Ausgabe 6 - 2005 berliner stadtzeitung
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Jagd um den Globus

Ein Buch über Arbeiterkämpfe und Globalisierung

Die Debatten über Kapitalismus und Globalisierung werden über weite Strekken von zwei gegensätzlichen Ansichten beherrscht: einer Wehleidigkeit, die jegliche Alternative zu einer expandierenden neoliberalen Weltordnung der Naivität oder der marxistischen Nostalgie bezichtigt, und dem Hype um eine weltweit operierende Multitude, die so phantasievoll, unberechenbar und wohlig warm solidarisch ist, daß endlich die Träume einer Internationalen der Unterdrückten wahr werden.

Die US-amerikanische Soziologieprofessorin Beverly J. Silver entgeht diesem fruchtlosen Grabenkrieg, indem sie sich schlicht auf ihre Wissenschaft verläßt, die immerhin einst wichtige Geburtsstätte kapitalismuskritischer Denkansätze war. In ihrem jetzt auf Deutsch erschienenen Buch Forces of Labor untersucht sie angenehm unideologisch und etwas übertrieben didaktisch aufbereitet, ob die allgegenwärtige Rede von Krise oder Wiedererwachen der Arbeiterbewegungen durch soziologische Erhebungen gedeckt ist. Sie stützt sich dabei auf die Datenbank der World Labor Group (WLG), die an der New Yorker Binghamton-Universität aus Zeitungsartikeln der New York Times und der Londoner Times eine Dokumentation von Arbeiterkämpfen weltweit von 1870 bis heute erstellte. Diese Datenbank kann zwar keinen vollständigen Überblick über die von Silver sogenannte Arbeiterunruhe ­ jeglichen Widerstand gegen die Behandlung von Arbeitern als Ware einschließend ­ geben, ermittelte aber aufschlußreiche Wellen, Tief- und Hochpunkte.

Silvers Schlußfolgerungen mögen auf den ersten Blick wenig überraschend sein, sind sie doch ganz in akademischer Tradition im wesentlichen relativierend: Sicherlich sind durch die global agierenden Großkonzerne die Lebensbedingungen von Arbeitern in der Ersten und Dritten Welt angeglichen worden, aber die Einkommensunterschiede zwischen den Ländern sind nach wie vor eklatant, größer als die innerhalb eines Landes. Die Hoffnung, es hätte sich mittlerweile eine internationale Klasse von Arbeitern herausgebildet, die aufgrund ihres ähnlichen Schicksals an einem Strang ziehen würde, scheint demnach eher den vorschnellen Vergleichen mit Entwicklungsstaaten geschuldet zu sein, die man in der Ersten Welt gerne bemüht, wenn der neue Armutsreport erschreckender ausfiel als erwartet. Zudem führt Silver mehrere Beispiele an, in denen Arbeiter nicht in erster Linie die bösen Kapitalisten angriffen und sich mit ihren Klassengenossen solidarisierten, sondern protektionistisch den weiteren Ausschluß von Arbeitern aus Niedriglohnländern, Migranten, Frauen oder Unqualifizierten forderten.

Auch gegen die These, den Ärmeren ginge es immer schlechter, weil die Nationalstaaten zunehmend an selbstbestimmter Handlungsmacht verlören und ihren Bürgern aufgrund des internationalen Konkurrenzdrucks um Wirtschaftsstandorte nicht mehr die gewohnten Sozialsysteme und Lohngarantien sicherstellen könnten, merkt Silver an, daß Globalisierung weder nur vom Kapital noch durch anonyme Strukturen, sondern durchaus auch von mächtigen Staaten absichtsvoll vorangetrieben wird.

Die Hauptthese Silvers findet sich in ihrer Diskussion um den angeblichen „Wettlauf nach unten": Wenn in einem Land die Löhne zu hoch, die Arbeitszeiten zu kurz und das Mitspracherecht der Untergebenen zu fest verankert ist, droht das Kapital mit Abwanderung samt seiner Arbeitsplätze, bis überall auf der Welt die Arbeitsstandards so weit gesenkt und die Unternehmer zufriedengestellt sind. Laut Silver läßt sich dieses Szenario aber auch weniger defätistisch nacherzählen. Die aus der Datenbank der WLG ermittelten Wellen von Arbeiteraktionen wie Streiks, Demonstrationen, Sabotagen, Dienst nach Vorschrift, Absentismus und sogar Trunkenheit und Pfusch weisen ein bestimmtes Muster auf: Sobald die Unternehmen eine für sie wenig lukrative Region verlassen, wird dort zwar die Arbeiterbewegung nachhaltig geschwächt, aber nur, um am Ort der Neuansiedlung nach kurzer Zeit aufzuflammen.

Das mag zwar für hiesige Arbeiter wenig tröstlich sein, gehören sie doch gerade zu denen, die von den Unternehmen zunehmend links liegengelassen werden, von einem weltweiten Siegeszug des Kapitals kann dennoch nicht die Rede sein. Und für die Debatte um die Globalisierung kann es durchaus einen Unterschied machen, ob man immer nur davon spricht, daß „die Wirtschaft" sich weitere Märkte und Arbeiterreserven erobert, oder davon, daß das von Profitabilitätsraten abhängige Kapital von widerständigen Proletariern über den Globus gejagt wird und dabei die gerade zurückgelassenen Unruheherde mit exportiert.

Ein weiterer Schwerpunkt des Buches liegt in der Einführung von Begrifflichkeiten, die die Chancen auf verbessernde oder zumindest erfolgreich defensive Arbeiterbewegungen auszuloten hilft. So führt Silver Unterscheidungen ein, um die je spezifische Macht der Arbeiter in bestimmten Zeiten, Regionen und Produktionsbereichen zu skizzieren, aber auch solche für die verschiedenen Strategien, mit denen die Unternehmen auf schwindende Gewinne reagieren. Zwar mag diesen Begriffen etwas erzwungen Systematisches anhaften, wie man es aus der Soziologie recht häufig gewohnt ist, doch befruchtet Silver dennoch durch die Einführung von mittlerweile leicht in Vergessenheit geratenen Fragestellungen die Debatten darüber, wie dem Neoliberalismus überhaupt beizukommen ist. Da ihre Abhandlung fast vollständig aus der Sicht der Arbeiter abgefaßt ist, lädt sie – wenn auch nicht explizit – dazu ein, sich die Begrifflichkeiten und Unterscheidungen anzueignen, um konkrete Strategien zu entwickeln, die zwar kaum das kapitalistische System infragestellen können, aber immerhin die mehr oder weniger große Macht der Lohnabhängigen effektiver und nachhaltiger einzusetzen helfen.

Katrin Scharnweber

* Beverly J. Silver: Forces of Labor. Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870. Verlag Assoziation A, Berlin 2005. 18 Euro

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