Ausgabe 5 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

ditte & menschenkind

Zwischen Herbert und Claudia

Menschenkind hätte Stein und Bein schwören können, daß ein Zug von Millionen ihm schon den Weg weisen würde. Was hier vor ihm her zu der Massenballung wallt! Angekündigt sind die „Urinsteiner Kastelstrutzen". Manche Strecke wallt, und ein großzügiger Versorger mit Toilettenhäuschen für die breite Bevölkerung ist der Sponsor des heutigen heiteren Medienereignisses.

„Haste Karte, haste Eintritt", haut ihn von hinten ein schwarz Vermummter an, der, kaum daß Menschenkind sich ihm zuwenden kann, in der Menschenmasse wie ein Komet in einer Augustnacht verlischt. Menschenkind kann gerade noch auf dem Rücken seiner schwarzen Montur SECURITY lesen. Ditte ekelt sich zwar vor den „Urinsteiner Kastelstrutzen", hat sich jedoch irgendwie bereit schlagen lassen, trotz allen Ekels dem Event beizuwohnen. Wenn sich Menschenkind nun einmal in den Kopf gesetzt hat, dem Volk aufs Maul zu schauen, dann schauert ihn nichts, nicht einmal die „Urinsteiner Kastelstrutzen". Wie da gesungen und gejuchzt wird, das will er mit eigenem Körpereinsatz erfahren, und Ditte ist dann „seine Krücke", wie er sich charmanterweise auszudrücken pflegt. Bereit geschlagen, hat sie dann das Dirndl angezogen und den Strohhut aufgesetzt, und nun geht Menschenkind zehn Schritte vor ihr, immer, schon die ganze Zeit, verdammt.

Rumpeldipumpel, weg war der Kumpel. Ein großes Geschunkel. S.C.H.Nieschna-Schnappi und Dr. Holzmichl treffen sich im Hotel Estrel. Geht alles viel zu schnell. Vor allem Menschenkind geht viel zu schnell. Ditte hechelt hinter ihm her und weiß nicht, wen sie mehr verwünschen sollte, den plötzlich ausgebrochenen Nationalstolz des Urberliners Menschenkind, der sich auf zehn Schritt abgrenzen muß von ihrem bayerischen Erscheinungsbild, oder dem saudummen Einfall ihres Freundes, einem solchen Megaereignis live sich aussetzen zu wollen.

„Feigling, du, warte nur, ich komme!" ruft sie hinter ihm her. Menschenkind ist heute einfach fitter als sie, und das schmerzt. Will unbedingt rechtzeitig seinen Schunkelplatz im Block C, Sektor 38 erreichen. Ditte hat Mühe, ihn nicht aus den Augen zu verlieren, denn da vorn taucht wieder inmitten der fröhlichen Massen sein Haarschopf auf und unter. Offenbar fühlt sich Menschenkind wie ein Fisch im Wasser, während um ihn herum die übermütigen und höchst aufgekratzten Angehörigen der legendären „Generation 50 plus" hin und her wogen, also die Altachtundsechziger, rein rechnerisch gesehen, die gern Althippies genannt werden, obwohl sie rein inhaltlich wohl nicht die Bohne mit dem zinnoberroten Salonzauber in der Kinderstube des demokratischen Deutschlands zu tun hatten. Viele von denen haben sich auf der anderen Seite der Barrikade an den Ärmelschonern wund gescheuert und wirklichen Trost in der volkstümlichen Musik gefunden, die ihnen ein besseres Deutschland bot. Ob daher die Leidenschaft rührt, ja, diese orkanartigen Begeisterungsstürme, die schon im Vorfeld die Menschenmasse durchfluten?

Ditte stellt sich auf die Zehenspitzen. Was denn, was soll das denn? Etwa 25 Elvisse, mit aufblasbaren Gummigitarren bewaffnet, haben sich unters Volksmusikvolk gemischt, um die Meute mit demagogischen Rufen wie „Elvis lebt!" aufzumischen. Das Fluten stockt. Um die etwa 25 Elvisse mit den aufblasbaren Gummigitarren hat sich ein Kreis begeisterter Uralt-Rocker gebildet. Menschenkind, der „Love me tender" geradezu grölt, sieht seine Ditte kommen, die Dirndl-Ditte, und ihr Anblick macht den Schmelz seiner Stimme noch sanfter, noch süßer. Ditte bleibt ergriffen stehen und lächelt ihren herzallerliebsten Freundfeind an. Was für ein schöner Tag, kann sie gerade noch denken, als die SECURITY eingreift. Die Katastrophe wird abgewendet, die in der Wut der nachdrückenden Menschenmassen sich abzeichnet.

„Luft raus", lautet der Befehl, und 25 Elvisse lassen die Luft ab und falten die Gitarren zusammen. Schön, daß Elvis lebt. Und Herbert Roth ist auch nicht tot. Ditte und Menschenkind haben sich wieder gefunden, Schulter an Schulter. Sie umhalsen sich zärtlich. „So, ab sofort wird zurückgeschunkelt!"

Brigitte Struzyk/Dieter Kerschek

 
 
 
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