Ausgabe 9 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

scheinschlag 6/01

„Det is keen Leben"

Pfitzners Ledermoden verlassen den Prenzlauer Berg

Plötzlich waren überall diese Schilder und Zettel, am Angelgeschäft in der Stargarder, am Haushaltsgeräteladen in der Prenzlauer und Raumer-/ Ecke Dunckerstraße an der Jalousie, wo gerade ein Laden zugemacht hatte: „Dieter Pfitzner Ledermoden & Service". Die Schilder standen zu niedrig, in Hundepißhöhe; die Anbringung der Zettel war dagegen sogar für einen Zwei-Meter-Mann viel zu hoch.

Im Prenzlauer Berg, wo es Menschen gibt, die immer irgendetwas bemalen, abreißen oder umwerfen müssen, blieben auch Pfitzners Schilder nicht verschont. So wurden aus den Werbungen, die jedem, der zwei Lederjacken kauft, eine dritte als Geschenk versprachen, bald drohende Worte: „Leute mit Zerstörungswut müssen ins Lager."

Jetzt steht die Botschaft auf dem Schild, damit es möglichst viele Menschen aus der Gegend um den Helmholtzplatz erfahren: Dieter Pfitzner schließt den Laden in der Göhrener Straße. Im Schaufenster hängen Zitate und Prophezeihungen. Das französische Fernsehen war auch schon da. Dieter Pfitzner fühlt sich betrogen, aus dem Kiez gedrängt: „Nach 100 Jahren Familienbetrieb ist jetzt Schluß. Dieses SPD-System hat uns geschafft."

Begonnen hatte alles vor gut 100 Jahren. 1899 eröffnete Pfitzners Großvater, ein Schneider aus dem Altvatergebirge, ein Atelier in der Danziger Straße. In den Zeiten nach dem ersten Weltkrieg, als Maßbekleidung nicht mehr so gut ging, stieg Pfitzners Vater auf Konfektion um: Arbeitsdienstbekleidung.

1955 zog der Laden in die Göhrener Straße. 25 Frauen waren dort beschäftigt, Pfitzner wurde Werkstattleiter: „Wir hatten einen Zwischenmeisterbetrieb; das war noch ein Relikt aus der Epoche, als Bekleidung in Berlin groß geworden war. Wir waren Zulieferer für die Sowjetunion, im Rahmen der Reparationen. Wir haben Hosen gemacht, und die großen Firmen wie Fortschritt haben die Jacken dazu gemacht." Später waren es Hosen für die Exquisit-Läden.

1961 begann Dieter Pfitzner mit Ledersachen. Sein Freund, ein bekannter Schauspieler, machte Reklame für ihn. So wuchs der Kundenkreis: Konrad Wolf und Rolf Herricht ließen sich von Pfitzner in Leder kleiden. „Mein bester Kunde war Angelica Domröse. Die legte ihren FDJ-Schauspielpreis in einem Lederkostüm an, das kostete ca. 2000 Mark. Mit diesem Kostüm spielte sie im Film, und das machte dann bei der DEFA die Runde: In Berlin gibt es einen, der macht Lederkleidung."

Das Geschäft florierte. Trotz der Mangelwirtschaft war Familie Pfitzner gut versorgt. „Meine Frau konnte in Diplomatenshops einkaufen: knappe Artikel wie Spargel, Erdbeeren und Tomaten für Ostgeld, und Zigaretten, Whisky und Kognak für D-Mark. Wir hatten Beziehungen zu Leuten aus der ganzen Welt: Rasenmäher, Farbfernseher ­ alles wurde frei Haus geliefert. An einer abgeschirmten Stelle wanderten die Sachen aus dem Kofferraum der Besucher in meinen Kofferraum und von meinem Auto dann in meine Wohnung. Es war mit Schlepperei verbunden, aber ich hatte alles. Ich hatte auch Geld geerbt, von einer Tante aus Westberlin, davon hab ich meinem Sohn ein Motorrad gekauft, so 'ne Yamaha."

1977 sollte Dieter Pfitzner den Betrieb vom Vater übernehmen. Doch der Wirtschaftsrat „Jenosse Jordan" klärte auf: „Wir wollen aufgrund unserer politischen Linie aus einem Arbeitnehmer keinen Unternehmer machen." Um doch zu seinem Geschäft zu kommen, legalisierte Pfitzner die Ledernäherei. Jetzt sagt er: „Damals hatte ich mehr Westgeld in der Tasche als heute." Und sein Vater hatte es prognostiziert: „Haltet das Geld zusammen! Es wird die Zeit kommen, da wird es alles geben, bloß keiner hat das Geld dafür."

„Die Zeit" kam, und für Pfitzner begann „die Pionierzeit". Er investierte in neue Läden, doch die Euphorie war schnell verflogen: „In der Danziger Straße habe ich einen Laden ausgebaut. War dann froh, einen Nachmieter zu finden, der aber sang- und klanglos aufgegeben hat, weil der Hausverwalter mehr Miete wollte. So bin ich den Laden mit sehr viel Kosten losgeworden. Im Haus der Schweiz hab ich eine Viertelmillion Miese gemacht. Dort habe ich den Innenausbau finanziert, weil ich dachte: Hier mußt du ran! So einen Laden bekommst du als Ostler nicht noch mal."

Fünf Läden hatte Pfitzner nach der „Wiedervereinnahmung", jetzt bleibt einer, im Nikolaiviertel. Das Gewerbe hat er an seine Frau überschrieben. Denn die „kann mit den Wessis gut". Wenn einer in seinen Laden kommt und sagt: „Das ist zu braun, das ist zu bunt, das ist zu empfindlich, das ist zu glänzend, das ist zu teuer", dann muß das „einer von uns drüben" sein. Es gibt sogar „welche aus München", die sagen: „Das ist zu billig, das kann doch nicht echt Leder sein."

Die Misere ist für Dieter Pfitzner durch „die Westler" personifiziert: „Wir sind das Volk! Stasi raus! ­ Da könnte ich mir heute noch in den Hintern treten, daß ich das gerufen habe. Die Stasi war noch ein herrlicher Babysitter-Gesangsverein gegen das, was wir jetzt haben. Die lassen die Nazis demonstrieren, und den Kommunisten verbieten sie ihren Kampftag der Arbeiterschaft ­ das ist doch ein Verbrecherstaat, in dem wir leben. Es ist nicht mehr lebenswert, in Deutschland als Deutscher zu leben; vielleicht als Türke, vielleicht als Grieche oder vielleicht als Libanese. Ich empfinde nicht deutsch. Ich empfinde rein rudelmäßig", sagt Pfitzner, dessen Hund Cäsar immer bellt, wenn es gerade interessant wird.

Dieter Pfitzner will nun handeln: Er hat die Partei der Unzufriedenen (PDU) gegründet, die jetzt unter „Bündnis für Gerechtigkeit" firmiert. Er glaubt, daß „sich nur mit Gewalt etwas ändern läßt" und mit Demagogie: „Mein Traum wäre so ein Mann wie Goebbels, der es fertigbringt zu fragen: ,Wollt ihr den totalen Krieg?' und alle blöken wie blöde: ,Ja!' Ich würde fragen: ,Wollt ihr die totale Revolution gegen unsere falschen Sieger?', und da müssen die Leute ,Ja!' brüllen. Dieses System hat aus mir, einem Philanthropen, einen Misanthropen gemacht."

Pfitzner wünscht, daß ein Asteroid im Kapital-Zentrum von Süddeutschland einschlägt: „Ich hasse diese West-Multis wie 'n Splitter im Arsch. Das können Sie drucken!"

Kai Pohl

Die Zitate entstammen einem Interview mit Dieter Pfitzner am 4. Mai 2001, das Gespräch führten Mirko Zander und Kai Pohl.

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