Ausgabe 5 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Optanten, strenge Sitten, Ironie und Tod

Noch mehr Behaviorismus im Museum für Fotografie

Niemals konnte ich mich einer gewissen Scham und Verlegenheit erwehren, einen Menschen ganz als lebendig zu fühlen und gleichzeitig zu wissen, daß er mich nicht so fühlte wie ich ihn.

Stefan Zweig: Die unsichtbare Sammlung

Manche Künstler nehmen eine denkwürdige Stellung im Gefüge zwischen Staat und Gesellschaft ein. Lediglich einzelne kommen in die Verlegenheit, vom Staat so gehätschelt zu werden, daß ihnen ein ganzes Museumsgebäude in Aussicht gestellt wird. Kurioserweise ist dies Helmut Newton geschehen; und indem man ihm in der Jebensstraße ein eigenes Haus widmete, ist ein weiterer deutscher Vergangenheitsbewältigungsakt vollstreckt worden. Jovial übte man sich in Demut und gab dem zum Weltstar und Weltbürger gewordenen Newton ein Stück Grund in seiner alten Heimat sowie ein Ehrengrab for free. In diesem ruht der Ex-Emigrant nun seit dem Juni 2004. Helmut Newton wuchs in Berlin auf, lernte Fotograf in der Schlüterstraße 45 bei Yva, konnte – im Gegensatz zu dieser – 1938 mit 18 Jahren gerade noch fliehen ...

Geradezu ironisch und grotesk geriet nun der Versuch der Newton-Stiftung, die das Werk des heimgekehrten Sohnes im Berliner Museum für Fotografie betreut, das Werk inhaltlich aufzublasen und beliebig thematisch zu variieren, obwohl dieses dafür nicht gewappnet ist. Für den verweilenden Besucher bietet das Museum angenehm begehbare Räume, auch sind die Hängungen technisch stimmig und das Licht gut verteilt. Es sind die überaus kitschige Herangehensweise und der Reliquienkult, die abschreckend wirken. Dieser Newton-„Schrein", dessen Ingredienzien ich hier aus Pietät lieber verschweigen möchte, sollte temporär mal in den Keller ausweichen. Changierend zwischen Esoterik ­ im Dachgeschoß weht einem mehr als ein Hauch davon entgegen ­ und dem berühmt-berüchtigten Fetischismus-Image Newtons fordert dieser Ort dazu heraus, weitere, noch verruchtere Vertreter des Verhaltensforschungs- und Erziehungsbereichs einzuladen. Bitte laßt doch die Fotokunst-Beflissenheit und drängt stärker zum Kern der Newton-Arbeiten hin und gebt den Behaviorismus-Anleihen, d.h. der Verwendung psychologische Reaktionen auslösender Gesten, in seinem Werk noch mehr Reibungsflächen!

Auch wenn sich Newton-Bildbände verkaufen wie warme Semmeln, Ausstellungen immer wieder sehr gut besucht waren, Bibliotheken immer noch viele Newtons als vermißt anmerken, so böte doch ein Newton-Haus die Chance, etwas gründlicher, weniger massenkompatibel und effekthascherisch zu arbeiten. Zur samtenen Projektionsfläche ist sein Werk geworden, welche eine Art schwarzes Loch der Fotokunst ­ ohne Widerschein und Nachhall ­ darstellt, das sich vor unsere Rezeptoren schiebt. Yuppies und Möchtegernplayboys liebten seine makellosen Hochglanzinszenierungen, die sich zudem noch in ihrer Sphäre zu ereignen schienen bzw. sich millionenfach in den Mode- und Herrenmagazinen fanden. X Versuche, künstlerisch Liederlicheres oder intellektuell Höherstehenderes unmittelbar mit seinem Schaffensbereich zu verquicken, sind darüber gescheitert, davon geschluckt worden.

Werkimmanente Wunderwaffen wie Pseudopornographie und Pseudodiskurs tun bei Newton auf breiter Front ihren Job ­ metzeln unschuldige wie vergreiste Moralisten dahin wie der berühmte tödliche Witz. „Vorreiter der Pornographisierung der Medien der westlichen Welt" (Alice Schwarzer 1993) genannt zu werden, mußte aber damals wie heute wirklich nicht allzu ernst genommen werden ­ und Newton selbst optierte weder für eine Rolle als Künstler, noch ging er ernsthaft auf moralische Kritik ein. Untrennbar hat sich dennoch in seinem Fall Zeitgeist, innerhalb einer Ausdrucksform (Modefotografie), schicksalhaft mit einem geeigneten Protagonisten verbunden, aus ihm ein Medium geformt. Tatsächlich wurde Newton zum Moderator einer Szene gekürt, die den Mainstream bediente.

Schnurgerade führt deren Ideologie vom Barock-Paradies direkt in die Unterverzeichnisse des Porno-Universums. Richtig ist, und das zeigen auch alle Dokumentationen über Newtons Arbeit ­ im Museum gibt es mehrere Filme zu sehen, wobei das Canal-Plus-Material mit Aufnahmen von June Newton besonders interessante Einblicke gewährt ­, daß er weder Chauvinist noch Exzentriker war. Qualität und Ökonomie standen offensichtlich immer neben persönlicher Begegnung, menschlichem Umgang. Perfekt und zügig zugleich arbeiten konnte er, weil er fertige Geschichten im Kopf, Spaß am Improvisieren hatte, fototechnisch vollkommen minimalistisch blieb, Bildwirkungen dabei immer sehr genau vorausdenken konnte. Oft erzeugen die fertigen Bilder eine voyeuristische Situation für ihre Betrachter, in die Newton beim Arbeiten aber nie verfällt, wenn er scheinbar obsessiv Körper und alles Zubehör, wie Prothesen, Kleidung, Schmuck und Schminke, orchestriert. Neben der Übersetzung seiner Geschichten in Bilder, als deren Ursprung er betont auf die psychologischen, soziologischen bis pornographischen Texte von Pauline Réage, Arthur Schnitzler, Friedrich Dürrenmatt oder Stefan Zweig verweist, finden sich meiner Auffassung nach auch biographische Bezüge in Newtons Bild-Ideen.

Menschenkenntnis, erhöhte Aufmerksamkeit und Wachsamkeit hat er sich in Extremsituationen erwerben müssen; ich möchte an dieser Stelle seine Autobiographie nur anreißen, in der er Stationen und Situationen ganz realistisch hervortreten läßt: J-Stempel im Reisepaß in der letzten Minute, Demütigung und Folterung des Vaters, Trennung von den Eltern, Flucht ohne Geld, Singapur, Existenz irgendwo zwischen Gigolo und Fotoreporter in kolonial-bürgerlichen Kreisen; in Australien vom Internierungslager zur Armee, von da ab kleinste fotografische Schritte. Luxus war ihm nicht fremd, doch die dunklen Codes von Lust, Macht, Unterwerfung, Ausbeutung bis zum Tod lernte er erst aus der Bittstellerperspektive. Korrespondierend mit diesen Erfahrungen entfalteten alle erotisch-psychologischen Romane und Erzählungen bei ihm umso stärker ihre Wirkung ­ man stelle sich dazu einen alleinstehenden 18jährigen als Mätresse einer Kolonialdame vor, der in einer tropischen Nacht unter dem schmutzigen Moskitonetz Dracula liest, während malaysische Flughunde durchs Fenster ein- und ausfliegen. Jeder Ausdruck von Angst, Panik und von Teilnahmslosigkeit kann einen in einer feindlichen Umgebung in größte Gefahr bringen.

In Newtons besten Bildern wird man immer wieder auf Bezüge zu diesen menschlichen Verhaltensweisen treffen, d.h.: Es entstehen weder Szenen des Spektakels noch Gefühle des Unbeteiligtseins; unklare Bezugs-, Beziehungsgesten werden ausgeklammert ­ oft entsteht eine Anspannung, ein Unwohlsein durch dieses „Involviertwerden". Hierarchien und Absichtsgesten, die transparent durchscheinen, machen meines Erachtens den Kern von Newtons Inszenierungen, die Meisterschaft seiner Darstellung aus.

Glanz und Pomp des protzenden, glitzernden Milieus werden oft als Argumente und Gründe für Newtons Mainstream-Wirkung und -Tauglichkeit, wie der Beifall dafür von Seiten der Medienprominenz, überschätzt. Für die Masse waren z.B. auch Chaplins „Tramp-", und Arbeiter-Studien verständlich und wirkten. Eine Inszenierung, die eindeutig ihre Protagonisten als Optanten zeigt, die etwas fordern bzw. etwas bieten und darüber wenig im Unklaren lassen, wirkt auf manche oberflächlich, auf viele aber tiefenpsychologisch. Darin liegen die interessanten Aspekte unseres Berliner Mode-Zampanos. Charakteristische Gesten des Wollens, keinerlei Szenen der Wollust.

Bericht und Fotos: Jörg Gruneberg

* Ausstellung: Museum für Fotografie/ Helmut Newton Stiftung, Jebensstraße 2, Charlottenburg

 
 
 
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