Ausgabe 6 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

musik für die massen

Verspielt

Um die neue CD von Bohren & Der Club Of Core angemessen zu beschreiben, wäre es sinnvoll, zwischen jedem Buchstaben eines Wortes eine Reihe Freizeichen zu lassen und den Abstand zwischen den Worten auf mindestens eine Seite auszudehnen. Auf Geisterfaust (Wonder) zelebrieren Bohren die absolute Verlangsamung. Die Großzügigkeit, mit der jedem Ton Zeit und Raum zugedacht werden, ist geradezu verschwenderisch. Dadurch entsteht eine insgesamt minimalistische und fast schrullig geizige Komposition. Fünf Stükke, benannt nach den einzelnen Fingern der Hand, entschleunigen so weit, daß selbst der Megastau zum Sommerferienanfang als Autorennen durchgehen könnte. So dauert es eine geraume Weile, bis überhaupt der erste Ton von Zeigefinger – dem 20minütigen Auftaktstück – zu hören ist. Wenn jeder Ton so viel Raum bekommt, wächst auch seine Bedeutung, und es entsteht zwangsläufig Spannung, die in einer absurden Bewegung den üppig bemessenen Raum wieder verengt und ihn zur Implosion bringt.

Nicht ganz so aufgeladen und wesentlich entspannter flaniert die Berliner Combo Micatone durch die entlegenen Gefilde des Jazz. Waren die beiden ersten Veröffentlichungen noch stärker im elektronischen Clubsound beheimatet, so ist das neue Album Nomad Songs (Sonar Kollektiv) eher so etwas wie eine Reisebeschreibung. Nomad Songs bewegt sich zwischen Samba und Bossarhythmen, Funk und Reggae, Pop und Avantgarde. So kam es beispielsweise bei dem Lied Trouble Boy zur Zusammenarbeit mit EAR aka Demba Nabe von dem Berliner Dancehall-Raggae-Projekt Seeed. Von Jazz ist da nur noch wenig zu hören ­ bis auf die wirklich tolle Stimme der Sängerin Lisa Bassenge.

Als Überleitung würde sich jetzt so was wie „noch verspielter gibt sich ein Sampler mit dem Titel Childish Music (Hausmusik)" anbieten. Musiker aus Japan, den USA und Japan toben also über Casio-Kinderzimmer-Pianos und produzieren lustige Dada-Sounds. Doch bis auf das erste Stück, den Mika-Bubble- Song vom Fan Club Orchestra, geben sich alle anderen Tracks ganz schön erwachsen. Zwar ist hier und da mal der eine oder andere neckisch-lustige Sample eingefangen, aber insgesamt ist das Projekt recht pädagogisch. Die von Ekkehard Ehlers zusammengetrommelten Künstler wollen gute Musik für smarte Kids und aufgeschlossene Erwachsene machen. Und das ist so verkehrt ja nicht, denn momentan befindet sich die Bezeichnung Childish Music unangenehmerweise noch komplett im Würgegriff der Jamba-Fick-Dich-Ins-Knie-Und-Lad-Mich-Runter-Klingeltoncharts: Vermeintlich witzige Melodien, gemacht um die Welt zu tyrannisieren und Kinder und Jugendliche für blöd zu verkaufen, versehen mit beknackten Illustrationen, die sich hohllaufende Webdesigner-Birnen ausgedacht haben. Pädagogische Ansätze sind also gar nicht immer schlecht, und Kinder- bzw. kindliche Musik kann auch richtig toll sein.

Marcus Peter

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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