Ausgabe 7 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Kurzkultur

menschenmöglich

Nur vier kurze Jahre lang, von 1927 bis 1931, stand in unmittelbarer Nähe des Reichstags statt häßlicher Protz- und Bürobauten ein einmaliges Kulturinstitut. Die legendäre Krolloper versammelte viele der fortschrittlichsten Musiker und Theaterleute der damaligen Zeit. Unter der Leitung von Otto Klemperer wurden Werke u.a. von Arnold Schönberg und Igor Strawinsky aufgeführt, Natalja Satz führte Regie, Ewald Dülberg entwarf Bühnenbilder; die Schlie-ßung dieses Laboratoriums der Avantgarde war ein Vorbote des Nationalsozialismus und der Kampagnen gegen „entartete Kunst". Ähnlich avanciertes Musiktheater hat es seither in Berlin nicht mehr gegeben. Die Künstlerin Margret Holz stellt nun in einer Ausstellung die Frage: „Was ist geblieben von dem Experiment Krolloper?" Fotomontagen, Videos sowie Text- und Bilddokumente laden zur Beschäftigung mit diesem faszinierenden Kapitel der Berliner Musikgeschichte ein.

* „Experiment Krolloper 2005" von Margret Holz, noch bis zum 13. November im Mitte Museum am Festungsgraben, Am Festungsgraben 1, Mi, Fr, Sa und So 13 bis 17 Uhr

menschenleben

Die Verbrecher versammeln sich schon länger nicht mehr im Kaffee Burger, sondern im Festsaal Kreuzberg. In der Verbrecherversammlung am 20. September tritt nun ein bewährtes Duo auf: D. Holland-Moritz, dessen Texte in der Pop-Tradition der sechziger und siebziger Jahre stehen, und der Musiker Bernhard Steudel, der mit dem Akkordeon in Aktion tritt. Die veranstaltenden Verbrecher sehen in diesen Arbeiten eine „Literatur der Existenz" und versprechen einen „halluzinativen" Vortrag. Im Mittelpunkt der Darbietung steht dabei der Text „Gothic City" aus Holland-Moritz' Buch Lovers Club.

* D. Holland-Moritz und Bernhard Steudel performen am 20. September um 20.30 Uhr im Festsaal Kreuzberg, Skalitzer Str. 130, Eintritt 4 Euro

menschenskind!

Das Theater an der Parkaue in Treptow, scheinbar ein Lieblingskind des Kultursenators Thomas Flierl, ist gut alimentiert, während die kleinen und mittleren Theater darben müssen. Die kleinste Landesbühne, darauf verweisen jetzt kritisch die Grünen, erhält eine Million Euro mehr als die zehn Theater, die mit den Geldern der sogenannten Projektförderung auskommen müssen, zusammen. Die Fördergelder sind jetzt schon wieder gekürzt worden und betragen nunmehr 4,5 Millionen Euro. Das wird dem Kleinen Theater am Südwestkorso und der Tribüne wohl das Leben kosten, die von der Evaluierungskommission jetzt nicht mehr berücksichtigt wurden. Alice Ströver, die kulturpolitische Sprecherin der Grünen, meint dazu kritisch: „Der Senator steht vor dem Scherbenhaufen einer Fördersystematik, die 1998 einmal mit den Stimmen aller Fraktionen beschlossen wurde. Berlin verliert weitere Theater mit langer Tradition."

menschenkunde

Autsch! Manche Wortspiele tun wirklich weh. Da wird jetzt im Wedding ab 1. September jeden Donnerstag zum „Donners Talk" geladen ­ von der nimmermüden Truppe des Prime Time Theaters, die den Bezirk schon seit einiger Zeit von ihrer Bühne aus mit Witzchen versorgt. Am Donnerstag wird nun der „bekannte holländische Showmaster" Rudi van de Grachtenhoven (hihi!) aktiv. Das Thema der ersten Gesprächsrunde lautet: „Ich will in eine Randgruppe". Aber gehört man als Comedy-Komödiant im Wedding nicht ohnehin einer solchen an?

* „Donners Talk", jeden Do um 20.15 Uhr im Prime Time Theater, Osloer Str. 16, Wedding, Eintritt 5 Euro

menschenhand

Wer wie der Schreiber dieser Zeilen in Deutschland nicht wahlberechtigt ist, darf nicht hingehen, denn als Eintrittskarte gilt die Wahlberechtigung. Nicht sehen werde ich also ContraVision 2005, das „Filmfestival der Wahl". Die Stichworte für das Kurzfilm-Festival in der Brotfabrik lauten: no budget, international, digital und gute Laune, denn es soll „nix Frustriertes" gezeigt werden, was dann doch an der Filmauswahl zweifeln läßt. Woher die Laune kommen soll? Vom Wahlergebnis oder von den animierten, inszenierten und dokumentarischen Filmen?

* „ContraVision 2005: das Filmfestival der Wahl", vom 15. bis 18. September Brotfabrik-Kino, Caligariplatz, Weißensee, www.contravision.de

menschenkind

Viele scheinschlag-Leser blättern als erstes auf die Seite 3, lassen Aktualitäten Aktualitäten sein und beginnen ihre Lektüre mit der Kolumne. Die wird seit nunmehr zwei Jahren von einem Autorenduo bestritten ­ von Brigitte Struzyk und Dieter Kerschek. Die beiden legen Wert auf die Feststellung, nicht identisch zu sein mit ihren Figuren „Ditte und Menschenkind" ­ so auch der Titel der Kolumne ­, und lesen am 17. September in der Strandbar Weißensee aus diesen Texten. Wir sehen uns dort!

* „Ditte und Menschenkind. Geballtes aus Berlin und anderswo" mit Brigitte Struzyk und Dieter Kerschek, am 17. September um 20 Uhr in der Strandbar Weißensee am Weißen See, Weißensee

menschengeschlecht

Malermodell, Karrierefrau mit Perversionen, Reisende durch die Geschlechter, unschöne Mutter: Alles das ist die schottische Schauspielerin Tilda Swinton. Sie taucht in Derek Jarmans Film über den schwulen Maler Caravaggio als androgyne Figur auf, und anläßlich der Jarman-Retrospektive im August, bei der dieser Film zu sehen war, sind die Programmgestalter im Kellerkino Arsenal auch auf die Idee verfallen, einmal Tilda Swinton in den Mittelpunkt einer Reihe zu stellen. Sie spielte in der Virginia Woolfe-Verflimung Orlando ebenso wie in Female Perversions ­ einem Film über die Perversionen der zeitgenössischen Arbeitswelt. Und in Teknolust ist Swinton gleich vier Mal zu sehen, denn in dem 2002 entstandenen Film geht es um Roboter, künstliche Intelligenz und Menschenzüchtung.

* „Eine Tilda macht noch keinen Sommer" – Retrospektive Tilda Swinton von 3. bis 16. September im Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, Tiergarten, www.fdk-berlin.de

menschenraub

Eine Frau im Schatten eines berühmten Mannes: So ein Fall ist auch der von Zenzl Mühsam, der Frau Erich Mühsams, an die jetzt mit einer Veranstaltung erinnert wird. Die bayerische Bauerntochter heiratete den jüdischen Apothekersohn 1915 und „bestrickte den brotlosen Dichter mit ihren Kochkünsten", wie es in der Ankündigung des Vortrags über Zenzl Mühsam ulkig heißt. Ihr Leben war allerdings weniger ulkig: 1918 stand sie mit Erich Mühsam in München auf den Barrikaden, nach dessen Ermordung 1934 floh sie nach Prag und war dann 20 Jahre lang in sowjetischen Lagern inhaftiert. Erst 1955 konnte die 71jährige „Anarchistenwitwe" nach Ost-Berlin zurückkehren. Uschi Ottens Referat über Zenzl Mühsams Leben am 23. September wird zusammen mit Folkmusik dargeboten.

* „Den Tagen, die da kommen, gewachsen zu sein. Das Leben der Zenzl Mühsam in Briefen und Dokumenten" von Uschi Otten, am 23. September um 19 Uhr im Café E. Malatesta im Haus der Demokratie, Greifswalder Str. 4, Prenzlauer Berg

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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