Ausgabe 7 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Jenseits der Torstraße

Ein Streifzug durch die Galerien im Norden von Mitte

Von Kultur ist die Rede, von Kunst und Galerien, nicht von Religion. Berlin-Mitte und alles, was man sich darunter vorstellt, endet an der Torstraße. Mit der Linien-, der August-, der Sophienstraße war Mitte das wilde Mekka der Kunstszene nach der Wende. Wild und frei und Osten. Mittlerweile hat Mitte sich gemausert, ist gesettelt, arriviert und international. Auch das hat seinen Reiz. Einen ganz besonderen natürlich für Touristen. Besucher aus aller Welt durchkämmen Mitte wie Insektenforscher und treffen dabei doch vorwiegend auf ihresgleichen.

Aber welcher Reisende überquert je die Torstraße zwischen Chaussee- und Brunnenstraße? Hier hört der Spaß dann auf. Viel Verkehr und viel Hundescheiße bilden eine fast undurchdringliche Barriere. Doch wie es so ist, manches, besonders Kultur, entwickelt sich gerne ein wenig abseits, im toten Winkel, auf dem blinden Fleck, dort, wo man dachte, es gäbt nichts zu sehen. Kurz und gut. Ein Gang über die Torstraße lohnt. Der Kunstkalender KunstMitteNord führt in dieser Gegend bereits 16 Ausstellungsorte auf, und das sind bei weitem nicht alle, die es gibt. Eine ziemlich zufällig entstandene Auswahl von zehn Galerien soll hier besprochen werden. Sie ist auch dazu gedacht, neugierig auf alles darüber hinaus zu machen.

Die Nummer eins auf dem Faltblatt KunstMitteNord ist die Architektur Galerie Berlin in der Ackerstraße 19. Die Galerie wurde 1998 in Leipzig gegründet und ist seit 2000 in Berlin-Mitte zu Hause. Schwerpunkt ist zeitgenössische Kunst, die Architektur und Raum bzw. Farbe und Struktur thematisiert. Darüberhinaus gehört die Zusammenarbeit mit Architekten im Rahmen von Ausstellungsinstallationen zum Programm. So wird die Schnittstelle zwischen Kunst und Architektur von mehreren Seiten beleuchtet. Der Inhaber ist Ulrich Müller. All das und noch mehr kann man auf der Website www.architekturgalerieberlin.de nachlesen. So, daß ab dem 16. September Michael Reisch Architekturfotografie zeigen wird.

An zweiter Stelle steht die brot.undspiele Galerie in der Gartenstraße 2. Die Galerie heißt tatsächlich so, obwohl man es kaum glauben möchte. Auf dem Flyer stellt sich die Galerie wie folgt vor: „Die Galerie brot.undspiele präsentiert Künstler, deren Arbeiten unkonventionelle Impulse in die Kunst hineintragen. Schwerpunkt sind dabei zeitgenössische Werke der letzten 30 Jahre. Im Rahmen unserer Ausstellungen interessiert uns insbesondere das Spannungsfeld zwischen den Arbeiten der verschiedenen Künstlergenerationen. Zu den Ausstellungen wird ein interdisziplinäres Begleitprogramm stattfinden: Video- und Filmvorführungen, Künstlergespräche, Vorträge, in denen das allgemeine Zeitgeschehen thematisiert wird." Ab dem 10. September stellen hier Lars und Renate Brandt, Kinga Dunikowski und Natalia LL. aus.

dasfundbüro, angeblich in der Schröderstraße 3, konnte ich weder im Internet noch im wirklichen Leben finden. Das mag ja programmatisch sein. Zumindest wird Stephanie Bothoer mit einem „work in progress" ohne Zeitangabe angekündigt. Viel Spaß beim Suchen!

In der Schröderstraße 10 werden ab 1. Oktober Christiane Baumgartner und Marcel Bühler bei Echolot ausstellen. Elf Künstler und eine Galeristin bilden zusammen die Projekt-Galerie Echolot. Aus verschiedenen Genres sind Künstler mit sehr unterschiedlichen künstlerischen Positionen vertreten. Die Galerie ist eine Plattform junger zeitgenössischer Kunst, die maßgebliche Themen der aktuellen kreativen Produktion junger deutscher Kunst reflektiert. Die Altersspanne der „Echoloter" liegt zwischen 26 und 39 Jahren. Die Website www.echolot-berlin.com ist ausgesprochen edel. Wenn das ein Maßstab fürs kommende Programm ist, kann man durchaus gespannt sein.

In der Emerson Gallery, Gartenstraße 1, bekam ich einen sehr schönen Ordner mit Pressematerialien. Ein Blatt zur Emerson Gallery Berlin und drei weitere Blätter zum Sommerfest der Malerei, das die Sommerzeit sehr sehenswert füllte. Am 10. September wird dort die Ausstellung von Inge Mahn eröffnet. Ansonsten: Das Programm der Gallery des aus New York stammenden Inhabers Russell Radzinski stellt aktuelle Tendenzen zumeist junger Kunst vor, ohne medienspezifisch ausgerichtet zu sein. Ein kulturelles Rahmenprogramm dient der Erörterung von Fragen, die durch die präsentierte Kunst aufgeworfen werden.

Ebenfalls im Hause Gartenstraße 1 findet man die Galerie für Zeichnung namens fruehsorge, www.fruehsorge.com. NULLA DIES SINE LINEA also KEIN TAG OHNE LINIE lautet die Begrüßung auf der Homepage. Das hat Stil. Die Galerie wurde im Oktober 2003 eröffnet. Ihr Programm ist ­ der Name sagt es ­ ausschließlich dem Medium Zeichnung gewidmet und versucht, ein möglichst breites Spektrum gegenwärtiger internationaler Zeichenkunst vorzustellen. Zeichnung ist eine andere Art von Sprache lautete vor einigen Jahren der Titel einer Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste. Diese Sprache läßt sich schwerlich in eine andere übersetzen, ihre Grammatik jedoch läßt sich anschaulich machen. Mit der Sommerausstellung Viermaleinsauszweitausendsechs gab es jeweils eine Kostprobe von den Künstlern, die 2006 in der Galerie ausstellen werden, Appetithäppchen sozusagen. Am 9. September, eine Woche vor dem Galerienwochenende, eröffnet aber erst mal die Ausstellung von Cloud Heath ­ mit Zeichnungen natürlich.

KioskShop berlin (KSb) nennt H. N. Semjon seine Ausstellungsräume in der Schröderstraße 1. Die auf Dauer angelegte Installation simuliert einerseits einen kleinen Kiezladen, andererseits spielt das Kunstwerk mit den Wahrnehmungen und löst Reflexionen über die Warenwelt und deren Vertrieb aus. Im Mittelpunkt des begehbaren Kunstwerkes sollen über 2000 „Product Sculptures" stehen. Es sind mit gebleichtem Bienenwachs überarbeitete Produktpackungen samt Inhalt: Brandt Zwieback, Ariel Waschmittel, Coca-Cola-Dosen, Zeitungen und Zeitschriften, Süßigkeiten, Zigaretten und vieles mehr. Wie in einem Geschäft sind sie seriell in dafür entworfenen und gebauten Ladenmöbeln aufgestellt. Die malerisch weißen und fremd wirkenden Produktskulpturen, das minimalistische Design der weißen Möbel und der hell erleuchtete Raum schaffen Distanz und transzendieren das wohlbekannte Ladenambiente in eine andere Wahrnehmungs- und Erkenntnisebene. Für den 11. Oktober ist die „Intervention XVII" mit Martin von Ostrowski angekündigt.

Japan in der Schröderstraße 12: Im Atelier&Galerie oko, www.galerie-oko. de, arbeitet die japanische Künstlerin Hana USUI. Zusammen mit ihrem Ehemann Marcello Farabegoli organisiert sie Ausstellungen japanischer Kunst. Es werden insbesondere traditionelle Werke mit modernen Ansätzen und zeitgenössische Werke mit Bezügen zur Tradition gezeigt. Die Ausstellungen nehmen unter dem Titel Japan in der Schröderstraße 12 am „Japan-EU-Jahr der Begegnung 2005" teil und werden von der japanischen Botschaft unterstützt. Ab 16. September ist eine Sonderausstellung zu sehen mit den Künstlern Ohno Takashi, Torii Michiko und Usui Hana.

Junge norwegische Kunst und Architektur zeigt PROJEKTOO47 in der Tieckstraße 10. Einladungskarte und Website zeigen die Silhouette eines Tannenwaldes, der in Bewegung geraten ist und sich wohl auf den Weg macht. Norwegischer Wald unterwegs nach Berlin? PROJEKTOO47 versteht sich als Ausstellungs-, Arbeits- und Entwicklungsraum. Je nachdem, was gerade überwiegt, gibt´s etwas zu sehen oder nicht. Derzeit zeigen Kyrre Bjorkas und Rune Andreassen eine Ausstellung mit dem Titel 1/32 And Bloody Eclectic (www.projekt0047.com).

Seit Januar 1997 arbeitet die Galerie Schuster mit ihrem Partner Klaus Scheuermann unter dem Namen Galerie Schuster/Scheuermann in Berlin zusammen. Die Berliner Galerie befindet sich in der Gartenstraße 7. Schwerpunkt des Ausstellungsprogramms ist internationale, zeitgenössische Malerei. Dabei sind die Austauschausstellungen mit renommierten Partnergalerien Teil der Philosophie der Galerie. Die Galerien Schuster, Frankfurt, und Schuster/Scheuermann, Berlin, sind regelmäßig auf internationalen Kunstmessen vertreten, unter anderem auf der Art Cologne und dem Art Forum Berlin und den Scope-Messen in New York, London und Miami. Am 16. September eröffnen neue Arbeiten von Peter Bonde die Herbstsaison.

Susanne Gerber

* Alle aufgeführten, wie auch auch alle anderen Galerien im Bereich MitteNord beteiligen sich am Galerienwochenende OPEN WEEKEND am 16. und 17. September, geöffnet von 19 bis 23 Uhr. www.kunstmittenord.de

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