Ausgabe 5 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Das Wohlfühl-Mahnmal

Gerhard Schröders Äußerung, er wünsche sich das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas, das er als Projekt von Helmut Kohl geerbt hatte, als einen Ort, den man gerne aufsuche, mag einfach nur ungeschickt gewesen sein. Am Ende dürfte sein Wunsch aber auf fatale Weise in Erfüllung gehen. Mahnmal-Architekt Peter Eisenman legte sogar noch eins drauf und meinte ausdrücklich, sich spielende Kinder und picknickende Menschen auf seinem Stelenfeld vorstellen zu können.

Schröders NachfolgerIn wird jedenfalls froh sein, daß die Sache erledigt ist, ja überhaupt: daß die Drecksarbeit der „Normalisierung" ein Teil des rot-grünen Projekts war. Die letzten überlebenden Zwangsarbeiter hat man über den Tisch gezogen, man ist wieder wer, führt Krieg und beansprucht einen Sitz im Sicherheitsrat der UN ­ ein Ansinnen, das Kohl noch als unangemessen abgelehnt hatte; Deutschland torkelt 15 Jahre nach der „Wiedervereinigung" zwischen Größenwahn und gefährlichem Unfug. Und mit dem Mahnmal hat man jetzt ja auch bewiesen, daß man sich nicht lumpen läßt ­ so groß wie das geopferte Filetgrundstück ist, so teuer wie die Errichtung des Monstrums war ­ und daß man sich von niemandem übertrumpfen lassen will, was die vorbildliche, staatstragende Zerknirschung betrifft. Ist das jetzt der viel beschworene Schlußstrich? Nun, es werden natürlich weiterhin Auschwitz-Gedenkreden im Reichstag gehalten werden, in fünf Jahren und in 20, und wir werden auch noch viele Filme über die Judenvernichtug zu sehen bekommen. Aber die harte Politik jenseits der so wohlfeilen wie routinierten symbolischen spricht eine ganz andere Sprache.

Peter Eisenman ist zusammen mit Daniel Libeskind der bekannteste Exponent einer Gedenkindustrie, die umso erfolgreicher zu werden scheint, je weiter die Historisierung des Nationalsozialismus voranschreitet. Der monströse Kitsch solcher Architektur betört den bildungsbürgerlichen Kunstliebhaber mit seinem Chique und punktet bei den Politikern mit ihrer abstrakten Unverbindlichkeit. Man könnte das Mahnmal jederzeit umwidmen, ohne daran etwas ändern zu müssen. Lediglich im unterirdischen „Ort der Information" müßte man die Ausstellung auswechseln. Hört man die Künstler ihre Konzepte erläutern, erklären, wie der Besucher über schiefe Ebenen stolpernd den Holocaust nachvollziehen soll, kann man freilich nur den Kopf schütteln. Die Befürchtung, sich im Stelenwald zu verirren, ist indes ganz unbegründet, denn die Klötze stehen in Reih und Glied und bilden ein rechtwinkeliges Raster von Schneisen; es gibt sogar behindertengerechte Durchfahrten.

Eine Tafel am Rande des Mahnmals verkündet Verhaltensregeln: kein lautes Sprechen, keine Musik, keine Verunreinigung, kein Hüpfen von Stele zu Stele. Schon die ersten Tage zeigten, daß sich die Besucher nicht im geringsten darum scheren. Touristen rasten plaudernd auf den Steinen, sonnen sich, Kinder hüpfen. Die Aufpasser scheint das nicht zu kümmern. Einige Besucher erweisen sich nicht auf der Höhe der Eisenmanschen Kunst und schmücken die „Grabsteine" mit Blumen. Indes wird das 24 Stunden geöffnete Mahnmal zum Treffpunkt einer internationalen Jugend, zum permanenten Event – wie weiland der Platz vor dem verhüllten Reichstag. Man geht hin, weil alle hingehen. Und Klezmer-Musik wird dann ja vielleicht erlaubt sein, wenn es jemanden an einem schönen Sommerabend überkommt und er auf einer Stele sitzend musizieren will. Es ist zu befürchten, daß das nicht nur hierzulande, sondern in aller Welt freudig begrüßt wird.

Peter Stirner

 
 
 
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