Ausgabe 7 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Virulent, kraß, geladen

Eine Ausstellung beschäftigt sich mit Punk in der DDR

Seit dem 26. August zeigt das Künstlerhaus Bethanien im Salon Ost die Ausstellung „ostPUNK! ­ too much future". Als Kuratoren fungierten Henryk Gericke und Michael „Pankow" Boehlke, die beide der DDR-Punkszene entstammen. scheinschlag sprach mit Henryk Gericke.

Was ist die Idee der Ausstellung?

Punk in der DDR hat eine Geschichte, und wie jede halbwegs interessante Geschichte ist sie es wert, erzählt zu werden. Es geht um eine Dokumentation, aber nicht nur, weil wir uns ganz bewußt auch abgrenzen wollen von der Ausstellung Bohème und Diktatur, die vor Jahren im Deutschen Historischen Museum stattfand. Die Biographien, die dort präsentiert wurden, wurden 1989, mit dem Ende der DDR, abgebrochen. Das wollen wir vermeiden, indem wir auch über die Zeit nach 1989 hinausgehen. Wir werden einzelne Lebensläufe bis heute zumindest anreißen, z.B. von den Gebrüdern Lippok, die heute als Musiker in den Bands Tarwater und To Rococo Rot zugange sind. Uns geht es auch darum, nicht nur Leute zu porträtieren oder Arbeiten zu präsentieren von Künstlern, die einen Iro hatten, sondern es gab ja auch Zeitgenossen, die ­ ohne Punk zu sein ­ diese Lebenshaltung verinnerlicht hatten oder von ihr beeinflußt waren wie Bert Papenfuß oder Conny Schleime. Uns interessiert nicht, an den äußerlichen Grenzen des Punk-Outfits Halt zu machen, sondern wir werden auch Leute zeigen, die sehr frei waren in einem Staat, der unfrei war.

Gibt es unter den von euch Porträtierten auch Leute, die sich damals nicht als Künstler verstanden, die sich nur als Punks definierten?

In vielen Bands der ersten Generation von 1979 bis 1983 waren Punks, die danach keine Musiker oder Künstler geworden sind. Die sind Köche geworden, Computerexperten oder sonst was. Wir können in der Schau auf diverse Band-Biographien verweisen, auf Biographien einzelner, die sich in ein bürgerliches Leben verabschiedet haben oder jahrelang als Fallensteller in Kanada unterwegs waren. Aber die Frage ist insofern berechtigt, weil die Leute, die Kunst gemacht haben, natürlich auch am exponiertesten sind, um sie bei einer Ausstellung zu präsentieren.

Mir scheint, daß der heutige Blick auf Punk damals, im Osten wie im Westen, überschwemmt wird von der im Umfeld von Punk entstandenen Kunst, von Künstlern, die nicht nur vorzeigbarer, sondern auch beredter sind als der Dorf-Outlaw, der seinerzeit auf der selbstgebastelten Gitarre schrammelte, und seine trinkfreudigen Freunde. Und der Künstler besitzt entsprechend die Deutungshoheit über alles, was damals geschah.

Mir geht es ganz ähnlich, zumal die Präsentationen zum Thema dann ja auch noch äußerst dürftig und beliebig sind, wie z.B. die Ausstellung lieber zuviel als zuwenig in der Oranienstraße, die dann eher zu wenig zeigte. Wir versuchen natürlich erst einmal die Szene, wie sie sich anfangs entwickelt hat, auch frei von diesem ganzen Kunstding, zu porträtieren. In der Ausstellung gibt es wohl ein fifty-fifty-Verhältnis von „Punk-beeinflußter Kunst" und Punk als reiner Lehre. Die Ausstellung ist eine Kombination von Dokumentation und Kunstschau, aber es ist auch viel Musik zu hören, es gibt Filme, Flyer usw. zu sehen. Es gibt aber natürlich auch Verweise auf Erfurt und Leipzig; da wird die Beziehung von Punk und Kunst schon eine größere Rolle spielen, weil die ab '84/'85 einfach bestand.

Andererseits bebildern wir aber auch die sehr einmalige Konstellation Punk und Kirche, die es so wahrscheinlich nur in der DDR gab, und wir porträtieren die Ursuppe an Bands: Planlos, Namenlos, Wutanfall, Schleim-Keim. Zudem haben wir einen Raum in der Ausstellung, der ausschließlich der ganzen Repressions- und Verfolgungsgeschichte gewidmet ist. Wir zeigen dort ziemlich drastische Zuführungs- und erkennungsdienstliche Fotos, die sprechen für sich, nicht aber von Kunst.

Worin siehst du den Unterschied zwischen Westpunk und Ostpunk?

Der Unterschied besteht für mich darin, daß im Osten eine Subkultur auf eine Diktatur geprallt ist und nicht auf einen Staat, der zumindest ein demokratisches Selbstverständnis pflegte. Subkultur und Diktatur schließen einander aus. Die Spannung, die dadurch entstand, setzte eine Energie frei, die gleichwohl ständig halb erstickt wurde. Man wurde drangsaliert, konnte sich aber nicht einfach einen Anwalt nehmen; du warst den Leuten, die dich hindern wollten, ausgeliefert. Mit 16, 17 hat natürlich noch niemand die Brisanz dessen überschaut, was da auf einen zukam, wenn man sich so auf die Straße gewagt hat. Dir war es z.B. verwehrt, zu studieren oder aber wenigstens die sozialistischen Staaten zu bereisen. Dem Reiseverbot ging ja nicht selten schon ein allgemeines Bewegungsverbot voraus. Viele Punks hatten Alex-Verbot oder überhaupt Berlin-Verbot, ihnen wurde ein sogenannter PM 12, ein „vorläufiger Ausweis", verpaßt, damit hat sich ihr Radius drastisch eingeschränkt. Im Westen hatte Punk ganz andere Konsequenzen, da gab es die Toten, durch die Drogen, die es im Osten so nicht gab. Jede Szene hat ihren Preis bezahlt. Auch wenn man Ost- und Westpunk auseinanderhalten muß, sind die ersten Wochen und Monate, diese Initialzündung, diese Euphorie, Punk für sich zu entdecken und Punk zu sein, wohl ganz ähnlich abgelaufen. Dann ging die Entwicklung aber sehr schnell auseinander. Ein ganz simpler Unterschied war, daß Punks im Westen, zumindest theoretisch, nach London fahren und sich die Konzerte von Clash oder den Buzzcocks anhören konnten. Wir haben versucht, uns über irgendwelche verrauschten Radiokanäle mit dem entsprechenden Stoff zu versorgen. Der Lärm, den man da aufnahm, ging dann gewissermaßen als stille Post durch viele Hände, meistens als x-te Kopie einer Kopie.

Mir ist bei der Vorbereitung der Ausstellung mal der Vorwurf begegnet, daß die Ostpunk-Geschichte nicht die Stars, die was zu erzählen haben, bietet wie die Westpunk-Geschichte. Nun richtet sich aber die Güte von Biographien und Stories nicht nach dem Bekanntheitsgrad derer, die sie erlebt haben. Zumal eben auch darin ein Unterschied bestand. In der DDR konntest du als Punkmusiker kein Popstar werden, in Westeuropa erwiesenermaßen schon.

Neben Privatparties oder Konzerten in Kirchen hatten Punkbands ohne offizielle Spielerlaubnis kaum Auftrittsmöglichkeiten in der DDR. Gab es Nischen?

Da gab es z.B. diesen Jugendclub Extrem, das war in einem Dorf in der Niederlausitz, in Lugau, wo Alex Kühne einen Jugendclub installiert hat und sich trotz permanentem Ärger behauptet hat gegen die Behörden vor Ort und dort permanent Punkbands und New-Wave-Bands einlud. Das ist ein gute Gelegenheit zu zeigen, daß Punk auch außerhalb der sogenannten Zentren stattfand und der von dir zitierte Dorf-Outlaw nicht nur der Village Fool war.

Ist die Ausstellung Ostberlin-zentriert?

Ganz und gar nicht. Wir wollten ganz bewußt den Fehler vermeiden, Ostberlin zum Hot Spot der Ostpunkgeschichte zu machen, sondern wir haben auch einen Fokus auf Leipzig gerichtet, wo die Punks nicht weniger Temperament hatten als in Berlin. Und dann gab es natürlich noch diese in der DDR einmalige Geschichte in Erfurt, letztendlich ein Thüringer Kaff, wo mit Schleim-Keim die ­ neben Wutanfall und L'Attentat aus Leipzig ­ einzigen Punkstars der DDR herkamen. In Erfurt gab es zudem die enge Verzahnung von Punk und Kunst, interessanterweise gerade von Punkszene und Frauenkunstszene. Das zeigen wir auch.

Was gab den Impuls, diese Ausstellung zu machen?

Ursprünglich war es so, daß Pankow und ich einen Sampler mit DDR-Punkbands der ersten Stunde machen wollten. Aber vor acht Jahren reichte der Atem nicht. Später gab es mehrere Dinge, die dafür gesorgt haben, daß wir das Projekt wieder neu aufgenommen haben. Zum einen die Lektüre von England's Dreaming von John Savage, einem Buch von jemandem, der aus der Szene kommt, der aber mit relativer Distanz und einer gehörigen Portion Humor die Geschichte von Punk in England beschreibt. Zum anderen, daß wir immer wieder mit dem Film Störung Ost konfrontiert wurden, einem Film über Ostpunks, der 1996 erstmals ausgestrahlt wurde. Wir, wie auch große Teile der ehemaligen Szene, sind nicht glücklich mit diesem Film, weil er das Gewicht allzu sehr auf die Verfolgungsschiene lenkt, ohne zu zeigen, warum diese Leute verfolgt wurden ­ eben weil sie sich Freiheiten nahmen, die in der DDR bis dahin praktisch undenkbar waren. Dieser Film strahlt eine Larmoyanz aus, die uns ziemlich auf den Zünder geht. Die Idee war, dem etwas entgegenzusetzen, weil das der Film ist, der ständig im Fernsehen lief und der immer als Standardwerk zur Ostpunkszene rezipiert wird.

Wir wollten einen anderen Film machen, der sich auf die Musikszene konzentriert, vor allem auf die frühe Musikszene bis '83, und gerade auch deren bizarren Momente porträtiert und erst danach als logische Konsequenz zeigt, daß diese Szene schwer verfolgt wurde. Dieser Film, mittlerweile in Arbeit, wird aber auch einen Schritt in die Gegenwart gehen und zeigen, was aus den ehemaligen Aktivisten geworden ist, ob sie diese Zeit geprägt hat oder nicht. Wir versuchen wie in der Ausstellung ganzheitlich vorzugehen und ein rundes Bild von den Leuten, die damals unterwegs waren, abzuliefern. Und zu der Idee, einen Sampler und einen Film zu machen, kam später der Gedanke, okay, wir können auch eine Ausstellung machen.

Inwieweit sind die Leute, die damals Teil der Szene waren, an der Ausstellung beteiligt?

Die Texte zur Berliner, zur Leipziger oder auch zur Weimarer Szene, zum Verhältnis von Punk und Kirche, zur Glatzenszene sind alle verfaßt von Leuten, die direkt aus dem jeweiligen Umfeld kommen. Anfangs dachten wir, daß wir die Ausstellungstexte selbst schreiben sollten, damit sich ein Tonfall wie ein roter Faden durch die Ausstellung zieht. Dann entschlossen wir uns aber, das heterogener zu präsentieren und verschiedene Leute zu Wort kommen zu lassen. Darüberhinaus unterstützten uns eine Menge Leute mit Material und ihrem Know-how.

Was hältst du selbst für wichtig an diesem Projekt?

Ich will eine Geschichte erzählen, deren Teil ich war. Mir ist wichtig, daß im Gegensatz zu anderen Publikationen, Filmen usw. das bizarre Element dieser Szene gezeigt wird. Daß auch wirklich klar wird, wie virulent, wie kraß, wie geladen diese Szene war und wie hilflos am Anfang die Kripo und die Staatssicherheit waren. Die haben sich ja erst 1982 auf die Kinder, die wir waren, eingeschossen. Ich möchte nicht die Szene in Abhängigkeit von der Stasi porträtiert wissen. Deswegen haben wir auch sehr bewußt der Stasi nicht den letzten Raum gewidmet, sondern den vorletzten, damit sie nicht das letzte Wort behält ­ wie sie es damals eigentlich immer hatte.

Die Staatssicherheit hatte wohl das letzte Wort bei einzelnen Aktionen, aber nicht in Bezug auf das Gesamtphänomen Punk in der DDR ...

Das stimmt. Die Punks haben natürlich nicht den Zusammenbruch des Disziplinarregimes DDR herbeigeführt, sie haben aber sehr wohl auch zu einer Instabilität beigetragen, die am Ende das System hat kollabieren lassen. Trotzdem gelang es der Stasi so ab '84/'85, die Szene in Teilen zu befrieden; einige Bands haben sich für eine Spielerlaubnis, weil sie Ambitionen oder einfach Schiß hatten, vereinnahmen und in den DDR-Kulturbetrieb integrieren lassen. Wir haben in der Ausstellung jedoch darauf verzichtet, auch solche Bands, die in der Grauzone zwischen Legalität und Illegalität agierten, zu porträtieren, weil sie, z.B. Feeling B, die ganze Aufmerksamkeit von kleinen Kapellen, von denen noch nie geredet wurde, wie Namenlos oder Unerwünscht abziehen würden. Diese Bands kennt niemand, die sind bis heute Subkultur geblieben.

Interview: Jörn Luther

* Die Ausstellung „Ostpunk – too much future" ist noch bis zum 25. September im Salon Ost, Saarbrücker Straße 20 zu sehen, Mittwoch-Sonntag 15-20 Uhr, donnerstags 15-22 Uhr.

Der Ausstellungskatalog kostet 10 Euro.

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