Ausgabe 8 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Weg mit dem Dreck

Scheißen im öffentlichen Raum in Zeiten der Entfremdung

Bis ins 19. Jahrhundert hinein war es tatsächlich eine öffentliche Angelegenheit: Man pinkelte und kackte, so man das dringende Bedürfnis verspürte, einfach an der nächstbesten Hauswand. Mit dem Wachsen der Städte und dem zunehmenden Bewußtsein, daß der Unrat in den Straßen nicht nur einen bestialischen Gestank, sondern auch Seuchen befördert, kam es – nach dem Vorbild von England und Frankreich – auch in Deutschland zur Errichtung sogenannter öffentlicher Bedürfnisanstalten. Diese Entwicklung hatte aber ihre Ursache nicht zuletzt darin, daß sich seinerzeit scheiß- bürgerliche Moral- und Reinlichkeitsvorstellungen durchsetzten – menschliche Fäkalien sollten nicht mehr von jedermann begutachtet, berochen oder betreten werden können. Die Desodorierung des öffentlichen Raums nahm ihren Anfang.

Die ersten beiden Toilettenhäuschen in Berlin wurden 1863 auf dem Askanischen Platz und an der Fischerbrücke errichtet. Ab 1879 stellte man die gußeisernen, dunkelgrünen Pissoirs auf ­ ziemlich idiotisch von den Herstellern als „Typ Waidmannslust", noch idiotischer vom „Volksmund" als „Café Achteck" bezeichnet. Für Frauen gab es aus „Sicherheits- und Schicklichkeitsgründen" damals nur in einzelnen öffentlichen Gebäuden Toiletten, etwa im Roten Rathaus, später entstanden „Vollanstalten" für beiderlei Geschlecht am Gendarmenmarkt und auf dem Dönhoffplatz. Und natürlich versuchte man, die Aborte möglichst unsichtbar zu machen: „Die Pissoirs werden bepflanzt mit Grünanlagen, damit man sie nicht sieht."

Heute kommt in Berlin auf 10000 Einwohner gerade mal eine öffentliche Toilette; und die ist nicht einmal wirklich öffentlich, sondern eine privat betriebene Erleichterungsanstalt, für dessen Betreten man 50 Cent löhnen muß. Nach einem Streik der öffentlich Bediensteten (inklusive der Klowärter) stieß der Berliner Senat Mitte der neunziger Jahre seine öffentlichen Toiletten ab und überließ sie dem Klosettunternehmer Hans Wall, der dafür Werbeflächen in Berlin frei Haus bekommt. Seither kostet das Urinieren und Koten.

Die von Wall errichteten und City-Toiletten benamsten Scheißhäuser vermitteln einen vollkommen aseptischen Eindruck: Weißes, klinisches Licht erhellt das Innere, weiß die Wände, Metall. Betritt man diese gelackten Kackbuden, ertönt Gedudel, ein nervtötender und hirnzersetzender Klo-Muzak, um die Geräusche, die man bei der Entleerung produziert, zu übertünchen ­ von wegen „stilles Örtchen". Interessant allerdings sich vorzustellen, daß da offensichtlich einer der Klomanager darüber nachgedacht haben muß, was denn wohl der optimale Soundtrack zum Scheißen ist. Und ­ natürlich ­ die Wall-Toiletten riechen nicht.

„Die Toilette wird nach jeder Benutzung gereinigt und desinfiziert." Ja, genau so steht's da, an der auswärts der Fäkalquader angebrachten Anleitung zum Scheißen, und so wird's auch gemacht: nach jeder (!) Benutzung wird gereinigt und desinfiziert (!). Wobei dieser üble, den Umweltverschmutzungen früherer Aborte in nichts nachstehende Quatsch nicht einmal dem eigenen Anspruch gerecht wird: Ein ordentlicher Schmier, vom Autor selbst auf der Klobrille hinterlassen, wurde nicht entfernt.

Ein äußerst weiser Mann, ein Architekt namens Göschel, äußerte einmal, das Klo sei ein „Ort der Begegnung des Menschen mit sich selber". Durch die Bedürfnisanstalten von Wall und Konsorten wird diese Vorstellung in jeglicher Hinsicht konterkariert, in ihnen darf man sich einzig der „zivilisatorischen" Übung „Entfremdung vom eigenen Körper und dem, was er produziert" widmen. Ein Klo, das nicht stinkt, das sogar noch das Plumpsen der Wurst ins Toilettenbecken überdudelt, ist eine zutiefst unmenschliche Einrichtung.

Man sollte, wenn man denn mal muß, statt der Wallschen City-Toiletten vielleicht nicht gleich die nächstbeste Hauswand besudeln oder ins nächstbeste Gebüsch scheißen, sondern die nächste, möglichst etwas heruntergekommene Eckkneipe aufsuchen: Manche dieser Pinten gewähren dem Bedürftigen auch ohne Entgelt Zugang zu ihren Abtritten; und selbst wenn sie 50 Cent für die Toilettenbenutzung verlangen, kommt man dort im Gegensatz zu den City-Toiletten in den Genuß in Würde gealterter, rissiger Kloschüsseln, fein patinierter, gelblicher Kacheln, des einen oder anderen Klospruchs auf unterstem Niveau (Was will man anderes: Hier läßt man sich gehen!) und eines gewiß nicht lieblichen, dafür um so würzigeren Geruchs – eines Geruchs, der Geschichte olfaktorisch nachempfinden läßt und die Ahnung vermittelt, daß am Ende eigentlich immer das Gleiche rauskommt: Hier wurde geschissen, hier wird geschissen, hier wird ein ewiges Scheißen sein.

Roland Abbiate

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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