Ausgabe 8 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Dem Rausch geweihte Tempel

Vom Aufstieg und Fall der Warenhäuser

„Passagen sind Häuser, welche keine Außenseite haben – wie der Traum", sagte Walter Benjamin über die Pariser Passagen des 19. Jahrhunderts. Auch die Welt des Kaufhauses ist eine Innenwelt. Sie beginnt mit dem Warmluftgebläse am Eingang und wird durch die Wärme bestimmt, die sommers wie winters konstant bleibt, durch das Licht der Neonröhren und das Gleichmaß der Bewegungen, das die Rolltreppen vorgeben. Ein Kaufhaus ist ein Innenraum, der sich in allen Städten gleicht. Wer im Kaufhaus steht, weiß nicht, ob er in Hamburg, in Berlin oder in Stuttgart ist. Man befindet sich an einem Punkt in der Welt, der nicht räumlich zu verorten ist. Ein ebenso künstlicher wie vertrauter Raum, der nirgendwo zu enden scheint. Wohin man sieht – unzählige Dinge, Edelstahltöpfe, Qualitätspfannen, deren Beschichtungen keinen Kratzer haben. Dinge, die sich in allen deutschen Städten gleichen. Und Menschen, die sich im Angesicht der Dinge gleichen. Am Ende gehen wir durch das Warmluftgebläse nach draußen, und es ist wie im Traum. Fast, als wären wir alle gleich.

Mittlerweile scheint die Kaufhauswelt auf dem Rückzug zu sein. Die Innenräume der großen Städte heißen H&M oder Mango. Als KarstadtQuelle im letzten Jahr in die Krise geriet, wurde dies kommentiert, als nehme man Abschied. „Bürgermeister von Kommunen laufen Sturm", konnte man lesen. „Wir brauchen das Warenhaus in der Innenstadt." „Das Warenhaus ist unverzichtbar." „Mit dem Niedergang von Karstadt geht ein Stück alte Bundesrepublik verloren." Die Zeit widmete den Schwierigkeiten des Konzerns ein wehmütiges Feuilleton, in dem der Autor Szenen seiner Kindheit beschrieb. Als ob ein Stück Kulturgeschichte zu Ende gehe.

Über die Warenhäuser wurde schon einmal debattiert, als gehe es um den Aufstieg oder Niedergang von Kultur schlechthin. Das war Ende des 19. Jahrhunderts; Rudolph Karstadt, Abraham Wertheim und Leonhard Tietz hatten bereits erste kleinere Läden gegründet, die man als Warenhäuser bezeichnete, doch am Handelsvolumen des Einzelhandels hielten sie einen Anteil von unter fünf Prozent. Das Prinzip ­ feste Preise, alles unter einem Dach ­ kam aus Frankreich, wo es bereits richtige Warenhäuser gab. In Deutschland hing man weit hinterher.

Dennoch verfaßten Ökonomen und Geistesgelehrte Abhandlungen, die wechselweise eine neue Epoche, eine Verschwörung des jüdischen Kapitals oder den Untergang des Abendlandes kommen sahen. Aus den Pamphleten sprach Angst vor einer neuen Zeit: Was würde geschehen, wenn der kleine Mann den Tempel der schönen Dinge beträte? „Man betrete heutzutage die Wohnung eines besseren Arbeiters oder Unterbeamten", ereiferte sich ein Herr Steindamm 1904 in Beiträge zur Warenhausdebatte: Nichts mehr von der schlichten Bescheidenheit einer Arbeiterwohnung! Ein Nußbaumpaneel, eine Krone mit einer Majolikalampe, Farbdrucke, bemalte Teller, Terracottafiguren, gar eine Säule aus schwarz poliertem Holz mit Apoll. Dies sei das kulturelle Verdienst der Warenhäuser! Man sieht Sittlichkeit und Moral in Gefahr. Emile Zola schreibt in Au Bonheur des Dames: „Im vollen Glanz der Straße, ein wahrer Bergsturz billiger Waren, die Versuchung zum Eintritt ... das Geschäft schien zu bersten und seinen Überfluß auf die Straße zu werfen." „Die Warenhäuser sind dem Rausch geweihte Tempel", sagt Benjamin im Passagenwerk. Die Kunden ­ als Masse ­ würden mit dem Warenlager konfrontiert.

Vielleicht war es das Sinnliche und Sinnbildliche am Warenhaus, das die Furcht vor einer neuen Zeit der Massenkultur und des Massenkonsums auf Wertheim, Tietz und Karstadt zog. Denn etwa zeitgleich entstanden als neue Handelsformen auch die ersten Filialgeschäfte wie Spar oder Edeka. Dennoch entspann sich nicht eine Filialgeschäftsdiskussion, sondern eine Warenhausdebatte. Sie währte bis in die fünfziger Jahre hinein, als sich das Blatt endlich wendete ­ und Karstadt wiederum zu einem Symbol werden sollte. Jedoch zu einem anderen.

Eine gemeinsame deutsche Kulturgeschichte schrieben die Warenhäuser, als die SA vor ihnen aufmarschierte, als es zum „Erlaß gegen eine unerwünschte Betriebsform" kam und Abraham Wertheim enteignet wurde. Karstadt war es verboten, Papierfähnchen mit Hakenkreuzen zu verkaufen. Man ließe diese ja auch nicht in Bordellen vertreiben, hieß es. Nach dem Krieg schenkte man vor den Kaufhäusern, die noch standen, Suppe aus. Die Regale füllten sich langsam wieder, mit ersten Nachkriegswaren. Eine Karstadt-Firmenchronik berichtet von Kochtöpfen aus alten Stahlhelmen, die vorübergehend ins Sortiment aufgenommen wurden. Dann teilte sich die Geschichte der Kaufhallen in Ost und West. Als die sowjetische Zone kam, packte Rudolph Karstadt seine Koffer und ging in den Westen. Seine Gründungsfiliale in Wismar blieb ohne ihn zurück und wurde zum HO-Geschäft.

Im Osten wurde bis 1958 auf Karten gekauft. Dann versprach Walter Ulbricht dem Volk, die BRD in Sachen Konsum „einzuholen und zu überholen". Von einem „spezifisch sozialistischen Konsummodell" war die Rede, das Volk sollte via Konsum erzogen werden, Maß zu halten und dem Gebrauch vor dem Luxus den Vorrang zu geben. Die Waren wurden standardisiert, nach Plan verteilt und im Laden nach Menge und Sorte gestapelt. Die Ästhetik war eine der immerwährenden Wiederholung, der immergleichen Produkte, nach formalen Gesichtspunkten geordnet. Das HO-Geschäft war stapelgewordene Sachlichkeit, eine Halle der Strenge. Das Bekenntnis galt zwar dem Massenkonsum ­ doch nicht dem lustvollen Stöbern. Kein „voller Glanz, Bergsturz billiger Waren, Versuchung zum Eintritt". Den Eintritt bestimmte die Notwendigkeit.

Im Westen dagegen wurde der Tempel des Konsums rehabilitiert. Er wurde zur Kultstätte eines seltsam säkularen Glaubens ­ daran, daß es gut war, nach allem, was war, in beheizten Räumen hübsche Kleider, warme Jacken und neue Schuhe kaufen zu können. Daß es gut war, sich als Gesellschaft zu etablieren, die als Masse nicht zu Aufmärschen strömt, sondern in Massen die Tempel der unschuldigen Dinge besucht. Wie bei den Amerikanern, wo junge Damen im eigenen Auto vor größeren, moderneren Kaufhäusern vorfuhren ­ leichte, beschwingte, praktisch denkende Damen. Die Warenhausdebatte wurde unter anderen Vorzeichen weitergeführt: Amerika stand nun für Läuterung, Deutschland solle sich zum Warenhaus bekennen. Mit schwang die Idee von der Gleichheit vor den Konsumgütern: Daß nun alle einkaufen durften, bedeute ja letztlich auch Demokratie. Die sündige Ware als Verführung des kleinen Mannes wird zum magischen Objekt, das „Normalität" verheißt. Eine junge Frau sagt im Jahr 1956: „Odol war für uns gleichbedeutend mit Freiheit, mit friedlichen Werk- und Frühlingstagen, gekacheltem Badezimmer und angenehmem Schlaf." (Otto Bodnár-Büchler in Wundersame Welt der Markenartikel). Dafür standen Karstadt, Hertie, Horten. Von ritualisiertem, gemeinschaftlichem Konsum spricht Kai-Uwe Hellmann in Soziologie der Marke. Warmluftgebläse am Eingang wurden eigens erfunden, um die Hemmschwelle zum Eintritt herabzusetzen. Alle sollten hinein, in die Innenwelt der Kaufhäuser, gemeinsam in den Wühlkörben wühlen, in denen die Fetische der Normalisierung zum sinnlichen Erfassen bereitlagen. Waschlappen, Kindersocken, Büstenhalter. Als Andreas Baader und Gudrun Ensslin 1968 gegen das Zelebrieren von Normalität trotz der Greueltaten in Vietnam protestieren wollten, trafen ihre Anschläge folgerichtig die Kaufhäuser.

Das Ende jener verdächtigen „Normalität" stellte sich bald von selbst ein. Schon in der alternden BRD ging die Schere zwischen Arm und Reich auseinander, bröckelte die Idee der breiten Partizipation am Wohlstand. Eine binnenmarktorientierte Wirtschaftspolitik schwenkte ins Konservative: Der kleine Mann als Verbraucher war nicht mehr wichtig, er mußte um der gemeinsamen Zukunft willen keine Waschmaschinen mehr kaufen.

Endgültig drehte sich der Wind mit der Vereinigung, als die Gesellschaftsverträge beider deutscher Staaten Makulatur wurden und Riten der alten BRD über Nacht einer vergangenen Zeit angehörten. Ihre Kaufhäuser als Sinnbild des Massenkonsums standen noch, doch nichts ist befremdlicher als ein Sinnbild, dessen Sinn erst kürzlich abhanden gekommen ist. Das Kaufhaus als gemeinschaftlich erlebter Raum einer Konsumkultur, die Lust an Wohlstandsgütern mit „Normalität" und annähernder sozialer Gleichheit verbinden will, war obsolet geworden. Wer heute ein Kaufhaus mit Warmluftgebläse und Wühltischen betritt, spürt dies instinktiv. Niemand mag mehr in Büstenhalten und Strumpfpaketen wühlen. Die rempelnde Sicherheit, mit der Menschen lebendige Orte besuchen, ist dahin. Die Westler haben das unbestimmte Gefühl, einen alten Bekannten wieder zu treffen, mit dem irgendetwas nicht mehr stimmt. Die Bürger der alten DDR hingegen langweilen schlechtbesuchte Kaufhäuser. Sie wissen ohnehin, daß andere Zeiten kommen. In Gera schloß man die Gründungsfiliale von Tietz, später Hertie, sang- und klanglos. An seiner leeren Hülle zogen die Montagsdemos vorbei.

Das Ereignis des Massenkonsums ist längst weitergezogen. Es gibt kein Fest des gemeinsamen Aufstiegs mehr. Heute geht es darum, einen oder zwei Euro einzusparen, damit das Weniger im Portemonnaie weiter reicht. Die Angst vor sozialer Deklassierung verstärkt das Bedürfnis nach Distinktion. Entsprechend betonen die neuen Tempel des Konsums vor allem eins: Trennung und Exklusivität. Die Shopping Mall trennt Discounter und Edelboutiquen. Und wer noch immer Karstadt heißt, tut so, als flanierten seine Besucher zwischen glitzernden Inseln ­ der Esprit-Insel, der Chanel-Insel, der Insel von Karl Lagerfeld. Die Wege von einer Markeninsel zur anderen sind von Konsumpsychologen als mäandernde Pfade angelegt. An jeder Ecke ein Schatzkästchen, eine Hoffnung, nur für den Kunden allein.

An die Welt des Gleichmaßes, der Warmluftgebläse, der Wühltische erinnern wir uns heute, wir Westler, und verklären die Sache ein bißchen. So wie man seine Kindheit verklärt, gerade wenn man Angst hat, vor einer neuen Zeit.

Tina Veihelmann

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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