Ausgabe 9 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Im Zustand kompletter Verwirrung

Possenspiele der BVG, Folge 2005

Es ermüdet. Irgendwann erscheint es einem beinahe sinnlos, auf die groben Verfehlungen eines Unternehmens hinzuweisen, das immer und immer alles falsch macht, was man falsch machen kann. Es interessiert einen eigentlich auch nicht mehr. Man macht nur noch ein paar müde Witze über die neuesten Streiche dieses Karnevalsvereins.

Man konnte die BVG ab einem bestimmten Zeitpunkt ja auch gar nicht mehr ernst nehmen. Spätestens seit der Abschaffung des Zwei-Stunden-Fahrscheins für 2,20 Euro zugunsten des Ein-Weg-Tickets für 2 Euro glaubte man angesichts der Presseverlautbarungen der BVG, das Unternehmen beabsichtige, das Fach zu wechseln ­ vom noch immer halbwegs seriösen Personenbeförderungsbetrieb zum durchgeknallten Komödiantenstadl. Damals behaupteten die Possenreißer von der BVG doch tatsächlich, man werde jetzt ganz gewiß neue Kunden gewinnen, weil das um 20 Cent billigere Zwei-Euro-Ticket diejenigen zum Bahn- oder Busfahren animiere, die nur mal eben in eine Richtung fahren wollen. Ja, genau: die, die mal eben von Zuhause zum Arbeitsamt oder zum Zahnarzt fahren ­ und dort bleiben wollen. Stundenlang, tagelang. Oder die, die von einem seltsam verdrehten Sparsamkeitswahn befallen sind und sich nur deswegen irgendwohin kutschieren lassen, weil das jetzt 20 Cent weniger kostet.

Nicht weniger schwachsinnig das unglaubliche, über das U-Bahn-Fernsehen „Berliner Fenster" verbreitete BVG-Werbefilmchen „Traumberuf Kontrolleur": Da fabuliert das Unternehmen davon, daß nur „die Besten der Besten" befähigt seien, als Fahrscheinkontrolleure für die BVG tätig zu werden. Man möchte einfach nur auflachen ob dieses veritablen Humbugs, andererseits ist dieser Spot eine zynische Verhöhnung der Leute, die einem jämmerlichen und gerade deshalb außerordentlich erbarmungswürdigen Kopfgeldjäger-Job nachgehen: Die Traumberufler müssen Quote bringen (also eine entsprechende Anzahl von Schwarzfahrern erwischen), dafür Beleidigungen und tätliche Angriffe der erbosten Fahrgäste in Kauf nehmen. Die Verachtung der Kundschaft sowieso.

Es hat den Anschein, als arbeiteten in der BVG-Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit nur Leute, die sich im Zustand kompletter Verwirrung befinden, oder aber daß man dort davon ausgeht, alle außerhalb ihres Büros seien vollständig irre. Als gäbe es zwei Parallelwelten: wir hier drinnen, ihr da draußen.

Über diese Kapriolen verliert man fast aus dem Blick, welch desaströse Entwicklung das Unternehmen genommen hat. Zur Verdeutlichung ein paar Zahlen: Die BVG erhält jedes Jahr rund 400 Millionen Euro Subventionen vom Land Berlin, das Defizit, das der Fuhrbetrieb in der gleichen Zeit produziert, beträgt 300 Millionen Euro. Der Schuldenberg droht mittlerweile die Milliardengrenze zu erreichen. Ein Posten unter vielen, die zum allgemeinen Finanzdesaster beitragen, ist übrigens das großartige „Berliner Fenster". Selbst die BVG-Sprecherin Petra Reetz bezeichnete kürzlich das U-Bahn-Fernsehen als „eines der schlechtesten Geschäfte, das die BVG jemals abgeschlossen hat": Das „Berliner Fenster" machte von 2000 bis 2004 jährlich etwa vier Millionen Euro Miese; jetzt wurde es für einen Euro verkauft, ohne daß die BVG von ihren Verbindlichkeiten gegenüber dem Eigentümer der Technik entbunden wäre. Eigentlich ein Grund, von weiteren „technischen Spielchen" ­ wie das die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen Claudia Hämmerling nennt ­ abzusehen. Nicht so die BVG: Jetzt plant man die Einführung des elektronischen Tickets, bei der wieder mal die Fahrgäste das Risiko tragen und „wenn's schief geht, mit weiteren Angebotskürzungen und Fahrpreiserhöhungen bestraft" werden, so Hämmerling.

Gleichzeitig war man sich nicht zu schade, kurz vor der letzten Preiserhöhung im August die teure Image-Werbekampagne „Formel M" zu starten. Und beabsichtigt, „um die Wirtschaftlichkeit zu steigern" ­ was auch immer das bei der BVG heißt ­ die Fahrscheine mit Autoreklame zu bedrucken. Mit Autoreklame! Und natürlich möchten die Unternehmens„sanierer" das sowieso schon überteuerte Sozialticket (s. scheinschlag 2/05) abschaffen, weil das, wie ein Gutachter ermittelte, der BVG acht Millionen Euro weniger Einnahmen bringt. Aufgrund welcher Ermittlungen dieser sogenannte Gutachter das festgestellt haben will, ist völlig schleierhaft. Ein ALG II-Empfänger wird nach dem Wegfall des Sozialtickets eben nicht das Doppelte zahlen, sondern weit eher auf die Bahnfahrt verzichten. Und es ist zu befürchten, daß im nächsten Jahr wieder mal eine Fahrpreiserhöhung ansteht. Trotz anderslautender Vereinbarungen mit dem Senat.

Man könnte endlos so weitermachen. Aber es ermüdet. Niemand braucht ein Unternehmen, dessen Management offensichtlich nicht imstande ist zu begreifen, daß eine Abschaffung des Sozialtickets mitnichten zu Mehreinnahmen führt. Ein Unternehmen, das Image-Werbekampagnen mit Fahrpreiserhöhungen finanziert. Ein Unternehmen, das seinem Chef „marktübliche" 250.000 Euro zahlt, trotz eines wohl durchaus marktunüblich zu nennenden Geschäftsgebahrens. Ein Unternehmen, das unsinnige Behindertenaufzüge errichtet wie am U-Bahnhof Rosenthaler Platz – der Lift bringt einen gerade mal zur ersten Ebene. Zur zweiten Ebene, wo die Bahn abfährt, muß der Rollstuhlfahrer wie gewohnt die Treppen runterhoppeln. Usw. Um es ganz drastisch und linkspolitisch unkorrekt zu sagen: Es steht zu hoffen, daß dieser Laden 2008, wenn sich die BVG dem von der EU verfügten „Wettbewerb um Nahverkehrsdienstleistungen" stellen muß, untergeht.

Roland Abbiate

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 9 - 2005 © scheinschlag 2005