Ausgabe 6 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Zur Herkunft der Timo Beil Collection

Während meiner journalistischen Arbeit als Fotograf für stadt.plan.mitte lernte ich Timo Beil im März 2003 anläßlich eines Interviews kennen. Das Gespräch fand in der Kiautschoustraße im Stadtbezirk Wedding statt. Herr Beil bewohnte eine Hinterhof-Parterrewohnung, zusammen mit einem etwas verwahrlosten, aber freundlichen Hund. Mir fiel auf, daß trotz der beachtlichen Fläche die Räume klein und beengt wirkten. Das mag zum einen am spärlichen Tageslicht gelegen haben, andererseits wurde der Blick auf die Wände von hohen Metallregalen verdeckt, wie man sie aus dem Baumarkt kennt. Darin stapelten sich mehr oder weniger geordnet verschiedene Arten Kisten und Kartons, eine unüberschaubare Menge Videokassetten und haufenweise Zeitungen und Magazine.

Anlaß des Interviews war der von Timo Beil geäußerte Verdacht einer durch finanzielle Einflußnahme herbeigeführten Entscheidung im Bezirksamt bezüglich des Verkaufs einer kommunalen Brachfläche an einen bekannten Lebensmittel-Discounter unter Verkehrswert. Daß der ca. 50jährige Mann mit dem zerfurchten Gesicht und den rotblonden Haaren nicht fotografiert werden wollte, mußte ich akzeptieren ­ enttäuscht war ich dennoch. Nach dem Ende des Gesprächs brachte uns Herr Beil zur Tür. Der Redakteur gab mir draußen zu verstehen, daß wir diese Geschichte erst einmal auf Eis legen würden, bis die Bewilligung zur Finanzierung unserer Zeitung für das nächste Jahr im Bezirksamt beschlossene Sache sein würde.

Etwa zwei Monate später bekam ich unerwartet Post von Timo Beil. Ich vermutete, daß er nun endlich bereit sei, sich fotografieren zu lassen bzw. neue Beweise erhalten hätte, die seinen Verdacht erhärten könnten ­ oder gleich beides. Stattdessen hielt ich eine Karte in der Hand, die außer einer Folge aus Buchstaben und Ziffern, versehen mit der Aufforderung „etwas" aus einem Postfach in der Müllerstraße abzuholen und sich dessen anzunehmen, kein weiteres Wort an mich enthielt. Mit einem leicht beklommenen Gefühl ging ich am folgenden Tag zur Post (der Hund konnte es zum Glück nicht sein ­ ein Schäferhund-Collie-Mischling paßt nicht in ein Postschließfach!). Trotzdem zögerte ich einen Moment, bevor ich den Code eingab. Nachdem ich mich zweimal vertippt hatte, öffnete sich die Tür, und mir fielen diverse prall gefüllte A4-Umschläge entgegen. Eilig verstaute ich sie in einer geräumigen Reisetasche und machte mich auf den Weg nach Hause. Der Inhalt überforderte mich zunächst: Es waren alte und neuere Fotografien, Postkarten, aus Zeitungen und Magazinen sauber herausgetrennte Bilder und größere Mengen unbeschrifteter CDs. Die Bilder, soviel war nach kurzer Durchsicht klar, hatten nichts mit dem Interview-Thema zu tun.

Ich versuchte, Timo Beil zu erreichen, zuerst telefonisch, dann fuhr ich vorbei und klingelte. Die Nachbarin, die nach einer Weile ihre Tür einen Spalt weit öffnete, verriet mir, daß Herr Beil verschwunden sei. Die Polizei wäre auch schon da gewesen, wie sie mir mit einem Anflug von Schadenfreude versicherte. Einige Tage später fand ich die Wohnung versiegelt vor.

Allmählich und nur mühsam konnte ich mir einen Überblick über die Sammlung verschaffen. In einer Pergaminhülle voller Zeitungsfotos fand ich eine mit Bleistift geschriebene Notiz. Es war die Bitte von Timo Beil, daß ich mich der Bilder annehmen möge und diese, wenn möglich, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Mirko Zander (im Januar 2005)

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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