Ausgabe 7 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Von leeren Theatern und der Subversion des Internet

Zur Situation von Kunst und Medien in arabischen Ländern

Mit der vielbeschworenen Zivilgesellschaft ist es so eine Sache. Sie fällt nicht vom Himmel, sie muß vielmehr erstritten, erfleht, erarbeitet, erstreikt werden, und sie braucht immer Aktivisten, die „es" tun, diese kleine unentwegte und unerschütterliche Schar von Ehrenamtlichen und Unterbezahlten. Damit diese wiederum stellvertretend für die übrigen Faulen den Mächtigen die Zivilgesellschaft abringen können, brauchen sie Versuchslabors, in denen sie mit Stift, Papier und Pinsel den neuesten Verein, neudeutsch NGO genannt, erfinden können – einen Verein, der sie ihrem Ziel wieder ein Stück näher bringt, ihr Menschenbild mit der Wirklichkeit in Deckung zu bringen. Oder eine Zeitung oder einen Artikel oder oder oder. Hierzulande steht die Existenz einer freien Kunstszene nicht in Frage, daß Kunst und Medien sich entfalten können, ist unbestritten. Eine institutionelle Zensur mag es nicht geben, aber was ist mit Rücksichtnahmen aus wirtschaftlichen Interessen, mit „Entwortung" von Radioprogrammen und aus Zeitmangel abgeschriebenen Presseerklärungen?

Es ist natürlich nicht alles Gold, was glänzt ­ das wurde den arabischsprachigen Teilnehmern einer von der Heinrich-Böll-Stiftung am 15. und 16. August veranstalteten Konferenz deutlich vor Augen geführt. Zum Dialog eingeladen waren vier junge Kulturjournalisten aus Marokko, Ägypten, Libanon und Palästina, um über die Folgen von Globalisierung in ihren Ländern zu berichten und Einblicke in die deutschsprachige Szene zu bekommen. Die Veranstaltung ist Teil des Projektes „Living-Globality" der Böll-Stiftung, das auf Vernetzung von Journalisten, Kulturschaffenden, Wissenschaftlern und Künstlern aus Europa und den arabischsprachigen Mittelmeeranrainern abzielt.

Die Unterschiede könnten kaum größer sein: Während deutsche Vertreter wie Tanja Busse, Journalistin bei WDR 3, und Thierry Chervel von perlentaucher.de um die Gründe des Kulturkahlschlags und der Suche nach neuen Formen mit dem Weblog-Autor Rainer Meyer alias Don Alphonso stritten, erzählten die arabischen von den kleinen grünen, mühsam kultivierten Halmen ihrer heimatlichen unabhängigen Kulturszenen. So berichtete Radwa Thabet aus Ägypten, daß 60 Prozent der Einwohner ihres Landes Kunst für trivial und unwichtig halten. Nur in den beiden Großstädten Alexandria und Kairo gebe es überhaupt ein Publikum für Kulturveranstaltungen ­ das aber eben inzwischen nicht mehr am Gang ins staatliche Theater interessiert sei, auch wenn die Eintrittskarte nur 20 Cent kostet. Denn zu Hause vor dem Fernseher ist es kuscheliger und einfacher.

Ahmed al-Attar von Ägyptens einziger kultureller NGO, der Emad Eddin Stiftung, berichtete, daß einige der staatlichen Theater an drei Tagen der Woche nicht spielten ­ aus Mangel an Publikum. Andererseits hätten viele Schauspieler Ende der achtziger Jahre weder in den verkrusteten staatlichen Theaterinstitutionen, noch in den profitorientierten Vergnügungstheatern einen Platz gefunden. Seitdem haben sich in Kairo zahlreiche freie Theatergruppen gebildet, und jedes Jahr entstehen ein bis zwei neue unabhängige Kulturinstitutionen. Aber die Bedingungen seien schwierig, denn unter der neuen NGO-Gesetzgebung sei es dem Sozialministerium erlaubt, den Vorstand einer Einrichtung ohne Begründung auszutauschen. Viele Einrichtungen sind daher als Tochterfirmen von ausländischen NGOs organisiert, dürften jedoch von der Muttergesellschaft ohne Zustimmung des Ministeriums keine Finanzmittel annehmen. Der 20 Jahre jungen ägyptischen „Zivilgesellschaft" fehle es außerdem an ausgebildeten Kulturmanagern.

Insgesamt auffallend ist die Aufbruchstimmung unter den arabischen Teilnehmern, wobei einschränkend zu bemerken ist, daß alle aus Ländern kommen, die inzwischen über freie Kunstszenen verfügen. Journalisten aus Tunesien und Syrien hätten hier ganz anderes zu erzählen gewußt. Immerhin berichtete Wissam Saadeh von der Beiruter Zeitung as-Safir über die schwierige Situation im Nachbarland Syrien. Da syrische Zeitungen staatlich kontrolliert sind, tummelt sich alles im Internet oder schreibt als Opposition für die libanesische Zeitung an-Nahar. Alle zwei bis drei Wochen wird über die Schließung einer syrischen Webseite diskutiert. In Tunesien betreibt der Staat eine massive Blockadepolitik von Webseiten, Besitzer von Internetcafés sind sogar gezwungen, ihre Kunden beim Klicken zu kontrollieren. Begründung: Islamisten würden Seiten wie die von yahoo für ihre Zwecke nutzen.

Das Internet gilt diesen Staaten noch als subversiv. In allen Ländern ist es verfügbar und bis zu einem gewissen Grad bezahlbar. In Marokko kostet der Anschluß zu Hause monatlich 20 Euro. Aber auch in Marokko gestaltet sich die kulturelle Arbeit nicht eben einfach. So berichtete Yassin Adan von der Hiphop-Band Fnaïre aus Marrakesch, die nach dem Bombenanschlag vom Mai 2003 in Casablanca ihr gegen die Islamisten gerichtetes Video Hände weg von meinem Land vom staatlichen Fernsehen ignoriert sah. Allgemein vernachlässigten die konservativen staatlichen Medien die Jugendmusikszene völlig, die immerhin 70 Hiphop-Bands, darunter eine Mädchenband, zu bieten habe. Stattdessen werden marokkanische Haushalte mit libanesischen Dream-Cashmashine-Serien à la StarAcademy versorgt, die es dem Publikum überlassen, per SMS ihren Lieblingssänger zum Star zu machen, Doku-Soaps natürlich eingeschlossen.

Die seichte TV-Unterhaltung der privaten libanesischen Sender ist attraktiv wie nie. Um allerdings deren beliebte Live-Diskussionssendungen zu sozialen Themen mit Anrufen aus der ganzen Welt zu sehen, muß man schon per eigener Satellitenschüssel zuschalten, ins staatliche marokkanische Fernsehen werden sie nicht übernommen. So haben Handy, Satellitenschüsseln und immer mehr auch das Internet die mediale Revolution herbeigeführt. Allerdings sei staatliches Fernsehen heute auch keine Hofberichterstattung mehr, meint Aktham Suliman, Korrespondent und Leiter des Berliner Büros des Nachrichtensenders al-Jazeera – dem Sender, der die arabischsprachige Nachrichtenszene revolutioniert hat. Die Veränderung spiegelt sich in einem Witz: „Bauern sitzen in irgendeinem arabischen Dorf vor dem Fernseher, draußen sind Schüsse zu hören. ´Schalt mal um auf BBC, dann wissen wir, was los ist!'" Diese Zeiten sind zum Glück vorbei.

Katja Brinkmann

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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