Ausgabe 7 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Erinnerung, Zerstörung, Untergang

Lakonie und Melancholie: Zwei Bildbände beschwören die Hauptstadt der DDR

Wenn ich, als Westler, in den achtziger Jahren Ost-Berlin besucht habe, war ich einerseits abgestoßen von der Atmosphäre eines kleinkarierten Obrigkeitsstaats mit seinen allgegenwärtigen lächerlichen Parolen. Andererseits erlebte ich die weitgehend werbe- und beleuchtungsfreie Stadt, in der die Zeit irgendwann in den fünfziger oder sechziger Jahren stehengeblieben war, angenehm entspannt und fand ihre Bewohner authentischer als im Westen. Jetzt sind zwei Bildbände veröffentlicht worden, die an die einstige Hauptstadt des Arbeiter- und Bauernparadieses erinnern.

Ost-Berlin ist erstmals 1987 erschienen, und zwar ausschließlich im Westen, was bei den Mächtigen in der DDR verständlicherweise zu Verdruß geführt hat. Denn das Buch enthält Aufnahmen des 1954 in Radebeul geborenen Fotografen Harald Hauswald, die den Alltag in Ost-Berlin darstellen, ohne ihn zu beschönigen. Im Zentrum dieser Bilder stehen Menschen. Keine glücklichen Werktätigen, sondern Besoffene, Spieler, arme Alte, Punks, Teilnehmer an illegalen Hinterhofkonzerten oder tumbe FDJler. Außerdem kann man auf den überwiegend in Prenzlauer Berg und Mitte aufgenommenen Fotos sehr schön sehen, wie diese Stadtteile vor ihrer Sanierung ausgesehen haben.

Der Text des Bandes von Lutz Rathenow paßt zwar inhaltlich zu den Aufnahmen, erreicht jedoch leider bei weitem nicht deren Qualität. Zwar beschreibt er anschaulich das Spitzelwesen und die Atmosphäre vorauseilenden Gehorsams, aufgrund derer die Anwendung direkten Zwangs durch staatliche Stellen meist gar nicht mehr nötig war. Aber Rathenows bedeutungsschwangerer Stil steht in krassem Gegensatz zur Lakonie der Bilder. Etwa beim Fernsehturm ­ „ein steinerner Riesenfinger, streng nach oben gereckt. Wem zur Mahnung?" Oder der „Mauer als Motor, der permanent Spannung erzeugt. Sie fordert heraus, zwingt vieles Alltägliche, sich seiner Oberflächlichkeiten zu entschälen, um auf den Kern zu kommen ­ möge er auch ungenießbar sein." Oh wehn'. Zudem strotzt der Text von Bildern, die ziemlich schief daherkommen. Da hißt die Stadt ihren Rauch, schwimmt der Bus mit „Lampen als hilflosen Sonnen" im Nebel, sind „Antennen in den Himmel gereckte Wurzeln, um die Welt einzusaugen". Bitte wie?

Die Fotografin Wiebke Loeper hat mit MOLL 31 ein sehr persönliches Buch veröffentlicht. Der Titel verweist auf die Adresse des Anfang der siebziger Jahre in der Mollstraße 31 erbauten Hochhauses, in dem Wiebke Loeper die ersten 17 Jahre ihres Lebens verbracht hat. Das Gebäude war nicht nur ein Beispiel für den modernen Baustil in der DDR, in ihm wurde auch das Experiment „Variables Wohnen" erprobt. In einer solchen Wohnung mit veränderbaren Zwischenwänden lebte Wiebke Loeper mit ihrem Vater, einem Architekten, und ihrer bereits Anfang der Achtziger verstorbenen Mutter.

Das Haus gibt es ebenfalls nicht mehr. Es mußte bereits im Sommer 1989 wegen mangelhafter Fundamente geräumt werden. Der Abriß folgte erst 2002, verzögert unter anderem durch Naturschützer, denn zwischenzeitlich hatten sich Mehlschwalben eingenistet.

Loeper stellt den Fotos ihres Vaters von dem bewohnten und belebten Gebäude ihre eigenen aus der Zeit nach der Räumung gegenüber, wobei sie meist denselben Ausschnitt gewählt hat. So ist neben dem Bild ihrer schwangeren Mutter im Bad derselbe Raum mit abgeschlagenen Kacheln und leeren Pappkartons zu sehen, Müll und lose Kabel statt Weihnachtsbaum und spielender Kinder. Insbesondere mit dem Wissen um den frühen Tod der Mutter entsteht trotz der unsentimentalen Darstellung ein bewegendes Dokument der Erinnerung, von Zerstörung und Untergang. Der Band enthält einen sehr schönen und einfühlsamen Text von Annett Gröschner, in dem sie kurz die Geschichte des Hauses und von Loepers Familie beschreibt und der wunderbar mit der melancholischen Stimmung der Bilder harmoniert.

Frank Fitzner

* Harald Hauswald/Lutz Rathenow: Ost-Berlin. Leben vor dem Mauerfall. Jaron Verlag, Berlin 2005. 12 Euro.

* Wiebke Loeper: MOLL 31. Edition J. J. Heckenhauer, Berlin 2005. 29,80 Euro

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