Ausgabe 6 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Eine ganz normale Beschäftigung

Die Hurenorganisation Hydra in einer Ausstellung

Der Streit, wie mit Prostitution umzugehen sei, tobte schon oft im Sündenbabel Berlin. So schrieb Carl Röhrmann in Der sittliche Zustand von Berlin nach Aufhebung der geduldeten Prostitution des weiblichen Geschlechts 1846: „Zu den großen Köpfen der Hydra, die den gesellschaftlichen Verband erstickend umschlingt, gehört die Prostitution im Zusammenhange mit der Demoralisation und dem Verbrechen." So forderte er ein hartes repressives Vorgehen gegen die Huren. Dagegen versuchten die sogenannten Abolitionisten, die in der bürgerlichen Frauenbewegung Unterstützung fanden, die Prostitution zu dulden, selbstverständlich ohne sie gutzuheißen. Anne Papritz denunzierte 1931 die medizinischen Zwangsuntersuchungen und polizeilichen Meldepflichten gefallener Mädchen schlicht als Doppelmoral: „In unseren Augen ist die Prostitution kein ´notwendiges', wohl aber ein unausrottbares Übel. Was wir ablehnen ist die ´Reglementierung', die den Zweck verfolgt, durch Präventivuntersuchungen der männlichen Nachfrage einwandfreie ´Ware' zur Verfügung zu stellen."

Mittlerweile haben sich diejenigen durchsetzen können, die die Prostitution als immerwährende Begleiterscheinung menschlicher Gesellschaften akzeptieren. Der Name der ersten autonomen Hurenorganisation Deutschlands ist kein Zufall: Der Berliner Verein Hydra verweist auf die neunköpfige Schlange der griechischen Mythologie, der gleich zwei Köpfe nachwachsen, wenn man ihr einen abschlägt. Doch nicht nur das Unverwüstliche, sondern auch das Kämpferische sollte mit diesem Namen betont werden ­ Hydra tat sich Zeit seines Bestehens vor allem durch provokante Aktionen hervor, die sowohl auf die gesellschaftliche Doppelmoral als auch auf die inakzeptablen Arbeitsbedingungen der Sexarbeiterinnen aufmerksam machten.

Anläßlich seines 25jährigen Geburtstages zeigt die „Alte Feuerwache" eine Ausstellung zur Entstehungsgeschichte und Arbeitsweise des Vereins. Die ausgestellten Fotografien von Demonstrationen oder Festen, Plakate und einige Kunstwerke vermitteln zunächst den Eindruck, das Thema sei längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, Sexarbeit als normale Beschäftigung anerkannt. Die Ausstellung ist keine Agitation, sondern macht im wesentlichen die Erfolge sichtbar ­ zu Recht, ist doch vor wenigen Jahren ein neues Prostitutionsgesetz in Kraft getreten, das ein legales, sozialversichertes Beschäftigungsverhältnis für Prostituierte ermöglicht und Sexarbeit nicht mehr per se als sittenwidrig verdammt.

Daß die Existenzberechtigung des Vereins längst nicht abgelaufen ist, zeigen dagegen die von Hydra herausgegebenen Informationsmappen, die neben dem Gästebuch ausliegen. Dort finden sich praktische Hinweise, wie man seine Freier auf Tripper, Syphilis oder Filzläuse untersucht, ab wann man als Ausländerin nach der Scheidung ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erlangt, wie man die Qualität von Kokain, Crack und anderen Drogen prüft, Benimmregeln für Freier und wie man sich bei einer Razzia zu verhalten hat. Was die Ausstellung selbst nur am Rande streift ­ nämlich die weiterhin virulenten Probleme und verbesserungswürdigen Arbeitsbedingungen von Prostituierten ­ läßt sich in diesen Ratschlägen deutlich nachvollziehen.

Der senatsgeförderte Verein residiert in einem Gewerbehof in der Köpenicker Straße. In den nüchternen, eher einer Anwaltskanzlei ähnelnden Räumen finden ­ neben wöchentlichen Kaffeekränzchen von Sexarbeiterinnen ­ rechtliche, medizinische und soziale Beratungen statt, auch für einstiegs- und ausstiegswillige Huren oder Freier, die sichergehen wollen, nicht Zwangsprostituierte auszubeuten. Um möglichst viele Prostituierte zu erreichen, übernehmen die Vereinsmitgliederinnen auch Ausflüge in Bordelle, Clubs und zu den Straßenstrichs, um sich über die Arbeitsbedingungen zu informieren und die Huren über ihr Angebot aufzuklären. Selbst der Abschiebegewahrsam in Köpenick wird regelmäßig besucht, sind doch 60 Prozent der Sexarbeiterinnen Migrantinnen, die noch immer nicht genügend über die rechtlichen Rahmenbedingungen ihrer Tätigkeit hierzulande Bescheid wissen.

Auch die Lobbyarbeit zur Nachbesserung des Prostitutionsgesetzes ist noch lange nicht abgeschlossen. Noch immer gibt es kaum legale Arbeitsverträge und wenn, dann nur auf Niedriglohnebene. Zudem wird das Gesetz in den Ländern unterschiedlich ausgelegt, so daß von Rechtssicherheit sowohl für die Prostituierten als auch für deren Arbeitgeber nicht die Rede sein kann. Die Situation der Migrantinnen wird noch immer nicht ausreichend berücksichtigt. Und die CDU droht gar damit, die vor drei Jahren erfolgte Liberalisierung wieder zurückzunehmen.

Susann Sax

* Die Ausstellung „Von der Liebes-dienerin zur Sexarbeiterin" ist noch bis zum 9. Juli, Di bis So von 14 bis 19 Uhr in der Alten Feuerwache, Marchlewskistraße 6, Friedrichshain zu sehen. Der Eintritt ist frei.

* Der Verein Hydra findet sich in der Köpenicker Straße 187/188, Kreuzberg. Öffnungszeiten: Mo, Di und Fr 10 bis 14 und Do 16 bis 20 Uhr. www.hydra-ev.org

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