Ausgabe 8 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Euphorie und Wahnsinn

Bund und Land klammern sich wider besseres Wissen an das Bild der Schloßfassaden - und das um jeden Preis

Mit großer Euphorie war Bundesbauminister Manfred Stolpe – nebst Kulturstaatsministerin Weiss, Bundestagspräsident Thierse und Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer, allesamt SPD – Ende August vor die Presse getreten, um die frohe Botschaft zu verkünden: Das Stadtschloß mit dem geplanten Humboldt-Forum sei machbar! Dies besage ein vom Bund in Auftrag gegebenes Machbarkeitsgutachten – das allerdings strikt geheim gehalten wurde. Lediglich eine vierseitige Zusammenfassung des 170-Seiten-Papiers wurde den Journalisten präsentiert. Die freilich reichte den meisten auch, um die frohe Botschaft mit ebensolcher Euphorie unters Volk zu jubeln: Das Stadtschloß ist machbar! Vielleicht schon ab 2007! In „Public-Private-Partnership" und sogar zu dem bislang angenommenen Preis von 590 Millionen Euro! Na gut, vielleicht auch 670 Millionen. Oder 900 Millionen, wenn man vom oberen Ende der genannten Spanne von „17 bis 30 Millionen Euro" ausgeht, die der Staat jährlich, 30 Jahre lang, für das Prestigeobjekt aufbringen soll.

Dabei wollte Stolpe aus gutem Grund das Gutachten geheimhalten. Denn nach dessen Lektüre kann man seinen Auftritt nur als bewußte Irreführung der Öffentlichkeit interpretieren. Tatsächlich gibt das Papier zu Euphorie keinerlei Anlaß, sondern listet vielmehr zahlreiche Risiken, Einschränkungen, nicht berücksichtigte Kosten und ungeklärte Voraussetzungen auf und weist letztlich nach, daß die Empfehlungen der Expertenkommission für ein Humboldt-Forum innerhalb des Schlosses, die die Grundlage für den Bundestagsbeschluß vom Juli 2002 bildeten, so nicht realisierbar sind.

So stellt die Studie fest, daß zu den angegebenen Kosten lediglich die Hälfte der einst geplanten Nutzungsfläche für das Humboldt-Forum realisiert werden kann: Bezogen auf die Nutzfläche sind die Kosten also in Wirklichkeit inzwischen drastisch gestiegen. Außerdem können über 60 Prozent der geplanten Nutzungen aufgrund räumlich-architektonischer Probleme nicht im Barockschloß untergebracht werden, weshalb das Bauvolumen massiv erweitert werden müßte. So soll das Herzstück des Humboldt-Forums, die außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in zwei völlig neu zu bauenden, 9,5 Meter tiefen Untergeschossen untergebracht werden ­ von denen allerdings bislang noch niemand weiß, ob, wie und zu welchem Preis diese überhaupt gebaut werden können. Ausdrücklich weist das Gutachten darauf hin: „Risiken, die das Konzept und die Unterbringung des Raumprogramms gefährden könnten, liegen insbesondere noch im Bereich der Gründung wegen des U-Bahnbaus und der Gefährdung der Umgebungsbebauung." Die anfallenden Tiefbaukosten samt Abriß der Palast-Wanne, Verlegung von Leitungssystemen, Tieferlegung der geplanten U-Bahn und Sicherung der Umgebungsgebäude sind noch völlig unbekannt und also auch in der Gesamtkalkulation unberücksichtigt, könnten aber die bislang geschätzten Kosten ­ die in einer zweiten Fassung der Machbarkeitsstudie vom 30. August nun schon auf 1,2 Milliarden Euro veranschlagt werden ­ nochmals explodieren lassen.

Wenig Illusionen machen sich die Verfasser der eher nüchtern-skeptischen Studie über die angeblichen Vorteile einer Public-Private-Partnership und die vorgesehenen Privatnutzungen. Mit dem favorisierten PPP-Modell wurde der Öffentlichkeit suggeriert, ein privater Investor baue der öffentlichen Hand das Schloß hin und die Privatnutzungen trügen zur Finanzierung der öffentlichen Nutzungen bei. Doch laut Studie kommen, wenn überhaupt, lediglich ein Hotel und eine Tiefgarage als Privatnutzung in Frage, und selbst das sei angesichts bereits vorhandener Überkapazitäten in Berlin fraglich. Da aber auch das Hotel nicht innerhalb der Schloßfassaden untergebracht werden kann, würde hierfür noch ein weiterer Neubau (hier skizziert als gewaltiger, hahnenkammartiger Klotz) an der Ostseite des Schlosses notwendig. Zur Finanzierung der öffentlichen Nutzungen würden allerdings weder Hotel noch Tiefgarage beitragen, sondern lediglich „die eigenen Bau- und Betriebskosten tragen und mit der öffentlichen Nutzung Synergieeffekte bringen". Wenn aber kein Bedarf für ein Hotel besteht, es nichts zur Finanzierung beiträgt und nur zusätzliche Raumprobleme schafft, für deren Lösung ein weiterer Anbau notwendig wird, stellt sich die schlichte Frage, wozu dann überhaupt noch ein weiteres Hotel samt Garage errichtet werden soll.

Auch das PPP-Modell ist hoch riskant. Grundsätzlich besteht bei einem Vorhaben solcher Größenordnung das Problem, überhaupt einen Investor zu finden. Die Autoren sehen daher das Risiko „eines mangelnden Wettbewerbes zwischen privaten Investoren, die überhaupt in der Lage sind, ein solches Projektvolumen zu bewältigen".

Und dies ist nur ein Teil der Risiken, die das Projekt birgt (eine ausführlichere Analyse und Auswertung der vom Bund beauftragten Machbarkeitsstudie kann im Internet unter www.urbancatalyst.net abgerufen werden), die jedoch von Stolpe geflissentlich verschwiegen wurden. Deutlich wird jedoch, daß die Grundlagen, unter denen der Bundestag 2002 seinen Beschluß zum Bau des Schlosses mit dem Humboldt-Forum faßte, hinfällig sind. Inzwischen geht es statt um die damals geschätzten 590 Millionen Euro um mehr als das Doppelte: 1,2 Milliarden Euro plus die bislang nicht bezifferbare Größe X, die Bund und Land über 30 Jahre lang zu finanzieren hätten ­ übrigens auch für die Rekonstruktion der Schloßfassaden, da die bisher geplante Finanzierung durch Privatspenden wohl nicht zustandekommen wird.

Noch 2003 hatte die „Arbeitsgruppe Schloßareal" unter Christina Weiss zwar eine weitgehend öffentliche Finanzierung favorisiert, die jedoch wegen der angespannten Haushaltslage „nicht darstellbar" sei. Ein PPP-Modell, bei dem man von lediglich 65 Millionen Euro Baukostenzuschuß als „unvermeidbaren einmaligen Belastungen" für die öffentliche Hand ausging, wurde gleichfalls mit Verweis auf die Haushaltslage verworfen. Umso befremdlicher mutet es an, daß genau zwei Jahre später Bundesbauminister Stolpe und Kulturstaatssekretärin Christina Weiss euphorisch ein Modell favorisieren, wonach die öffentliche Hand ein Vielfaches für eine gleichzeitig drastisch reduzierte öffentliche Fläche aufbringen soll. Haben wir in der Zwischenzeit etwas verpaßt, womöglich die Entspannung der Haushaltslage? Noch grotesker mutet die Berliner Haltung an. Das hoch verschuldete (und mit Investruinen wie Bauskandalen bestens vertraute) Land Berlin, das vor dem Bundesverfassungsgericht Sanierungshilfen des Bundes einklagen will und dessen Finanzsenator gerade erwägt, den Bezirken weitere 163 Millionen Euro zu kürzen, dieses Land Berlin will, ohne mit der Wimper zu zucken, ein Viertel der Finanzierung des teuersten Gebäudes übernehmen, das hier je gebaut wurde?

Man sollte meinen, ein veritabler Aufschrei der Empörung ginge durchs Land. Doch das öffentliche Echo bleibt eher verhalten ­ die Springer-Presse ignorierte sogar geschlossen die tatsächlichen Aussagen der Machbarkeitsstudie. In einer vernünftigen, von sachlicher Logik geprägten öffentlichen Debatte lägen die Schlußfolgerungen aus dem Expertengutachten auf der Hand: Salopp gesagt, ist das Schloß nicht nur teuer, man kann auch wenig damit anfangen. Das Humboldt-Forum ist ganz offensichtlich mit der Schloßkubatur und den barocken Fassaden nicht zusammenzubringen. Der Bundestagsbeschluß ist im Grunde obsolet. Also müßte für die gewünschten Inhalte und Funktionen ­ öffentliche Nutzung mit dem Humboldt-Forum und Unterbringung der außereuropäischen Sammlungen im Zentrum ­ eine neue Form gefunden werden. Dafür braucht es eine öffentliche Debatte, die klare Formulierung von Nutzungs- und Raumkonzepten und danach einen Architekturwettbewerb. Bis dahin könnte der Palast der Republik stehen bleiben und weiter zwischengenutzt werden, was die letzten beiden Jahre auf großen Publikumszuspruch stieß. Insbesondere die jüngere Generation scheint mit dem Palastskelett keine ideologischen Probleme zu haben, sondern sieht in ihm pragmatisch eine nutzbare Raum-Ressource und hat wohl kein Verständnis dafür, daß auf ihre Kosten ­ denn sie müßten als Steuerzahler das Schloß auf 30 Jahre hinaus finanzieren ­ heute solche Tatsachen geschaffen werden. Der Architekt Claus Anderhalten hat inzwischen einen überaus einleuchtenden und überzeugenden Entwurf vorgelegt, wonach der Palast als Kultur- und Präsentationsort für museale Sammlungen zumindest zwischengenutzt werden könnte. Die Kosten für die Herrichtung schätzt er auf 60 Millionen Euro (nähere Informationen gibt es im Netz unter www.weltkulturpalast.com). Auch eine längerfristige Zwischennutzung wäre so denkbar.

Doch wenn es um den Schloßplatz geht, scheinen in Bund und Land Logik und ökonomische Vernunft außer Kraft gesetzt. Hier geht es in erster Linie um die Form, nicht um die Funktion, hier pocht man unter der Beschwörung von gar nationaler „Identität" auf ein Bild ­ das Bild der historischen Schloßfassaden ­, sucht dann händeringend nach Inhalten, mit denen sich die leere Form füllen ließe, und hernach will man mit Gewalt zusammennageln, was nicht zusammenpaßt ­ und das auch noch buchstäblich um jeden Preis. Zwar regt sich hier und da auch in der Politik Widerstand. So hat der CDU-Kulturexperte Norbert Lammert bereits öffentlich seine Skepsis angemeldet, und auch die Bauexpertin der Grünen, Franziska Eichstädt-Bohlig, fordert inzwischen den Aufschub des für Dezember geplanten Palast-Abrisses bis auf weitere Klärung, ebenso die PDS und diverse unabhängige Initiativen.

Wenn sich aber pragmatische Vernunft nicht gegen jene hilflos-blinde Verliebtheit in ein Bild durchsetzt, wie sie etwa Angela Merkel ausdrückt („Wenn der Palast erst abgerissen ist, wird sich die Sehnsucht nach dem Wiederaufbau des Schlosses voll entfalten."), dann wird sich zwar der erste Teil des Ulbrichtschen Wahnsinns wiederholen ­ nämlich Abriß. Der Schloßneubau aber wird, angesichts höchst realer leerer Kassen, auf sich warten lassen. Bis dahin wird der Platz auf Jahre hinaus nichts weiter als grüne Wiese sein. Kurioserweise hört man hier und da Gerüchte, es solle sich bei der Begrünung um Moose handeln. Das ist nicht abwegig, da bekanntlich das Grünflächenamt Mitte neue Grünflächen rundweg ablehnt, weil sowohl Geld als auch Personal für die notwendige Pflege fehlen. Das „Herz der Republik" präsentiert sich als weithin bemooste, leere Fläche ­ das könnte man immerhin als adäquaten Ausdruck der derzeitigen Verfaßtheit der Bundesrepublik interpretieren. Und womöglich käme auch wieder das Lieblingswort des Mauerfalljahres 1989 in Mode: Wahnsinn!

Ulrike Steglich

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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