Ausgabe 7 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Bunter! Wilder! Größer!

Neue Runde im Konsumtempel-Bau: Jetzt noch mehr drin!

Zwischen Alexanderplatz und Jannowitzbrücke herrscht seit Monaten Hochbetrieb. Aber keine Weihnachtsmarktkarussells, sondern Bagger sind hier Tag und Nacht am Werk. Immerhin zwölf Jahre ist es her, daß ein Entwurf zur Neugestaltung des Alexanderplatzes ausgewählt worden war, der fortan liebevoll als „Hochhausgewitter" bezeichnet wurde. Hier sollten jene Konzernzentralen, die scharenweise in die neuerkorene Hauptstadt einfallen würden, einziehen und Berlins Weltstadt-Anspruch bekräftigen. Doch die Zentralen blieben lieber, wo sie waren. Nach und nach nahm die Zahl der projektierten Wolkenkratzer ab, von 13 auf zehn, dann auf sechs. Und inzwischen wird dort, wo es vor einem Dreivierteljahr noch nach gebrannten Mandeln roch, tatsächlich am ersten Baustein des Neo-Alexanderplatzes gebastelt. Nur das dazugehörige Hochhaus ist nicht dabei.

Vom Werbeschild strahlt uns „Alexa" entgegen. Alexa soll Berlins größtes Einkaufszentrum werden. Die Investoren wollen jedoch keinen der üblichen Ring-Park-Linden-Center-Kästen hinwürfeln. Nein, das Ganze soll „Glamour" haben. Und Spaß machen.

Der Alexanderplatz wird allerdings nicht als einziger mit den Segnungen des zeitgemäßen Einzelhandels beglückt. Zahlreiche neue Einkaufszentren sind gerade in Bau oder Planung. An der Steglitzer Schloßstraße gleich zwei Stück, desweiteren in Charlottenburg, Marzahn und Tempelhof. Der neue Lehrter ­ pardon: Hauptbahnhof ­ stellt sich als Shoppingcenter mit Gleisanschluß heraus. Europa- und Ring-Center sollen erweitert werden, gerüchteweise könnten auch das Bikini-Haus, zwischen Zoo und Breitscheidtplatz und sogar das Monster ICC zu Malls mutieren.

Neben dem Trend hin zu größeren Anlagen mit bis zu 200 Läden sind mehr Unterhaltung, mehr Stil und mehr Auffälligkeit gerade ganz groß angesagt. Kaum eines der Projekte ist kein „Hybrid", das mehrere Nutzungen miteinander verbindet. Meist werden die zahlreichen Geschäfte durch Kinos, Diskotheken, Fitness-, Wellness- oder Bowling-Center ergänzt. Ausstellungen, Veranstaltungen und Attraktionen sollen die BesucherInnen dazu bewegen, sich möglichst lange unter dem schützenden Dach des Konsums aufzuhalten.

Neu für Berlin ist, daß Shopping- Malls unverwechselbar gestaltet werden. Das fast fertige „Eastgate" am S-Bahnhof Marzahn versucht mit seiner eigenwilligen Architektur schon von Weitem ins Auge zu fallen, und soll dies mit einer nächtlichen und großraumdiskotauglichen Lichtinszenierung untermalen.

Gegen dieses Schaut-mal-alle-her-Spektakel wirken die Pläne für die Schloßgalerie Steglitz etwas gediegener. Die im Geiste verwandten Strategien, jedoch angewendet auf eine andere Zielgruppe, ergeben hier ein Disneyland der wilheminischen Warenhaus- und Passagen-Ästhetik. Wechselnde Motive sollen an das Deckengewölbe projiziert werden, so daß die entzückten Konsumwilligen sich mal unter freiem Himmel, mal im Aquarium wähnen. Wenn da mal kein Dach- oder Wasserschaden zu ungwollt realistischen Inszenierungen führt ...

Während Fachleute schon seit Jahren davor warnen, daß Berlin unter einem Überangebot an Verkaufsflächen und Einkaufszentren leide, wird der Druck munter erhöht. Um im Konkurrenzkampf bestehen zu können, entstehen neue Konsumtempel an besonders vielversprechenden Orten, und sie werden so gestaltet, daß sie die älteren Kaufhäuser in Sachen Größe, Design und Angebotsvielfalt ausstechen können. Erst recht jedoch die vielen kleineren Geschäfte, die ohne überdachte Straße, Centermanagement und Hausordnung in Streulagen und in den Kiezen um ihre Kunden bangen müssen.

Die neuen Shoppingmalls sind zwar nicht direkt schuld daran, doch sie verstärken einen ohnehin stattfindenden Trend zur Umstrukturierung des Einzelhandels: Zentralisierung, Filialisierung, Erlebnis-Orientierung und die Hinwendung zu Räumen ohne Störfaktoren, die das Einkaufen beeinträchtigen könnten. Außen vor bleiben all jene, die weniger mobil sind, die sich „Event-Shopping" nicht leisten können und diejenigen, die vom Wachschutz gleich wieder hinausbefördert werden.

Übrig bleiben jede Menge leerstehender Ladenlokale, die auf neue Ideen warten, hin und wieder auch mal ein verwaistes Center und die Frage, wohin uns das Zeitalter der Malls noch führen wird ­ und was danach kommen wird.

Tobias Höpner

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 7 - 2005 © scheinschlag 2005