte) das Ossi ein solches Verhalten an den Tag legt. Aber nach den letzten fünf Jahren, in denen der Osten teils frei-, teils unfreiwillig viel mehr Umtausch und Austausch erlebt hat als nur den der Währung oder Regierung, ist man der Tauscherei ein wenig müde. Hinzu kommt die ernüchternde Erfahrung, daß „drüben" auch nur mit Wasser gekocht wird ­ und manchmal auch mit einer verdammt abgestandenen Brühe. Das hat durchaus auch eine positive Wirkung: ein neues Nachdenken darüber, wie man lebt.

Mag sein, daß die Geschichte mit den Ausweisen letztendlich auch nur dummer Symbolismus ist. Aber vielleicht ist manchem gerade der Ausweis der liebste, der nicht zur eigenen Legitimation notwendig ist.

Ulrike Steglich

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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