Ausgabe 8 - 2005 berliner stadtzeitung
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Volksberuhigung

Ein Buch über die vermeintliche Harmlosigkeit von „nicht-tödlichen Waffen"

Die Welt der Waffendesigner kann so schlecht nicht sein. Wer glaubte, es ginge in den geheimen Waffenlaboren nur darum, immer fiesere, präzisere und bestialischere Tötungsgeräte zu erfinden, muß eines Besseren belehrt werden. In dem Buch Demonen geht es um neueste Waffen, die nicht töten und auf vermeintlich humane Art und Weise Gegner unter Kontrolle bringen. Angepriesen werden sie von den Herstellern als ideale Waffen zur Terror- und Aufstandsbekämpfung im Bereich der inneren Sicherheit. Nach einem Theater- und einem Hörstück liegt damit von Olaf Arndt jetzt auch ein Buch vor, das sich mit den fragwürdigen Konsequenzen dieser Waffensysteme auseinandersetzt.

Für die Befürworter sind „nicht-tödliche-Waffen" ein Segen und wahre Friedensstifter. In einer seltsamen Koalition aus Alt-Hippies wie dem amerikanischen Futurologen-Ehepaar Toffler, den Science-Fiction-Autoren und Waffenhändlern Janet und Chris Morris und dem Vietnam-Veteran und Grenzwissenschaftler John B. Alexander wird ein neues Zeitalter von „Massenverteidigungswaffen" herbeiphilosophiert. Sie entwerfen eine schöne neue Welt, in der man Gegner jeglicher Couleur aus dem Weg räumen kann, ohne sie zu töten. Zu diesem Waffentypus gehören Fangnetze, Plasmastrahlen, Elektroschocker, Nanopartikel und diverse Formen von neuartigen Kampfgasen.

Nun ist die Idee von Non-Leathal-Weapons nicht neu: Gummigeschosse, Tränengas und Polizeiknüppel gibt es schon eine Weile. Aber die neuartigen Waffen sind nicht einfach Up-Dates der bisherigen Polizeitechnik, sondern laut Arndt verbirgt sich hinter diesen Systemen ein neues ordnungspolitisches Verständnis. Denn sie setzen die Hemmschwelle für ihren Gebrauch deutlich herab: Seit längerem sind sogenannte Elektro-Taser in den USA im Polizeieinsatz. Der Taser gilt als Paradebeispiel der sogenannten nicht-tödlichen Waffen. Hersteller und Polizeibehörden sehen in ihm eine echte Alternative zur Schußwaffe. Der Delinquent erhält Stromstöße um die 50000 Volt und verliert so seine Koordinierungsfähigkeit, wird aber nach Angaben des Herstellers nicht ernsthaft verletzt. Diese vermeintliche Harmlosigkeit verleitet zum schnellen Einsatz. Bürgerrechtsbewegungen und amnesty international haben beobachtet, daß Polizisten die Taser immer häufiger in Situationen einsetzen, in denen es nicht um Gefahrenabwehr geht, sondern um Gefügigmachung und Machtdemonstration: So wurde eine junge Frau in den USA wegen überhöhter Geschwindigkeit von zwei Polizisten gestoppt. Sie sollte aus dem Wagen steigen, ihre Zigarette ausmachen und das Handy zur Seite legen. Da die Frau sich weigerte, kam es zu einem Wortwechsel. Schließlich drohten die Polizisten sie zu „tasern", falls sie nicht sofort ihren Aufforderungen nachkomme. Obwohl keinerlei Gefahr bestand, die Frau sogar ihren Führerschein vorzeigte, wurde sie von den Polizisten elektrogeschockt. Daraufhin brach sie schreiend zusammen. Offensichtlich werteten die beiden Polizisten dies als weiteren Widerstand und schossen eine weitere Spannungsladung auf die am Boden liegende Frau. Inzwischen sind viele ähnliche Fälle dokumentiert.

Allerdings ist der Begriff non-leathal, also nicht-tödlich, nicht viel mehr als eine Marketing-Bezeichnung. Denn nicht-tödliche Waffen dürfen eine bis zu 20prozentige unbeabsichtigte tödliche Wirkung haben. Zum Vergleich: Der Tötungsgrad von Handgranaten liegt bei 10 Prozent. Und so ist es nicht verwunderlich, daß es allein in den USA schon 70 Todesfälle bei Einsätzen mit Tasern gegeben hat. Nicht-tödliche Waffen sind also bestenfalls weniger tödliche Waffen. Ihre Wirkung hängt von vielen Faktoren ab, z.B. der gesundheitlichen Verfassung des Opfers oder der Dosierung. In Hamburg übrigens, wo man das Gesetz für den Einsatz von Tasern extra geändert hat, wurde dieser Zusammenhang nicht erwähnt.

Längst arbeiten die Waffenforscher an Systemen, die sich auch bei einer massenhaften Form des bürgerlichen Ungehorsams einsetzen lassen. Diese Systeme sollen es Polizisten ­ oder auch Soldaten im Auslandseinsatz ­ ermöglichen, Demonstrationen ohne direkte Konfrontationen „friedlich" aufzulösen. Neu designte Gase beispielsweise sollen akuten Durchfall auslösen. Jede Kundgebung ließe sich ohne unschöne Bilder von prügelnden Polizisten und blutenden Demonstranten auflösen. Sicherheitspolitiker lieben diese neuen Technologien deshalb. Was in einer gut funktionierenden Demokratie schon heikel anmutet, ist im Zusammenhang mit Ausnahmezuständen und weniger demokratisch verfaßten Staaten jedoch das Ende jeder Bürgerbewegung bzw. kritischen Meinungsäußerung, ehe sie sich öffentlich ­ auf den Straßen ­ manifestiert: Weil der Einsatz so unauffällig ist, unterlaufen diese Waffen einen zentralen Bestandteil von Demokratie. In einem Interview faßt Olaf Arndt das Kernproblem so zusammen: „Wenn diese Waffen, die uns Sicherheit versprechen wollen, uns eigentlich so tief verunsichern, daß sie den Leuten die Möglichkeit nehmen, ihre eigene Vorstellung von Demokratie zu artikulieren, dann sind wir einfach gar nicht mehr in einer Demokratie."

Gemeinsam mit den Mitgliedern der von ihm gegründeten Performance-Gruppe BBM (Beobachter der Bediener von Maschinen) hat Arndt diverse Interviews mit Politikern, Lobbyisten und Kritikern geführt und sich durch meterdicke Statements der EU gelesen. Herausgekommen ist ein vielschichtiger Essay zum Thema Aufstandsbekämpfung und Kontrolltechniken. Letztlich ist Demonen auch eine Fortschreibung der Foucaultschen These vom gesellschaftlichen Wandel von der Kontroll- zur Diszplinargesellschaft.

Marcus Peter

Olaf Arndt: Demonen – Zur Mythologie der Inneren Sicherheit. Edition Nautilus, Hamburg 2005. 12,90 Euro

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