Ausgabe 4 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Krieg den Palästen?

Das Kunstprojekt SaraySosyal geht ins Herz von Kreuzberg,

bleibt aber in seiner Aussage vage

Das Neue Kreuzberger Zentrum (NKZ) ist viel beschrieben worden. Konservative Politiker wollten es schon mal als angeblichen Hort von Kriminalität abreißen lassen. Aber auch liberale TIP-Journalisten sehen in den Wohnburgen am Kottbusser Tor nur Zeugnisse verfehlter Architektur, die besser verschwinden sollten.

Da gingen die Künstler anders vor, die im April in und um das NKZ Installationen und Projekte aufführten. „SaraySosyal" lautet der sperrige Name. Erst wenn er als Sozialpalast übersetzt wird, merkt man, daß er an diesem Ort Sinn macht. Dort, wo viele Menschen leben, die einst aus der Türkei als Arbeitsmigranten nach Deutschland kamen, heute teilweise schon den deutschen Paß haben und doch von weiten Teilen der Öffentlichkeit bei Bedarf immer wieder auf ihre Herkunft festgenagelt werden. Gerade in Zeiten, in denen die multikulturelle Gesellschaft oft nicht mehr als Bezeichnung für eine erstrebenswerte Utopie, sondern als Schimpfwort gilt, ist es daher lobenswert, wenn sich Künstler jenseits von Klischee und Sozialromantik mit dem Leben um und im NKZ befassen ­ wenn auch viele der Installationen erst einmal von den Bewohnern wie den Dauerbesuchern am Kotti, wie der Platz um das Kottbusser Tor von alteingesessenen wie zugezogenen Kreuzbergern liebevoll genannt wird, mit Distanz betrachtet wurden. Die von Simon Sparwasser auf verschiedene Wände und Fenster rund um das NKZ projizierten Bilder von Palästen fallen oft kaum auf; ein Hinweis, wie bunt und hell selbst nach Einbruch der Dunkelheit die Zentren unserer Städte doch sind. Die Hörinstallationen von PR Kantate, Robert Ohm, Josef Maria Schäfers und Stella Luncke waren besser wahrnehmbar, auch wenn sie vom Verkehrslärm manchmal beeinträchtigt wurden.

Die Installationen waren in VW-Bussen auf dem Platz aufgebaut. Was natürlich sofort die Aufmerksamkeit der Bewohner erregte, waren Interviews mit NKZ-Bewohnern. Es waren vorrangig männliche Jugendliche, die sich dort gerne produzieren wollten, die aber auch einen authentischen Ausschnitt des Lebens in der Wohnburg vermittelten. Auch Klischees über die Kriminalität an diesem Ort fehlen bei ihnen nicht. Warum auch nicht. Schließlich ist ja die Mehrheit der Bewohner mit türkischem Hintergrund ebenso konservativ wie die Einheimischen.

Da gab es in einem weiteren VW-Bus ein Hörspiel über den Dramatiker Georg Büchner, das gut für ein Feature im Deutschlandradio gewesen wäre, aber flüchtigen Besuchern oder einem nicht-bildungsbürgerlichen Publikum zunächst unverständlich bleiben mußte ­ auch wenn der Bezug zum Thema öfter erwähnt wurde. Es ging um Büchners berühmte Parole: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen!" Lange Zeit wurde sie auf linken Flugblättern gerade in Kreuzberg immer wieder zitiert. Heute wird sie von Teilen der Linken auch schon mal gerne umgedreht: Krieg den Hütten, Friede den Palästen. Das soll angeblich gegen eine Verklärung des einfachen Lebens in Armut helfen, kann aber bei Bedarf auch als Krieg gegen die Armen verstanden werden. Nur leider gingen die Künstler auf solche interessanten Debatten nicht ein. So bleibt das Projekt trotz des hochbrisanten Ortes doch sehr im Ungefähren. Da hätte man von engagierten Künstlern schon etwas mehr Mut erwartet. Schließlich weiß man im benachbarten Kreuzbergmuseum unter dem Titel „Geschichte wird gemacht" aktuell politische Themen mit künstlerischen Anspruch zu verbinden.

Peter Nowak

 
 
 
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