Ausgabe 5 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Zwischen Trauerkloß und Bardame

Auf der Suche nach dem neuen Frauenbild in der postsäkularen Einwanderergesellschaft

Das Kopftuch spaltet die Nation. In der letzten Zeit sind mehrere Bücher zur Debatte erschienen, zwei davon sind empfehlenswert: Der Kopftuch-Streit der taz-Redakteurin Heide Oestreich und das Buch von Frigga Haug und Katrin Reimer zur Politik ums Kopftuch. Beide Bücher zusammen ergeben eine profunde Zusammenschau des derzeitigen Diskussionsstandes.

Haug/Reimers Buch versteht sich als Materialienband, der die wichtigsten Positionen in ihrer Breite verzeichnet und es so ermöglicht, die Diskussion in all ihren Tiefen und Untiefen nachzuvollziehen. Dabei wird überdeutlich, daß das Thema so viele Facetten besitzt, daß über den Schlagabtausch das eigentliche Ziel des Interessensausgleichs verlorengehen könnte. Haug/Reimer fürchten, daß in dem vielstimmigen Chor der Meinungsäußerungen die entscheidenden Beiträge dem Vergessen anheimfallen. So finden sich im ersten Teil zahlreiche Antworten von muslimischen, laizistischen und nicht-muslimischen Frauen und Initiativen auf den „Aufruf wider eine Lex Kopftuch" von Marieluise Beck, Barbara John u.a. Der ertragreiche zweite Teil versammelt Beiträge über die unvollendete Säkularisierung der deutschen Verfassung und die daraus erwachsenden Schwierigkeiten mit dem Glaubensverständnis in Deutschland lebender Muslime. Hervorzuheben ist der Beitrag von Helmut Wiesmann, Referent für den Bereich Islam der Deutschen Bischofskonferenz, der in aller Deutlichkeit darauf hinweist, daß die Kleidungsvorschriften sich vom jeweiligen Rechtsverständnis eines Theologen ableiten und innerhalb der muslimischen Gemeinde umstritten sind, da die Frage in den islamischen Offenbarungstexten nicht ausreichend geregelt ist.

Naturgemäß kommt die kulturgeschichtliche Dimension des Themas zu kurz, nach der die Verschleierung der Frau aus der vorislamischen arabischen Moral des 6./7. Jh. v.u.Z. nach dem Vorbild des persischen Hofzeremoniells abzuleiten ist, das Prinzessinnen verschleiert in der Öffentlichkeit zeigte. Diese Lükke läßt sich leicht durch das Buch von Heide Oestreich schließen, die den Stand der innermuslimischen Diskussion und deren juristische und politische Aspekte erschöpfend behandelt und auch auf die wirtschaftliche Bedeutung der muslimischen Ehe eingeht. Haug/Reimers Buch beleuchtet weiters die Dialektik von Islamismus und Rassismus und zeigt mit Blick auf den Iran, Frankreich und die Türkei zum Schluß Diskursalternativen auf.

In beiden Büchern fehlt jedoch ein Hinweis auf die mit der Verschleierung verbundenen moralischen Vorstellungen und dem damit verbundenen Menschenbild. Prägend für muslimische Moralvorstellungen war von Anfang an der arabische Grundsatz der Trennung zwischen der dem Mann zugeordneten öffentlichen und der der Frau zugeordneten familiären Sphäre, zum anderen der Schutz der Frau vor dem allzu zudringlichen Blick, der der „Frau von Stand" im Gegensatz zur unfreien Frau zusteht. Die Verschleierung ist kein Kleidungsstück, sondern eine Blicksperre, auch wenn sie heute in vielen verschiedenen Modeformen auftritt. Sie schützt die Scham und setzt eine explizite Schamgrenze ­ darauf hat sich nicht zuletzt die Lehrerin Fereshta Ludin bei ihrer Klage berufen. Das damit einhergehende islamische Menschenbild geht davon aus, daß sowohl Mann als auch Frau ihre Lust naturgegeben nicht im Griff haben und eine derartige Schranke brauchen, um kein öffentliches Ärgernis zu erregen und Frauen vor öffentlichen sexuellen Übergriffen zu schützen. Damit ist dieses Menschenbild weder lust- noch leibfeindlich, es mißtraut allerdings der menschlichen Fähigkeit, sexuelle Impulse zu verdrängen und überträgt die Verantwortung für die Grenze der Frau.

Unter jungen Musliminnen findet sich daher die Ansicht, die Verschleierung sei als eine Form des islamischen Feminismus zu verstehen, als Herrschaftsinstrument über den eigenen Körper zur Teilnahme an der Öffentlichkeit im Rahmen der Neudeutung traditioneller Wertvorstellungen. Es handelt sich zweifelsohne um eine Auseinandersetzung mit dem herrschenden patriarchalischen Wertesystem im Islam, dessen Hinterfragung eine der schwierigsten und nötigsten Aufgaben innerhalb der muslimischen Gemeinden darstellt. Von ihr geht ein Reflexionsschub aus, der unbedingt gestärkt werden sollte und der der Gefahr ausgeliefert ist, von islamistischen Kreisen vereinnahmt und gesteuert zu werden. Es geht mithin nicht nur um die Verschleierung, sondern um die Definition der islamischen Gesellschaftsordnung, um das Verhältnis von in Deutschland lebenden Muslimen zu ihrem Staat und ihrer Gesellschaft ­ angesichts einer zunehmend polarisierten Debatte innerhalb der globalen muslimischen Gemeinde und ihrem außerordentlich korrekturbedürftigen Bild von der „westlichen" Frau. Nicht zu überhören sind muslimische Gruppen, die die Respektierung ihrer Textauslegung fordern, die in sogenannten islamischen Kleidungsvorschriften mündet, um ihnen ein Leben „in Würde" zu ermöglichen. Dabei schwingt der Vorwurf mit, daß eine unverschleierte Frau weniger ihre Würde wahre als eine verschleierte, somit (und ganz im Einklang mit der frühislamischen Vorstellung) die verschleierte Frau eine Art Adel gegenüber der unverschleierten darstelle.

Im Grundgesetz der deutschen postsäkularen Gesellschaft der Nachkriegszeit kommt allerdings ein anderes Menschenbild zum Ausdruck: Der Gleichstellungsgrundsatz von Mann und Frau in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens spiegelt den Glauben wider, daß Kontrolle implizit durch die Vernunft auf Kosten der Lüste erfolgt und die Last allen Beteiligten gleichermaßen aufzubürden ist. Ein Prozeß, der sich in Europa über Jahrhunderte hinzog, an der Mode gut ablesbar, und der keinesfalls abgeschlossen ist. Es scheint, als trügen viele Diskussionsteilnehmer schematisiert verzerrte Bilder vor sich her, weil sie um die historische Verankerung ihrer eigenen Position und der des anderen lieber nicht genauer wissen wollen.

Katja Brinkmann

* Frigga Haug, Katrin Reimer (Hg.): Politik ums Kopftuch. Argument Verlag, Hamburg 2005. 9,90 Euro

* Heide Oestreich: Der Kopftuch-Streit. Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2005. 15,90 Euro

 
 
 
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