Ausgabe 8 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Schauplatz und Symbol

Ein Dokumentarfilm über den Rosa-Luxemburg-Platz

Als ich beim Babylon ankam, drängelten sich dort schon die Menschen, die den Film Berlin – Ecke Volksbühne sehen wollten. So setzte ich mich erst mal in die zum Kino gehörende Kneipe und trank ein Bier. Doch auch hier war der Andrang groß, da gerade Publikum aus der eben beendeten Vorstellung kam. Ich blieb nicht lang allein an meinem Tisch, und kaum hatte ich es mich versehen, kam es zu einer Diskussion, wer es wohl wert sei, gewählt zu werden. Obwohl ich darauf wirklich keine befriedigende Antwort hatte, entwikkelte sich aus der Unentschiedenheit eine rege Diskussion über den Kapitalismus und seine aktuelle Entwicklung. Auf der Wiese daneben trank ein Pärchen sein Bier und lauschte uns belustigt. Aber wir waren so in unsere Diskussion vertieft, daß uns das nicht störte, nur hätte ich beinahe den Film verpaßt. Als ich den Kinosaal betrat, war die Regisseurin Britta Wauer gerade mit der Vorstellung der als Ehrengäste geladenen Interviewpartner und des Filmteams fertig.

Der Dokumentarfilm porträtiert den Rosa-Luxemburg-Platz als ein Symbol deutscher Geschichte. Es geht um Schicksale und um die Frage, was die Menschen seit 100 Jahren an diesen Ort inmitten der deutschen Hauptstadt zieht. Was macht das Flair des Platzes aus? Daß hier Ernst Lubitsch aufwuchs, der Hauptmann von Köpenick seine Uniform hier kaufte, der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann hier Reden hielt, Bertolt Brecht Randale erlebte und der Stasi-Chef Erich Mielke als junges KP-Mitglied einen Polizisten ermordete? Daß Walter Ulbricht hier ins Theater ging und Victor Klemperer ins Kino Babylon?

Mit ihrem monumentalen Bau beherrscht die Volksbühne den Platz und ist immer wieder Anziehungspunkt für Freunde des innovativen und gesellschaftskritischen Theaters. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sie als Volkstheater mit den Spenden von Arbeitern gebaut, nachdem ein Teil des alten Scheunenviertels abgerissen worden war ­ ein Theater vom und für das Volk also. Auch das Haus, in dem sich das Kino Babylon befindet, wurde um die Jahrhundertwende gebaut. Mit seinem Programmschwerpunkt osteuropäischer Filme war es zu DDR-Zeiten ein Ort für alle, die auch Kritisches über die sozialistische Welt sehen wollten. Es wurden Filme gezeigt, die nicht in den Mainstream des sozialistischen Kinos, etwa die notorischen Partisanenfilme, paßten. So leistete das Babylon einen wichtigen Beitrag, auch dem gewöhnlichen Ostbürger mehr über das filmische Schaffen seiner sozialistischen Brüder und Schwestern zur Kenntnis zu bringen. Damals gab es schräg gegenüber des Babylon einen kleinen Jazzclub, wo sich Hippies und anderes suspektes Volk rumtrieben. Inzwischen ist eine Boutique eingezogen ­ tja, nach dem Ende der DDR-Jugendförderung war der Club wohl einfach zu laut für die Hausbewohner. Die Boutique kann die entstandene Leere jedenfalls nicht ausfüllen.

Bevor die Nazis die jüdische Bevölkerung des Platzes und seiner Umgebung ermordeten, hatten hier viele jüdische Einwanderer aus Osteuropa gelebt. In der Gegend, einem echten Armenviertel, machten auch jede Menge Ganoven und Prostituierte ihre Geschäfte. Die KPD hatte hier ihre Zentrale, die später von den Nazis für ihre Hitlerjugend umgenutzt wurde. Heute ist das Gebäude Sitz der Linkspartei/PDS. Auf dem Platz gab es immer wieder Demonstrationen, die oft mit mehreren von der Polizei zu verantwortenden Toten endeten oder in Straßenschlachten zwischen Nazis und Roten mündeten. Die Zahl der Toten bei Demonstrationen reduzierte sich in der zweiten deutschen Republik erheblich, aber die 1. Mai-Demonstration wurde noch bis vor wenigen Jahren hier veranstaltet.

Dies machte und macht den Ort zu einem Schauplatz der Kämpfe um die Ideen des 20. Jahrhunderts. Seine bewegte Vergangenheit sieht man ihm nicht unbedingt an, aber etwas davon zeigt die Dokumentation. Eine Besonderheit sind die Interviews mit ehemaligen und heutigen Anwohnern des Platzes, die zum Teil ziemlich amüsant sind.

Bewundernswert ist die akribische Suche der Regisseurin nach Menschen, die zum Teil heute nicht einmal mehr in Deutschland leben. Auch die Zeichnungen von Heinrich Zille, Jason Lutes und Oliver Grajewski, die Motive in dieser Gegend gefunden haben, werden mit den historischen und aktuellen Filmaufnahmen verflochten.

Doch die Geschichte des Platzes macht schwerlich sein heutiges Flair aus, denn der triste Verkehrsstrom der Rosa-Luxemburg-Straße macht jede Gemütlichkeit zunichte. Derzeit wird aber die Tunneldecke der dortigen U-Bahnstation saniert, was in Berlin bekanntlich sehr lange dauert. Durch eben diese „verkehrsberuhigende Maßnahme", die Kneipe des Babylon und die gegenüberliegende Wiese vor der Volksbühne ist nun jene Gemächlichkeit eingekehrt, die der Platz braucht, um mehr als ein Durchgangsort zu sein. So hatte ich auch nach dem Film schnell wieder einen Gesprächspartner zum Kaffee. Ein etwas stotternder Bursche setzte sich zu mir und wollte sich unterhalten. Warum nicht? Eigentlich wollte er nur unterhalten werden, sah dann aber doch ein, daß ein Gespräch immer von zwei Menschen geführt wird. Hätte ich niemanden zum reden gehabt, hätte ich wohl für eine Weile der Diskussion über Bewußtsein und Rationalität am Nebentisch gelauscht.

Inett Kleinmichel

„Berlin – Ecke Volksbühne" von Britta Wauer wird am Mittwoch, 12. Oktober um 20.45 Uhr auf arte gesendet.

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