Ausgabe 8 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Anständige Töne, ordentliche Klänge und identitätsstiftende Illusionen

Ein Nachschlag zur popkomm 2005

Foto: Jörg Gruneberg

Und selbst wenn sich durch einen unglückseligen Zufall ein Loch in der ununterbrochenen Folge ihres Zeitvertreibs auftut, ist immer Soma zur Hand, das köstliche Soma! Ein halbes Gramm genügt für einen freien Nachmittag, ein Gramm fürs Wochenende, zwei Gramm für einen Ausflug in die Pracht des Orients, drei Gramm für eine dunkle Ewigkeit auf dem Mond. Und wenn sie zurückkehren, sind sie bereits über den Abgrund hinweg, stehen auf dem sicheren Boden täglicher Arbeit und Unterhaltung.

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Die Einsicht, daß Pop immer schon in die kapitalistische Reproduktion involviert war, überrascht heutzutage wohl niemanden mehr. Die Option auf Distinktion ist die eigentliche Ware, die die differenzkapitalistische Tonträgerindustrie verscherbelt, um mögliche Formen der Subversion als bloßen Style zu bannen und handhabbar zu machen, keinesfalls jedoch intervenierende Wirklichkeit werden zu lassen. Obgleich also die Einsicht in die Warenförmigkeit des Pop nicht mehr zu überraschen vermag, ist es immer noch verblüffend, wie die Popkulturindustrie den Schleier juveniler Rebellion einerseits immer ungenierter abstreift, zugleich jedoch die vom popmusikalischen Produkt erzeugte Illusion von Abgrenzung und Freiheit immer perfekter funktioniert. Diese eigentümlich gegensätzlichen Bewegungen konnte man auf der popkomm 2005 sehr gut beobachten, sofern man sich sowohl der Musikmesse als auch dem allabendlichen Musikfestival zuwendete.

In den Messehallen und im angrenzenden ICC waren ca. 800 Geschäftsleute aus nahezu 48 Ländern anwesend. Das heißt: Angestrengte Anzugträger und süß aufgehübschte Hipster huschten umher und wurden mit Promo-CDs zugeschmissen. Geschmackvoll geschminkte junge Damen in geschmackvoll geschneiderten Kostümen lungerten hinter geschmackvoll gestalteten Ständen herum, an denen so crazy Broschüren verteilt wurden wie „Meet Your German Promoter". Gewichtig dreinblickende Männer mit Fönfrisuren saßen auf kunstlederbezogenen Kuben, tranken Kaffee mit Aromazusätzen und steckten ­ wie man so sagt ­ die Köpfe zusammen. Hier wurden jetzt Geschäfte getätigt. Und natürlich small talk. „Hast du schon dieses ,103' gesehen? Ich find das ziemlich schön, auf seine Art. So vom Style. Irgendwie typisch Berlin. Echt schön." ­ „Nee, nee, hör mal. Ich hab jetzt drei Kinder. Ich kann mir das nicht mehr leisten, hier durch die Clubs zu ziehen wie das junge Gemüse. Höhö..." Ziemlich small, der Talk. Große Brötchen wurden dagegen bei den sogenannten Panels gebacken. Hier ging es um Visionen. Podcasting? Streaming Services? Ja, ja, ja, erzählt mir, wie man das ökonomisch voll ausschlachten kann. Here comes Sony Europe. Und jeder ist sein eigenes Handy.

Wurde tagsüber ohne falsche Scheu oder vorgehaltene Hand darüber beratschlagt, wie man Alternativen zum kommerziellen Radio nun endgültig unter die Haube der Vermarktung kriegt, mußte des Abends die ganze Pracht juveniler Subkultur vor das Räderwerk der Buchhalter geschoben werden. Und wie da geschoben wurde! Mehr als 30 Clubs waren mit von der Party. Die Kulturbrauerei als offizielles Festivalzentrum erstrahlte im Glanz elaborierter Nietengürtel und extravaganter Klingeltöne. Alle, die nicht drei Kinder haben, waren dabei. Ich möchte Teil eines Marktsegments sein! Ich möchte endlich mein Soma haben! Ich möchte nun endlich mal die Musik treffen, die extra für mich entworfen wurde. Ist das zuviel verlangt? Yes, hey-ho! Meeting Music! Notabene: „Meeting Music" war das Motto des diesjährigen Festivals ­ ein Motto, auf das Dr. Motte sicherlich stolz gewesen wäre, hätte er es ersonnen.

Allenthalben waren anständige Töne, ordentliche Klänge und identitätsstiftende Illusionen zu hören und zu beobachten. Das mag die Geschäftsleute freuen. Denn das läßt sich gut verkaufen. Und verkaufen muß sich dieses Zeug ja. Denn wozu sonst ist es gut? Was den Händler indes freut, offenbart sich dem Autor in seiner Eigenschaft als kritischer Kulturkasper im Gewand gähnender Langeweile. Und so bleiben am Ende nur zwei entscheidende Momente der diesjährigen popkomm als solche erwähnenswert. Erstens: das Konzert der Stereo MCs. Zweitens: die Lesung von Gerhard Augustin. Die Stereo MCs sind erwähnenswert, weil sie nicht der selbstgezimmerten Selbstzufriedenheit der Popstars anheimgefallen sind, sondern nach all den Jahren im sogenannten Business nichts von ihrer Kraft und ihrer Merkwürdigkeit verloren haben. Gerhard Augustin, der selbsternannte „Pate des Krautrocks" ist erwähnenswert, weil er die gleichnamige Autobiographie geschrieben hat und man im Verlauf der Lesung den Eindruck gewinnen konnte, daß es bei ihm nie etwas anderes gegeben hat als selbstgezimmerte Selbstzufriedenheit, obwohl er nie ein Popstar war.

Und was lernen wir daraus Neues über den Pop? Schwer zu sagen. Aber das ist ja auch egal, weil es eh nichts ändert. Auch nächstes Jahr wird diese einzigartige Musikfachmesse zur Mehrwertakkumulation wieder die heimliche Hauptstadt des Pop heimsuchen, und wir werden auch weiterhin unser Soma bekommen. Nur gut vermarktbares Soma, versteht sich.

Thomas Hoffmann

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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