Ausgabe 8 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Funktion ist Leben

Dokumentierte Realitäts-Reflexe von Hilla und Bernd Becher

Die Fotografie zu Dokumentationszwecken zu nutzen ist, seit es die Fotografie gibt, gebräuchliche Methode. Diese Dokumentationen werden in vielen Bereichen bis heute nicht als eigenständige Kunst angesehen – zum Beispiel in ihrer verwirrendsten Spielart, wenn Kunst fotografisch dokumentiert wird. Werke von Dokumentar-Fotografen rückten nur langsam ins Blickfeld der Kunstkritiker. So wurden Anfang der siebziger Jahre Bernd und Hilla Bechers Industrie-Fotografien als diskussionswürdig miteinbezogen. Diese Arbeiten zeichnen sich überwiegend durch großformatiges, systematisches Herangehen ans jeweilige Objekt aus. Industrieanlagen verschiedenster Bauweise, Herkunft und Alter werden in einem möglichst diffus ausgeleuchteten Raum, d.h. unter Beachtung geeigneter Wetter- und Beleuchtungsverhältnisse, auf Augenhöhe, d.h. oft von Leitern und Gerüsten aus, ohne den geringsten Makel stürzender Linien aufgezeichnet. Dies und die Wahl der Schwarzweißtechnik erzeugen einen hohen Grad an Abstraktion, der dann auch noch dadurch gesteigert wird, daß in Ausstellungen zumeist Tableaus mit beispielsweise zwölf Fotografien gezeigt werden.

Was zunächst als klassifizierende Attitüde sich dem Betrachter aufzudrängen scheint, entpuppt sich bei näherer Beschäftigung mit der Becherschen Methode eher als mystifizierende Architekturbeschwörung ­ Beschwörung in dem Sinne, daß die Hingabe ans Objekt, an Wasserspeicher, Hochöfen, Fördertürme, Kohlebunker, Kühltürme, Fachwerkhäuser und so fort, so gar nicht als jene konzeptuell-ästhetische Fotografie zu wirken scheint, als welche sie über Jahre hinweg rezipiert wurde. Gottseidank, kann man aber nur sagen, hat die Kunstkritik im Sturme der Concept-Art-Romantik Hilla und Bernd Becher als Pioniere dieser Strömung gesehen und immer mitgenommen, wenn auch teilweise ­ leider ­ als deren Speerspitze verbogen. Der Mitverantwortliche, Klaus Honnef, sagt dazu: „Konrad Fischer und ich haben beide anläßlich der documenta 5 zu Concept-Artisten erklärt." Heute hält er dagegen die inszenierte Fotografie für realistischer, „weil sie ihre Irrealität eigens ausstellt".

Es ist dann so gekommen, daß die Einbeziehung in einen kunstkritischen Kanon nicht ganz gegen die Leidenschaften und Absichten der Bechers stand. Im Gegenteil wurde deren Arbeit in großen Teilen so erst ermöglicht. Erst dadurch, daß Vorstandsvorsitzende mit Argumenten aus dem hohen Hause der Kunstwissenschaft, der Sammlungen und Galerien konfrontiert werden konnten, ergaben sich manchmal Chancen, die sonst wohl nicht hätten wahrgenommen werden können. Danach konnte das Fotografenpaar alte, häßliche, zum Teil verrottete Industrieanlagen mit den entsprechenden Genehmigungen aufsuchen und in Ruhe, mit der von ihnen geforderten Sorgfalt, fotografieren. Das heißt nun nicht, daß alle Besitzer von alten, kaputten Industrieanlagen begeistert über ihr Anliegen, Strukturen und Merkmale dieser Zweckbauten für eine interessierte Nachwelt zu dokumentieren, waren. In den Anfangsjahren – also im Kalten Krieg – wurde ihnen bisweilen Spionage unterstellt, wollten Industrieanlagenbesitzer sich lieber mit Fotos neuer Innovationen brüsten, nicht die Leichen ihrer meist umweltzerstörenden Technik auch noch en détail bestaunen lassen müssen.

Ganz im Gegensatz zu Bernd und Hilla Becher, die nun von einem Industriegebiet ins nächste reisen konnten: Ruhrgebiet, Saarland, Belgien, Südwales, Nordfrankreich, bis nach Amerika. Industriell gefertigte und genutzte Produktionsstätten zwischen 1880 und der Jetztzeit stehen in ihren Ausstellungen nebeneinander. Man kann nun anfangen, über Formensprache, serielle Konzepte, neue Sachlichkeit zu fachsimpeln. Das führt zwangsläufig zurück zur vergleichenden Methode. Den allermeisten Bauten haftet ein anarchisches Grundmuster an, die wenigsten können überhaupt einen Architekten als Ideengeber vorweisen.

Über seine Funktion kann der Industriebau eine bestimmte mythische Aura annehmen, die sich noch verstärkt, wenn diese Funktion endet. Das Erklärungsmuster ist, oberflächlich betrachtet, einfach: Mit dem Ende eines Funktionszyklus erlischt eine Fabrik, ähnlich der Gestalt eines sterbenden Organismus. Das Leben, als Funktion, in einem fast biologistischen Sinne, bleibt aber nachempfindbar, weil man den Strukturen folgen und das Zusammenwirken der unzähligen Details weiterhin körperlich spüren kann. D.h. man trauert quasi. Einmal in diesen Bereich geleuchtet, ergeben sich noch weitere Aspekte, was das Phänomen des fast-religiösen Raunens den Industrie-(Brachen-)Fotos gegenüber angeht. Möglicherweise verläuft unter der vivisezierenden Betrachtungs- noch eine psychosoziale Ebene, anhand derer man das Verhältnis des Menschen zu seinen Produktionsstätten weitergehend untersuchen müßte. Bernd und Hilla Becher gaben dazu selbst Hinweise. Abgeleitet aus ihren eigenen Erfahrungen, was Bindungen an Orte betrifft, setzten sie Begriffe wie „Nomadische Architektur" oder „Sakralbauten des Calvinismus", die andeuten, wie Gesellschaften es vermögen, die Industrie, die Arbeiter, in sich immer wandelnde, wandernde Funktions-Schemata hineinzuprägen.

Kinder spielen gerne „Freiraum" auf Industriefriedhöfen, und ich schließe mich insofern Honnefs These an, daß Dokumentarfotografie genauso Inszenierung ist wie alle andere Fotografie, widerspreche aber dem Umkehrschluß, Irrealitäten als kecken Authentizitätsmarker zu fordern. Fotodokumentation ist auch natürlicher Reflex eines Realitätsbewußseins. Inszenierung kann sich dagegen als unerträglich hohl entpuppen. Viel Spaß bei der Reflexmassage!?

Jörg Gruneberg

„Bernd und Hilla Becher: Typologien Industrieller Bauten", noch bis zum 8. Januar 2006 im Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50-51, Tiergarten

Fotos: Promo

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