Ausgabe 7 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Für ein Bethanien als Zentrum der Künste und des sozialen Lebens!

Am 19. August hat die Kreuzberger „Initiative Zukunft Bethanien" ein Bürgerbegehren ­ das erste in Berlin ­ eingereicht, um den Verkauf des Bethanien zu verhindern und das Gebäude zu einem soziokulturellen Zentrum auszubauen. Wir dokumentieren im folgenden die Forderungen der Initiative.

MDie imposante Eingangshalle mit ihren hohen, filigranen Säulen, über denen sich eine bogenreiche Galerie erhebt, scheint eher in einen sakralen Bau als in ein Krankenhaus zu führen. König Friedrich Wilhelm IV. geizte nicht mit Zuwendungen aus der Staatskasse, um der Öffentlichkeit zu zeigen, daß die Monarchie sich um die Kranken sorgt und damit auch auf das bedrohliche Anwachsen der „gefährlichen Klassen" im Gefolge der beginnenden Industrialisierung reagiert. Doch kaum war das Haus fertiggestellt, traten auch schon die Revolutionäre von 1848 auf den Plan, und Theodor Fontane, der im Bethanien 15 Monate lang die hauseigene Apotheke leitete, berichtet: „Meine Übersiedlung fand gerade an dem Nachmittage statt, wo Bürgerwehr und Volk auf dem Köpenicker Feld herumbataillierten, so daß ich, ich war mit einem Male mitten in einer Schützenlinie, unter Flintengeknatter meinen Einzug in Bethanien hielt."

Nicht nur dieser Pulverdampf hat sich längst verzogen, auch die rebellischen Bewegungen und kulturpolitischen Ideen der siebziger Jahre scheinen heute fast vergessen. Das Haus wirkt, als habe es eine Pause von seiner jüngeren Geschichte genommen, die für einen Moment von den Besetzern aus dem Wohnprojekt in der Yorckstraße 59 gestört wurde. Auch der Beschluß der Bezirksregierung vom 10.12. 2002, das Haupthaus des Bethanien in den großen Topf des zu verscherbelnden kommunalen Eigentums zu werfen, berührte die öffentliche Meinung zunächst kaum. Seit Juni findet nun in Kreuzberg wieder ein regelmäßiges Kiezpalaver statt, aus dem heraus wir unsere „Initiative Zukunft Bethanien" gebildet haben. Was zunächst als ein Treffen von 70 Menschen im Casino des Bethanien begann, entwickelt sich inzwischen zu einer Werkstatt für eine andere Zukunft des Hauses als derjenigen, die der phantasielosen Bezirksregierung vorschwebt.

Seit eineinhalb Jahren verhandeln Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (PDS) und Wirtschaftsstadtrat Lorenz Postler (SPD) mit dem Investor Michael Arend, der aus dem Haus ein „Internationales Kulturelles Gründerzentrum" machen will, nun aber die Verhandlungen vorläufig unterbrochen hat. Über sein Konzept ist öffentlich wenig bekannt, allein gewinnbringend muß es schon sein ­ für ihn natürlich. Das Bezirksamt erklärt, durch eine Privatisierung Kosten einsparen zu wollen, konnte aber bis heute keine nachvollziehbare Gesamtrechnung vorlegen. Schließlich geht der Großteil der Kosten von jährlich gut 600000 Euro, die das Bethanien zur Zeit verursacht, in die Kunst- und Werkstättenförderung einschließlich deren Personal- und Nebenkosten. Zwar soll deren Raumbedarf „geprüft" werden, aber die öffentliche Förderung dieser Einrichtungen steht ja zum Glück (noch?) nicht in Frage. Vielmehr dürfte eine Privatisierung eher teurer werden. Zusätzliche Gelder etwa in Form von Sanierungszuschüssen müßten fließen, vielleicht in der stadtbekannten Weise: als Folge erst nachträglich vom Investor kräftig nach oben korrigierter Kosten.

Tatsächlich steht das Bethanien spätestens seit der Gründung der Künstlerhaus GmbH 1975 für einen alternativen, eben nicht rein betriebswirtschaftlichen, sondern demokratischen Typus von Kulturpolitik und für einiges mehr. 1968 zum Abriß freigegeben, um einem modernen Wohnkomplex zu weichen, besetzten 1971 arbeitslose Jugendliche, Obdachlose, Studierende und Künstler das ehemalige Schwesternhaus. In den siebziger Jahren wurde es zu einem umkämpften und symbolischen Ort für die neuen Bewegungen gegen kapitalistische Stadtzerstörung sowie für die kiezbezogene soziale und kulturelle Arbeit. Protest und Widerstand machten deutlich, wie wichtig ein solcher Ort für die Menschen und für die Entwicklung eines Quartiers ist. Allein die politische Verbindung zwischen dem Sozialen und dem Wunsch nach selbstorganisierter Kultur machte auch das Künstlerhaus überhaupt erst möglich und führte zugleich zur Gründung einer Reihe von nachbarschaftlichen Einrichtungen wie einer Mittagsküche, einer türkischen Bücherei, einer Musikschule und offenen Werkstätten. Seitdem trugen zahlreiche Feste, Begegnungen und Performances zum interkulturellen Austausch und zu einem Lebensgefühl bei, das von der Wertschätzung von Vielfalt und Eigeninitiative geprägt ist. Noch vor wenigen Jahren befanden sich 32 Initiativen im Bethanien. Zuletzt wurden das Seniorenzentrum und die Bibliothek aufgelöst. Heute sind nur noch die Musikschule, die Räume des Kulturamts, die Künstlerhaus Bethanien GmbH, mehrere Druckwerkstätten einschließlich Papierschöpfung, ein Jugendsportclub und die Kita übrig geblieben ­ allesamt Einrichtungen, die sich bestens bewährt haben. Die Initiative Zukunft Bethanien vermag keinen Gegensatz zu sehen zwischen den bestehenden Nutzungen und der Erneuerung der sozialen und soziokulturellen Tradition des Hauses.

Eine solche Erneuerung ist umso nötiger, als die materiellen Lebensbedingungen im Kiez sich insbesondere seit der Einführung von Hartz IV zusehends verschlechtert haben. Hohe Erwerbslosigkeit und unterdurchschnittliche Einkommen prägen SO 36 seit langem. Armut ist weit mehr als Mangel an Geld. Armut beeinflußt die Gesundheit, die Lebenserwartung und die Ernährung, sie versperrt den Menschen den Zugang zu Bildung und Kultur. Schamgefühle und stille Verzweiflung verfestigen die soziale Isolation. Armut betrifft heute in erschreckendem Ausmaß vor allem Kinder und Jugendliche, die zudem schon seit langem unter den Kürzungen der kommunalen Kulturetats leiden. Wir haben unsere Initiative gegründet, weil wir nicht gleichgültig zusehen werden, wie ein wachsender Teil der Bewohnerinnen und Bewohner von der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben abgeschnitten wird.

Es geht darum, aus dem Bethanien wieder einen lebendigen öffentlichen Ort der sozialen Kultur, der Künste und der Kommunikation zu machen! Einen Ort für Kinder und Jugendliche ebenso wie für Familien und Senioren. Einen Ort, wo Initiativen und Projekte Beratung und Wissen anbieten. Das Bethanien muß weder „neu erfunden" noch darf es zur Beute von Investoren werden, wohl aber bedarf es einer öffentlichen Debatte um ein erweitertes Nutzungskonzept, das den langjährigen Leerstand im Hauptgebäude beendet, ohne das Haus dem öffentlichen Gebrauch zu entziehen.

Das Bethanien würde zu einem exemplarischen Ort, der ernst nimmt, was öffentlich gebetsmühlenhaft beschworen wird: die soziale Stadt. Mit „Bürgerbegehren" und „Bürgerentscheid" gibt es seit kurzem die Möglichkeit für Bewohner eines Bezirks, direkt in Entscheidungsprozesse der Lokalpolitik einzugreifen. Am 19. August haben wir das erste Bürgerbegehren in Berlin eingereicht, um den Verkauf des Bethanien zu verhindern und die öffentliche Debatte um die Zukunft des Bethanien als eines Zentrums für die Künste, die Soziokultur sowie das soziale Leben anzufeuern. Mit der Sammlung der nötigen Unterschriften wird unsere Initiative zugleich eine „öffentliche Wunschproduktion" ankurbeln, die aufsammelt, was eine phantasielose Bezirksregierung liegen läßt!

Wolfgang Lenk/Initiative Zukunft Bethanien

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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