Ausgabe 9 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Abschied vom hektischen Kulissenzauber

Berlins Quartiersmanagement traut sich endlich an die wahren Probleme

Als der kurze Text im Sommer 1999 im scheinschlag erschien, waren die neu geschaffenen Quartiersmanagements (QM) in 15 Berliner Gebieten gerade erst angelaufen. Keiner konnte so recht abschätzen, was sich daraus für die Stadtteile beziehungsweise Gesamtberlin ergeben würde. Allein die Sozialdaten des Berliner Strukturatlasses waren ausschlaggebend gewesen für diese überraschende „Zwangsbeglückung" aus dem Hause Strieder, noch dazu ausgestattet mit einer Million Mark pro Gebiet zur freien Verfügung. Ansonsten war die Daten- und Infolage eher mau. Prompt erhielt der scheinschlag als Reaktion auf den Artikel einen Anruf von einer angesehenen Berliner tageszeitung: Der zuständige Redakteur bat dringend um nähere Angaben zur „Studie von sociodata", er wolle das Thema aufgreifen. Im scheinschlag aber herrschte gerade Sommerpause, die Anfrage schmorte auf dem AB vor sich hin. Unter Zeitdruck rief der Redakteur nun direkt beim Zehlendorfer Bürgermeister an, doch Herr Eichstädt wußte angeblich von gar nichts. Zwar werden bekanntlich unliebsame journalistische Recherchen gerne von offizieller Seite ausgebremst ­ doch in diesem Fall hätte selbst die scheinschlag-Redaktion dem geschätzten Kollegen nicht weiterhelfen können. In der Redaktion überlegte man, ihn stattdessen zum Entenbratenessen einzuladen, gewissermaßen als Wiedergutmachung.

Foto: Steffen Schuhmann in scheinschlag 5/04

Der Artikel von 1999 ist vermutlich der einzige Medienbericht, der Quartiersmanagement und Zehlendorf in einen so unmittelbaren Zusammenhang gestellt hat ­ sozusagen als Hinweis darauf, daß „Problemkieze" sich nicht allein von Daten über Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug und Ausländeranteil herleiten lassen. Es war von daher kein Wunder, daß sich die aus dem gesamtstädtischen Gefüge herausgelösten QM- Problemgebiete tatsächlich öffentlich gebrandmarkt und abgewertet sahen. Allein die Bewohner des Arnimplatzviertels konnten sich erfolgreich gegen ihre Stigmatisierung als „Problemkiez" wehren, sie verhinderten die schon geplante Ausweisung als QM-Gebiet gerade noch so. In den Medien wurde derweil eine wahre Problemkiez-Hysterie geschürt: Die Polizei würde sich nur noch in Mannschaftsstärke in den Wrangelkiez trauen, im Soldiner Kiez hätten arabische Großfamilien das Sagen übernommen. Hans Stimmann und Klaus Landowsky waren sich einig, daß die sozialen Probleme im Neuen Kreuzberger Zentrum und im „Sozialpalast" nur noch mit Sprengung der Häuser zu bekämpfen seien. In den QM-Gebieten selbst rannte man unterdessen mit Farbeimerchen umher, um die schrecklichen Graffiti zu übermalen, oder verlustierte sich bei sommerlichen Straßenfesten, die finanziert wurden, um die Nachbarschaften zu stärken: Galt es doch, die Lebensqualität in diesen Kiezen zu verbessern. Und das übergeordnete Ziel lautete, „die Bewohner zu befähigen, ihr lokales Gemeinwesen mitzugestalten".

Von daher konnte man sich in Zehlendorf ganz entspannt zurücklehnen: Nicht nur, daß ihnen ganz bestimmt kein QM verpaßt werden würde, sondern die Probleme waren in Berlin praktischerweise als lokal klar eingegrenzt definierbar, und noch beruhigender: In diesen Schmuddelgebieten passierte etwas, es würde also nicht eskalieren oder gar rüberschwappen und einen womöglich belästigen. Das Beste an allem blieb sowieso unausgesprochen: Alle konnten unter sich bleiben.

Inzwischen ist es zu einer längst überfälligen Kurskorrektur in der strategischen Ausrichtung der QMs gekommen. Die „Verbesserungen der Lebenschancen" wurden endlich in den Mittelpunkt gerückt: Erwerbsarbeit, Integration und Bildung sind jetzt die wichtigsten Ziele in den „Problemkiezen". Zudem wurde 16 neue Stadtteilmanagementgebiete, eine Art abgespeckter QMs, in diesem Jahr ausgewiesen. Gleichzeitig werden die drei QMs in der Ostberliner Innenstadt, die nur aus Gründen der Ost-West-Parität aufgestellt worden waren, zum Jahresende aufgelöst. Man bekommt langsam den Eindruck, Berlin taste sich endlich an seine wahren Probleme heran. In allen Gebieten zusammen leben mehr als zehn Prozent der Berliner Bevölkerung.

Weil das Geld in Zukunft eher noch knapper sein wird, wird man sehr gut begründen müssen, wofür man es ausgibt. Aber daß man sich in Berlin über die Notwendigkeit verständigen muß, Schwerpunkte zu setzen, ist zu den meisten Berlinern noch nicht durchgedrungen. Der Abschied von Privilegien ist ungewohnt. In dem Gutachten, das die Senatsverwaltung in Auftrag gegeben hat, um sich von unabhängiger Seite über die Erfolge des QMs zu informieren, setzen die Fachleute auf das Argument des volkswirtschaftlichen Nutzens: So seien auch in Zukunft hohe finanzielle Aufwendungen in den QM-Gebieten zur Verbesserung der Lebenschancen nötig, um zu verhindern, daß ein großer Anteil der Bewohner dieser Kieze lebenslang Transferleistungen erhalte. Eine Reduzierung der Ausgaben führe dagegen „zu weiter steigenden Belastungen, zum Beispiel bei der Sozialhilfe und bei Transferleistungen infolge von Langzeitarbeitslosigkeit, und ist daher aus volkswirtschaftlichen Gründen abzulehnen". Im Folgenden argumentieren sie sogar in Richtung des „imaginären Zehlendorfers": „Dabei muß klar sein, daß dies vermutlich im Vergleich zu anderen Stadtteilen keine insgesamt höhere Pro-Kopf-Aufwendung bedeutet, da andere staatliche Zuwendungen (zum Beispiel Finanzierung aufwendiger kultureller Angebote, Finanzierung des Studiums) in den QM-Gebieten nicht in gleichem Umfang in Anspruch genommen werden."

Eine bezirksübergreifende Nachbarschaftshilfe ließe sich aber auch ohne eine volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen- Analyse realisieren. So werden beispielsweise im Wedding händeringend Freiwillige gesucht, die in den Schulen und Kitas den Kindern vorlesen, während in Zehlendorf mehr als genug nette Damen und Herren dazu bereit sind. Wäre es da nicht machbar, daß sich die ehrenamtlichen Vorleser aus Zehlendorf im Wedding engagieren? Bereichernd könnte es für beide Seiten allemal sein.

Sabine Schuster

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 9 - 2005 © scheinschlag 2005