Ausgabe 5 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Kurzkultur

beseelt

Im Martin-Gropius-Bau wird die Reihe der Foto-Ausstellungen fortgesetzt: „Seelenverwandt" ist der Titel der Schau über ungarische Fotografie im 20. Jahrhundert, die so bekannte Namen wie László Moholy-Nagy, André Kertész und Robert Capa versammelt. Alle seelenverwandt qua Ungarntum? Den Titel hat jedenfalls der ungarische Schriftsteller Péter Nádas ersonnen, der als Kurator fungiert, selbst als Fotograf begonnen hat und auch eigene Bilder beisteuert. Es ist laut Ankündigung ein subjektiver Blick, den der Autor auf die ungarische Fotografiegeschichte wirft.

* „Seelenverwandt. Ungarische Fotografen 1914-2003", vom 10. Juni bis zum 28. August im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, Kreuzberg, Mi bis Mo 10 bis 20 Uhr

bekloppt

„Menschenrassen?" ist der Titel einer Veranstaltung an der Humboldt-Universität, die auf die Aktualität rassistischer Konzepte in den Biowissenschaften aufmerksam machen möchte. Die Rassenkonstruktion der europäischen Moderne, von keinen Geringeren als Humboldt, Kant oder Darwin vertreten, ging davon aus, daß Menschen sich in Gruppen einteilen ließen, deren „Schicksal" durch „natürliche" bzw. „vererbte" Faktoren bestimmt seien, welche sie zu „Verlierern der Evolution" oder aber „zur höher begabten Rasse" ­ die weiße Oberschicht ­ prädestinieren. Noch heute, trotz der Perversion der Menschenrassen-Konzepte während des Nationalsozialismus, gibt es (Bio-)Wissenschaftler, die sie öffentlich lehrend vertreten.

* „,Menschenrassen'?" am 9. Juni um 18 Uhr im Hauptgebäude der Humboldt-Universität, Unter den Linden 6, Raum 2097

belesen

Das Streichquartett von Luigi Nono mit seinen Hölderlin-Zitaten im Notentext, die von den Musikern nicht gesprochen, wohl aber mitbedacht werden sollen, löste in den achtziger Jahren eine ganze Welle von Kompositionen mit Hölderlin-Bezügen aus. Irgendwann mußte auch der wohlwollendste Hölderlin-Anhänger genug haben. Der Komponist und Dirigent Hans Zender freilich ist einer der intelligentesten Musiker unserer Tage, und so darf man ­ trotz Mißtrauensvorschuß! ­ gespannt sein, wie er seinen Zyklus Hölderlin lesen weitertreibt. Am 8. Juni stellt Zender Mnemosyne ­ Hölderlin lesen IV vor und diskutiert darüber mit dem Philosophen Rolf Elberfeld ­ im neuen, am Pariser Platz eingezwängten Akademiegebäude, in dem der Veranstaltungsraum den grausigen Namen „Plenarsaal" bekommen hat.

* Hans Zender: „Mnemosyne – Hölderlin lesen IV", mit Salome Kammer und dem Streichquartett des Klangforums Wien, am 8. Juni um 20 Uhr im Plenarsaal der Akademie der Künste, Pariser Platz 4, Mitte, Eintritt 12 Euro, ermäßigt 6 Euro

beflügelt

Nachdem das Redux Orchestra bereits Werke von Philip Glass oder Steve Reich interpretierte, kommt zum Abschluß der Reihe Club Redux neue Tanzmusik zur Aufführung. Schlicht und einfach heißt der Abend Redux Rave. Unterstützt wird das Orchester von Soundtüftlern und DJs wie Märtini Brös, Jay Haze Argenis, sonst eher unter dem Namen Señor Coconut bekannt. Und so blöd das Watergate manchmal sein kann, für ein solches Programm in Kombination mit dem tollen Blick auf die Spree lohnt sich der Weg allemal.

* „Redux Rave" am 16. Juni ab 22 Uhr im Watergate, Falckensteinstraße 49, Kreuzberg

beschlagen

Der 60. Geburtstag des Hamburger Filmemachers Klaus Wyborny ist Anlaß für eine Retrospektive im Kellerkino Arsenal. Die sechs zwischen 1968 und 2002 entstandenen Filme des ausgebildeten Physikers zeigen die enorme Breite seines Œuvres. Eröffnet wird am 16. Juni in Anwesenheit von Wyborny mit seinem jüngsten Werk Sulla über den römischen Diktator, den er als den ersten die Natur zubetonierenden Großarchitekten zeigt. In Die Geburt der Nation benötigt er gerade mal 25 Minuten für den Aufbau und Zerfall eines Staates. Verlassen; verloren; einsam, kalt (Missa Solemnis) wiederum versucht die Darstellung der europäischen Kolonisierung der Welt zwischen 1550 und 1914 und zieht Beethovens Messe als „Metapher des europäischen Beherrschungswillens" heran.

* „Dämonische Leinwand: Klaus Wyborny zum 60.", vom 16. bis zum 28. Juni im Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, Tiergarten, www.fdk-berlin.de

beobachtet

Stefan Hayn ist ein politisch reflektierter Filmemacher. In seinem Film über den Arbeiter etwa hat er sein eigenes Verhältnis zur Arbeitswelt thematisiert, in den Schuldnerberichten befaßt er sich anhand von konkreten Fallbeispielen mit Privatverschuldung in Berlin. In der Reihe „Klassen und Kämpfe" im HAU 3 hält Hayn nun einen Vortrag zum Thema „Darstellung sozialer Wirklichkeit", in dem er das filmische Festschreiben oder aber Aufsprengen von Klassengegensätzen anhand einer Reihe von Filmbeispielen und auch anhand der eigenen Arbeit diskutieren will.

* Stefan Hayn: „Darstellung sozialer Wirklichkeit", Vortrag am 6. Juni um 20 Uhr im HAU 3, Tempelhofer Ufer 10, Kreuzberg

bezuschußt

Das Bezirksamt hat wieder einmal Geld zur „Förderung der dezentralen Kulturarbeit" im Bezirk Mitte zu verteilen ­ nicht viel, aber immerhin. Mit höchstens 2500 Euro können Projekte bezuschußt werden, die zwischen dem 1. August und dem 31. Dezember 2005 im Großbezirk Mitte begonnen werden. Besonders gern gesehen ist, wenn die Projekte „den besonderen Erfordernissen im Bezirk Mitte zur Integration unterschiedlicher kultureller Kontexte Rechnung tragen". Bis zum 13. Juni müssen die Anträge in achtfacher Ausfertigung im Kulturbüro abgegeben oder dorthin geschickt werden. Info- und Vorlageblätter, die dem Antrag beigefügt werden müssen, sind dort ebenfalls erhältlich, und man kann sich noch bis zum 10. Juni beraten lassen kann.

* Kulturbüro des Kulturamts Mitte, Auguststr. 21, 10117 Berlin, fon: 28884442, www.Kulturamt-Mitte.de

betrunken

Daß Literatur und Alkohol ­ auch und gerade in Polen ­ aufs Innigste verschwistert sind, ist ja nun nichts Neues. Seltener aber sind Autoren als Cocktail-Mixer zu erleben, wie am 17. Juni auf einer großen „Polococtail"-Party im Literarischen Colloquium am Wannsee. Warum englisch dazu aufgerufen wird ­ „to get drunk together with some authors" ­ wissen wir nicht. Vorher bereits gibt es an drei Abenden Lesungen im Club der polnischen Versager und Musik in der Kulturbrauerei. Das deutsch-polnische Jahr 2005/06 macht's möglich.

* „Polococtail. Neue literarische und musikalische Rezepte aus Polen", vom 14. bis zum 17. Juni im Club der polnischen Versager, Torstr. 66, Mitte, im Maschinenhaus der Kulturbrauerei und im Literarischen Colloquium, Am Sandwerder 5, Zehlendorf

 
 
 
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