Ausgabe 4 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

„Solange noch eine Frau den Mund aufmacht ..."

Zur Geschichte des Berliner Frauennetzwerks BFN

Frauenbewegung – das sind doch diese letzten paar Feministinnen, die regelmäßig zum 8. März aus ihren Nischen hervorkommen, oder? Frauenbewegung – gibt es die überhaupt noch?

Auf der Suche nach bewegten Frauen in Berlin stößt Frau unweigerlich auf das Berliner Frauennetzwerk (BFN) ­ einen Zusammenschluß aus Ost- und Westberliner Frauenprojekten. Der Ursprung der West-Initiativen geht auf die sogenannte zweite Frauenbewegung der siebziger Jahre zurück. Der Beginn der Frauenprojektebewegung wurde damals von einer großen Euphorie und Aufbruchstimmung begleitet. Viele Projekte, die heute noch existieren, sind aus dem Engagement von Frauen zu dieser Zeit heraus entstanden.

Von anfangs autonom organisierten Selbsthilfe- und Selbsterfahrungsgruppen entwickelten sie sich in den achtziger Jahren hin zu hochprofessionellen Organisationen wie Frauenhäusern und Frauenzentren mit verschiedenen soziokulturellen Angeboten ­ von Sprach- und Sportkursen über Filmabende und Frauendiscos bis hin zu Beratungsangeboten, lesbischen Archiven, Cafés. Hauptanliegen bereits in den siebziger Jahren war es, (Frei-)Räume für Frauen zu schaffen: „Frauenprojekte sind dadurch entstanden, daß fünf Frauen gesagt haben: ,Ey, so kann es hier nicht weitergehen, wir brauchen einen separaten Raum für uns. Die Jungs sitzen immer breit in der Ecke, und für uns ist kein Platz da.' So sind alle Frauenkneipen, Frauenbuchläden und Frauenprojekte entstanden", heißt es über die Anfangszeit der Projekte. Diese bunte Projektelandschaft wurde Anfang der neunziger Jahre durch die schnell sprießenden Ost-Initiativen bereichert ­ auch wenn manche der „Alteingesessenen" das zunächst anders sahen. Die allmähliche Ausfinanzierung von vormals autonomen Projekten durch den Berliner Senat führte zwar zu mehr Professionalität und Kontinuität, gleichzeitig entstanden jedoch Abhängigkeiten. Frauenprojekte traten vermehrt als Arbeitgeberinnen und soziale Dienstleisterinnen in Erscheinung und verloren gleichzeitig einen Teil ihres kämpferischen Moments.

Kann man heute wirklich noch von einer Bewegung sprechen oder hat sich die Frauenbewegung in vielfältigsten Institutionalisierungen erschöpft? Teile der Frauenbewegung agieren derzeit „zwitterhaft": Einerseits zeigen sie eine hochgradige Verinstitutionalisierung, um deren Sicherheit auch gekämpft wird. Andererseits agieren sie aber auch gegen staatliche Institutionen, verstärkt gerade auch in Zeiten finanzieller Kürzungen. Aus dieser „Halb-drinnen-und-halb- draußen-Position", die sie derzeit einnehmen, fällt es oftmals schwer, Alternativen zu formulieren ­ vielleicht auch, weil es dann zu einer Infragestellung der eigenen Existenz kommen könnte.

War der Staat bis Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger noch als Förderer von Frauenstrukturen aufgetreten, zog er sich im folgenden zunehmend aus dieser Position zurück. Ging es bei den Frauenprojekten zunächst noch darum, den Status quo zu bewahren, mußten sich die Projekte bald damit beschäftigen, wie sie mit finanziellen Kürzungen umgehen konnten. Die Einsicht in die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit zwischen den Projekten wuchs. Aus zwei bereits existierenden Frauennetzwerken entstand schließlich im Jahre 1998 das Berliner Frauennetzwerk. Ursprünglich mit dem Anspruch gegründet, endlich die Kluft zwischen Ost und West zu schließen, wurde es zunehmend zu einem Lobbynetzwerk, das die Interessen der Projekte gegenüber dem Berliner Senat vertritt. Vom Senat wird diese Arbeit durchaus wahrgenommen. Zähe Verhandlungen und Protestaktionen konnten schon die eine oder andere geplante Kürzung abmildern oder gar verhindern.

Die Problematik, sich damit nur in eine reine Abwehrposition zu begeben, sehen auch die Projektefrauen: „Die ganze inhaltliche Auseinandersetzung, die weitaus spannender wäre, wird immer wieder eingefordert. Aber tatsächlich ist es so, daß natürlich die Bedrohung von außen riesengroß ist und wahnsinnig viel Raum einnimmt." Hinzu kommt, daß die einzelnen Frauenprojekte zunehmend auf ihre sozialen Dienstleistun- gen reduziert werden ­ sowohl von Seiten der Politik, als auch von Seiten der eigenen Nutzerinnen. Unter dem insgeheimen Motto „Frauenpolitik ist Opferpolitik" fördert die Politik in erster Linie die sogenannte „Anti-Gewaltarbeit" sowie (Weiter-)Bildungsträger, die diejenigen Frauen auffangen sollen, die durch das immer grobmaschiger werdende soziale Netz fallen. Auch viele Nutzerinnen sehen in den Frauenprojekten mehr und mehr soziale Dienstleisterinnen und zeigen immer weniger Interesse für feministische Inhalte. Gleichzeitig stellen die Frauenprojekte für frauenbewegte Frauen Rückzugsorte dar, wodurch die Notwendigkeit für sie schwindet, sich für gesellschaftliche Veränderungen außerhalb dieser Nischen aktiv einzusetzen. Zudem nehmen insbesondere jüngere Frauen die Errungenschaften der zweiten Frauenbewegung als selbstverständlich hin. In ihren Augen erscheint ein weiteres Engagement oftmals überflüssig.

Bedeutet dies nun, daß die Todesstunde der Frauenbewegung eingeläutet ist? Soviel Pessimismus ist wohl unangebracht. Es bedarf jedoch einer erneuten Politisierung und Mobilisierung gerade auch bei jungen Frauen. Das BFN bietet ­ trotz des Überlebenskampfes einiger seiner Mitglieder ­ eine wichtige Plattform, auf der Erfahrungen aus jahrelangen frauenbewegten Auseinandersetzungen und Erfolge mit jungen Gesichtern und neuen Ideen zusammengebracht werden könnten. Wichtig ist es, wieder eine breitere Öffentlichkeit für feministische Fragestellungen und Anliegen zu schaffen.

Die Frauenbewegung mag vielleicht in einer Krise stecken, angesichts gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Benachteiligungen von Frauen wird sie aber nach wie vor gebraucht ­ vielleicht mehr als je zuvor. „Totgesagte leben länger" ­ das konnte die zweite Frauenbewegung immer wieder ihren Beobachtern zurufen. Vor allem heißt die Devise: Jetzt nicht aufgeben! Denn: „Solange noch eine Frau den Mund aufmacht, gibt es eine Frauenbewegung!"

Anna Fehmel/Dana Jirou/Melanie Schillo

www.berlinerfrauennetzwerk.de

 
 
 
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