Ausgabe 8 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

ditte & menschenkind

Bündige Mürber

Wie Milcheimerscheppern hört sich der Verkehr an. Ein Auto liegt am Straßenrand und sonnt sich, so ein abgewracktes. „Wie du, mein Lieber", denkt Ditte, die wieder einmal wartet.

Eigentlich sollte sie ihn, dieses Wrack von Mann, das sich Menschenkind nun auch von Ludmilla nennen läßt, zum Teufel schicken mit seiner Ludmilla. Scheißkerl, denkt sie nicht zum ersten Mal, als sie seine humpelnden Umrisse am Ende des Fußgängertunnels am S-Bahnhof Weißensee erkennt. Und wohl nicht zum letzten Mal bildet sich um ihr Herz, das sie sich zum Eisklumpen wünscht, so ein Ofenkachel-Gefühl, das immer wärmer wird, je mehr er sich ihr nähert. „Ludmilla kommt gleich!" ruft er Ditte zu, die ihm in diesem Moment oben auf der Treppe den Ausblick verwehrt. Angriff ist die beste Verteidigung, das weiß er noch aus seiner Volksarmeezeit, wo er im Ernst-Lasker-Club Schach spielen durfte. „Ja, sie kauft sich nur noch eine Prawda, wie sie zu jeder Zeitung sagt!"

Ofenkachel adé, Eisklumpen willkommen! Da kann er sie abschlecken und drücken, wie er will und es auch gerade tut, als ein Handy in seiner Tausendtaschenweste klingelt. „Du hast ein Handy? Du?" Ditte ist außer sich. Ganz Grundsatz, hatte er immer Handies abgelehnt und sie so oft uninformiert stehen lassen, wenn ein Anruf genügt hätte zu einer neuen Verabredung. Er läßt die Empörte stehen und reißt den Klettverschluß auf, „Sluschaju!" ruft er begeistert und sieht an Ditte vorbei, deren Mundwinkel halswärts rutschen. „Jajaja, wir warten."

Menschenkinds Arm legt sich schlangengleich um Dittes Schultern, aber nicht für lange. Sie duckt sich und dreht sich wieder dem Tunnelschlund zu. Es ist eine ... und was für ein Auftritt!

Unwillkürlich macht Ditte diesen Hauch von Frau auf roten High Heels zur ukrainischen Prostituierten. Friedmans Traum, tauft sie das Wesen, das eher schwebt als läuft und von der Ballettprobe heranzuwehen scheint, so trainiert sind die Beine, die bis weit, weit oben zu sehen sind. Eins zwei fix ist sie die Treppe herauf und geht ungerührt an Ditte und Menschenkind vorbei, der sich selbstredend nach ihr umdreht, als er von hinten einen Schlag auf die Schultern verspürt. „Rauchfahne Kohlenpfanne?" Ludmilla lacht. „Karogottogott!" Ohne Widerrede gibt Menschenkind dieser kleinen drahtigen Person seine Zigarette, die im orangefarbenen Behälter der BSR, im Zigarettenteil, verschwindet.

„Täubchen! Problem?" Ludmilla lacht Ditte an. „Wir alle sind bündige Mürber, kanjetschno, klar? Dadadada! Da! Willst du Mord?" Durch die Luft vor Dittes Nase fährt eine geballte Faust, Ludmillas Faust.

„System der Sittlichkeit! Deutscher Mensch Trauer! Menschenkind muß sein gesund!" Ohne Widerrede gibt Menschenkind Ludmilla seine Karoschachtel.

„Karogottogott! Rauchfahnegottogott! Kohlenpfanne besser Gott selbst!" Und wieder lacht sie so glockenhell wie eine russische Nachtigall in der Oper trällert. Ditte schwankt zwischen Mordlust, Entsetzten und Entzücken. „Du Ditte igittigitt! Ziehst Essig in Seele und in Fratze!" Fehlt nur noch das ganz schlimme Wort, denkt Ditte, deren Finger sich automatisch zur Faust formieren. Wann habe ich mich das letzte Mal geprügelt, fragt sie sich, hatte ich da noch Milchzähne, denkt sie, und wird aus ihrem Sinnen mit einem Hieb auf die Schulter gerissen. „Karate?" fragt Ditte und bekommt als Antwort wieder das Nachtigallenlachen. „Ich, Ludmilla Pawlowa, Landesmeister! Aber nicht Karate, Schachmattni!" Die beiden spielen also Schach miteinander, das ist es also, was sie immer wieder machen, redet sich Ditte ein, um ihre Eifersucht zu behandeln. „Nun komm, sei Frosch! Der alte Mann, Ludmilla und Ditte machen zu dritt! Muß sein zu dritt!" Um ihrer Wut Herrin zu werden, lenkt Ditte ab. „Was heißt hier alter Mann! Mein Freund ist zwar etwas angeschlagen, aber kein alter Mann!" Das Glockenspiel vom Kreml ertönt, Ludmillas Lachen. „Sein Spitzname sei, wie Hegel. Bin über promoviert! Müssen machen zu dritt, Experiment für Goethe-Institut! Skat kann man nicht spielen im Kopf, muß Praxis! Bündige Mürber zu dritt!"

Brigitte Struzyk/Dieter Kerschek

www.altenburg.de

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 8 - 2005 © scheinschlag 2005