Ausgabe 5 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Wer braucht noch einen Erinnerungsort?

Die wachsende Mahnmalallee am Brandenburger Tor

Braucht Berlin noch ein Denkmal? „Bloß nicht!" werden informierte Berliner antworten. Nach dem erneuten Baustop für den Großflughafen Schönefeld könnte sich auch in der restlichen Republik der Eindruck verfestigen, in Berlin entstünden keine Arbeitsplätze, sondern nur noch Denkmäler.

Doch die Frage muß anders gestellt werden. Berlin verfügt bereits über eine regelrechte Denkmallandschaft, auch und gerade in bezug auf das Dritte Reich. Dennoch bleibt zu prüfen, ob und in welchem Maße allen Opfern des industrialisierten Menschenmords gedacht wird. Deshalb lautet die Frage: Wer braucht einen Erinnerungsort?

Nach dem kürzlich eröffneten Denkmal für die ermordeten Juden Europas und dem Mahnmal für die Sinti und Roma, soll innerhalb der nächsten zwei Jahre auch ein Denkmal für die vom NS-Regime verfolgten und ermordeten homosexuellen Männer und Frauen geschaffen werden. Nach über zehnjährigem Bestreben der Initiative „Der homosexuellen NS-Opfer gedenken" und des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland (LSVD) hatte der Bundestag im Dezember 2003 beschlossen, einen entsprechenden Erinnerungsort in der Nähe des Reichstagsgebäudes einzurichten. Mehr als ein Jahr später haben die Initiatoren dann im vergangenen April ein Auftaktkolloquium im Berliner Abgeordnetenhaus zum künstlerischen Wettbewerb veranstaltet.

Dieser erste Schritt in einem langwierigen Verfahren sollte den geladenen Künstlern und einer interessierten Öffentlichkeit die bisherigen Ergebnisse der Initiative präsentieren. Darüber hinaus wurden die historischen Fakten und die geographischen Gegebenheiten von Experten aufgearbeitet. Die so gewonnenen Informationen sollen den Künstlern bei der Symbolfindung helfen und das ganze Unternehmen transparent machen. Insgesamt möchte man auf diesem Weg auch die Kritik vermeiden, die dunkel vom Holocaust-Monument herüberklingt, wo in einem undurchsichtigen Vergabeverfahren Millionen einem Projekt zugewiesen wurden, dessen Hintergründe sich aus heutiger Sicht nur den wenigsten erschließen. Immerhin wird das Homosexuellen-Denkmal mit 500000 Euro von der Bundesregierung unterstützt, da will der gemeine Steuerzahler schließlich wissen, wie die Mittel eingesetzt werden.

Der vorgesehene Ort, gegenüber dem Pariser Platz, bindet das Denkmal einerseits in die Parklandschaft des Tiergartens, andererseits in dessen ausufernde Mahnmallandschaft ein. Zunächst möchte man mit dieser zentralen Lage einen kulturpolitischen Mißstand beheben: In der Gedenkkultur der Bundesrepublik haben die etwa 60000 homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus bisher wenig Beachtung gefunden, ließ der Bundestag zu seinem Beschluß verlauten. Die Erinnerung sei wach zu halten und die Opfer seien zu ehren, heißt es weiter. Die Schwulen selbst beklagen aber auch Opfer in der deutschen Nachkriegszeit, für die gleichzeitig ein Erinnerungsort geschaffen werden soll: Opfer der Gesetzgebung, die mit dem bis 1969 geltenden Paragraphen 175 wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt und verhaftet wurden. Eine dritte Bedeutungsebene, die bis in die heutige Zeit hineinreicht, soll abgedeckt werden, indem ein dauerhaftes Symbol gegen Intoleranz und Ausgrenzung von Lesben und Schwulen gesetzt wird.

Mit der Verortung im Tiergarten wird das Mahnmal in ein Konglomerat aus bisher 27 Gedenkorten eingebettet, die über die gesamte Parklandschaft verteilt sind. Eine große Anzahl, wie zum Beispiel das Lortzing-Denkmal, Denkmal Jung Wilhelm oder der Baumspenden-Gedenkstein, sind kaum bekannt. Die große, für Touristen interessante Mahnmalallee beginnt seit kurzem mit der Begehung von Eisenmans Stelen für die ermordeten Juden Europas, führt weiter über das ­ noch fiktive ­ Homosexuellenmahnmal hin zum Brandenburger Tor. Von dort aus geht es rechts hoch zum ­ noch fiktiven ­ Gedenkort für die Maueropfer, die Scheidemannstraße entlang zu den Gedenksteinen zur Erinnerung an 96 von den Nationalsozialisten ermordete Reichstagsabgeordnete. Folgt man dem Verlauf der Entlastungsstraße nach links, auf die Straße des 17. Juni, erblickt man dem Brandenburger Tor zugewandt in unmittelbarer Nähe das Sowjetische Ehrenmal von 1946, und ­ nach einer halben Drehung ­ schon die hochaufragende Siegessäule. Den Großen Stern entgegen dem Uhrzeigersinn passierend entdeckt der aufmerksame Berlinerkunder zuerst den 1904 in Stein gehauenen Moltke, dann dessen Kollegen Roon; beide waren Generäle Bismarcks. Bahnt er sich den Weg weiter bis zum derzeit verhüllten Charlottenbur-ger Tor, hat er bereits eine Menge gesehen. Doch auf dem Rückweg durch das Dickicht des Tiergartens gibt es noch viel mehr zu entdecken ...

Die neu entstandenen und geplanten Gedenkstätten wie das Holocaustmonument und der Ort für die Maueropfer, ebenfalls unweit des Reichstagsgebäudes, erfreuen sich eines großen Interesses, nicht zuletzt wegen der von den Steuerzahlern zu tragenden Baukosten. Fast entsteht der Eindruck, Interessenverbände errichteten eine von Stadtplanern nie beabsichtigte Mahnmalallee. Daß es bei dieser Häufung von Erinnerungsorten zu einer sichtbaren Hierarchisierung der Gedenkstätten in bezug auf Flächengröße und vorhandene Finanzmittel kommt, ist nicht gewollt und soll durch die Qualität des künstlerischen Entwurfes wettgemacht werden.

An Beispielen für ein Homosexuellenmahnmal mangelt es in Deutschland jedoch fast völlig ­ bis auf eine Ausnahme in Frankfurt am Main, deren Community durch verschiedene Stiftungen bei der Realisierung einer symbolisch aufgeladenen Engelsfigur unterstützt wurde. Doch es fehlt nicht nur eine homosexuelle Gedenkkultur, sondern auch eine eigene Formensprache. Für Gedenktafeln wurde bisher meist das KZ-Abzeichen der Schwulen, der „Rosa Winkel", stilisiert. Der künstlerische Wettbewerb soll hier einen neuen Anstoß geben. Über geschichtliche Hintergründe kann ein solches Symbol freilich nicht ausreichend informieren. Andere Institutionen wie das Schwule Museum oder die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft sind dafür eher prädestiniert.

Bleibt zu hoffen, daß die Besucher des Holocaustdenkmals auch einen Blick auf die andere Straßenseite werfen, damit die Bemühungen des LSVD nicht im Dickicht des Tiergartens untergehen und das „Homomahnmal" nicht nur Pilgerstätte der ohnehin Toleranten und Gedenkenden wird.

Franciska Schubert

 
 
 
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