Ausgabe 4 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Was Eiermann wirklich wollte

Sein bekanntestes Bauwerk ist keineswegs sein konsequentestes. Eigentlich ist die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ein fauler Kompromiß. Denn die ersten Entwürfe des Architekten Egon Eiermann sahen den Erhalt des lädierten Turms gar nicht vor. Aber Berlin war immer nostalgisch eingestellt, der „hohle Zahn" mußte bleiben. Ein Ärgernis auch, daß anstelle eines filigranen, von Eiermann entworfenen Kreuzes am Ende eine plumpe Christusfigur über dem Altar schwebte.

Wer sehen will, wie Eiermann sich einen Kirchenneubau vorstellte, kann das jetzt im Bauhaus-Archiv anhand eines Pforzheimer Beispiels. Eine Eiermann-Ausstellung präsentiert Hauptwerke des bedeutenden Protagonisten der deutschen Nachkriegs-Moderne anschaulich in Foto und Modell, angereichert mit Briefen des Architekten, in denen er nicht selten banausische Bauherren beschwören mußte. Zu diesen Hauptwerken zählen das Kanzleigebäude der Deutschen Botschaft in Washington, der deutsche Pavillon auf der Brüsseler Weltausstellung von 1958, die Zentralen von Neckermann und Olivetti in Frankfurt am Main, aber auch das grandiose Eigenheim des Architekten in Baden-Baden. Dokumentiert wird der Bauzustand zur Zeit der Fertigstellung, über das Schicksal der Bauten erfährt man indes nichts. Es wird bloß angedeutet, daß etwa Neckermann den Gebäudekomplex durch Umbauten verschandelt haben muß.

Egon Eiermann war detailversessen und bestückte seine Bauten am liebsten mit selbstentworfenen Möbeln. In den sechziger Jahren trat er auch an den Berliner Bestatter Grieneisen heran, für den er schon als junger Architekt Ladenfronten gestaltet hatte: mit der Idee eines zeitgemäßen Sargmodells, das Grieneisen auf den Markt bringen sollte. Aber auch hier war wieder die Nostalgie stärker, und man winkte ab. Immerhin war es Eiermann selbst vergönnt, in einem modernen Sarg nach seinem Gusto bestattet zu werden.

Peter Stirner

„Egon Eiermann (1904-1970). Die Kontinuität der Moderne", bis zum 16. Mai im Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstr. 14, täglich außer Di von 10 bis 17 Uhr

 
 
 
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