Ausgabe 7 - 2005 berliner stadtzeitung
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Was ist ein Flyer?

Ein voluminöser Katalog versucht eine Topographie der bunten Zettelchen

Abbildung: aus Buch

Der Raum ist verqualmt, die Musik dröhnt, und ob der Lautstärke ist das Gespräch erst zu einer Brüllerei geworden und dann erstorben. Wer nicht tanzen will, hängt träge an der Bar rum und hält Ausschau nach eventuellen Sexualpartnern. Mitten im ersten zögerlichen Anbaggerversuch flattert plötzlich ein Flyer auf den Tisch. Schrill und bunt kommt er daher und bietet Anlaß, ein Date auszumachen: „Kommst du auch dahin?"

Flyer sind seit den neunziger Jahren das Medium, um Parties zu bewerben, aber auch Performances, Theater oder politische Veranstaltungen. Die Aufmachung gibt meist sofort einen Einblick in das, was einen erwartet und seit der Entstehung dieses Werbeträgers gibt es auch Leute, die Flyer sammeln. Aus einer solchen Sammlung hat nun Mike Riemel mit zahlreichen Gastautoren das Buch Flyer Soziotope. Topographie einer Mediengattung gemacht, das Einblick in diese Art der Kommunikation geben soll. Auf über 600 Seiten wird nicht nur der Flyer in seiner Funktion und Struktur erklärt, es werden auch zahlreiche Beispiele aus unterschiedlichen Ländern präsentiert. Dabei werden sowohl geographische als auch inhaltliche und formale Kriterien beachtet. Schon seit 1998 zieht die Flyersammlung, die diesem Buch zugrundeliegt, als Ausstellung durch die Lande.

Die Texte des gerade erschienenen Buches gehen verschiedenen Fragen nach. Zum Beispiel: Was ist überhaupt ein Flyer? Auf den ersten Blick eine recht sinnlose Frage, da doch jeder meint, Flyer zu kennen. Aber Flyer können in sehr verschiedener Form daherkommen. Im typischen rechteckigen A5-Format oder kleiner, aber eben auch megagroß, fast schon als kleineres Plakat oder Booklet, um verschiedene Veranstaltungshinweise aufzunehmen. Für die Autoren des Buches ist die Frage, was ein Flyer ist, auch deshalb nicht einfach zu beantworten, da sie sich z.B. nicht einig werden, ob auch Handzettel für Ausstellungen und Museen dazuzurechnen sind. Es werden aber auch Fragen zu sozialen, wirtschaftlichen und psychologischen Hintergründen und Zusammenhängen von Flyern in leicht verständlicher Form und sehr kurzweilig behandelt.

Zudem ist immer wieder die Frage nach den Motiven von Flyern und verwandten Formen wie etwa Graffiti von Bedeutung. So werden Fragen nach einer linken Flyerkultur oder dem Sexismus auf vielen Flyern, auf denen mit nakkten Frauen geworben wird, diskutiert. Interviews mit Veranstaltern, Sammlern und DJs, ein Flyer-User-Guide, die Aufwertung von Flyern als verkannte Kunst und vieles mehr runden das Buch ab. Erstellt wurde es in Zusammenarbeit mit dem Archiv für Jugendkulturen, und es ist zweisprachig in Deutsch und Englisch gehalten. Ob die Auswahl tatsächlich das gesamte Flyer-Spektrum zeigt, kann bei der allgegenwärtigen Flut an Flyern in Kneipen und an diversen Veranstaltungsorten wohl kaum beantwortet werden – auch wenn man bei der Zusammenstellung besonderen Wert auf repräsentative Exemplare gelegt hat. Alles in allem gibt das Buch aber einen guten Überblick über die Geschichte der Flyer wie auch der einzelnen Szenen, in denen sie kursierten bzw. kursieren.

Inett Kleinmichel

* Mike Riemel (Hg.): Flyer Soziotope. Topographie einer Mediengattung. Archiv der Jugendkulturen Verlag, Berlin 2005. 40 Euro

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