Ausgabe 4 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Faszination und Grauen in Niketown

Die Marketingstrategien einer Turnschuhfirma

Mein Neffe ist achtzehn und eigentlich nicht blöd. Aber infiziert vom Nike-Virus: Sein Basecap – Nike, sein Pullover – Nike, seine Jacke – klar, Nike und seine Turnschuhe – keine Frage, Nike. Mein Neffe, ein einziger großer Swoosh. Wie auch alle seine Freunde, eine ganze Generation, weltweit, die mit dem „Just do it"-Slogan aufgewachsen ist. Gelenkt und geleitet auf dem Weg zur Nike-Abhängigkeit wurden sie von hochdotierten Werbestrategen der Firma Nike.

Friedrich von Borries, Architekt und Erforscher der Alltagskultur, hat in seinem Buch Wer hat Angst vor Niketown? untersucht, mit welchen Marketingstrategien sich Nike in die Köpfe der Massen geschlichen, wie Nike dafür ganze Stadträume okkupiert und verwandelt hat. Borries hat zahlreiche Werbestrategien von Nike aufgespürt und genauestens unter die Lupe genommen.

Die Okkupation Berlins durch Nike begann, als die Stadt hip und ihrer Sub- und Off-Kultur, ihrer Brachen und Brüche wegen ständig mit New York verglichen wurde. 1999 eröffnete Niketown in der alten Westcity. Was sich als spektakuläres Sportkaufhaus tarnt, ist in Wirklichkeit die Keimzelle für eine urbane Intervention durch eine Turnschuhmarke. Der Name ist Programm, aus der Stadt Berlin wird eine Nikestadt, Niketown eben. In Nike-Berlin hängen an Bolzplatzzäunen getürkte Verbotsschilder mit Aufschriften wie „Treten auf eigene Gefahr" oder „Flaschen verboten". Alle mit einem winzigen Swoosh in der unteren Ecke. Unter dem Zeichen des Swoosh wurde die Kanzler-U-Bahn unter dem Reichstag zum Austragungsort eines dreitägigen „Subground Battle" ­ mit dem Slogan „Wenn Skateboarden ein Verbrechen ist, geht in den Untergrund" ­ und wurde das ehemalige, vorschnell abgerissene Stadion der Weltjugend in den Nikepark verwandelt. All diese, bis ins letzte Detail durchdachten Aktionen wirkten so wunderbar von unten initiiert, improvisiert, spontan und vor allem verboten ­ genau im Sinne der jugendliche Zielgruppe. „Nike beansprucht dabei für sich, den Widerstand gegen die reglementierte Stadt zu organisieren, selbst eine Widerstandsbewegung zu sein", so Borries.

Als bekennender Szene-Insider weiß Borries aus eigenem Erleben noch von weitaus subtileren Nike-Gehirnwäsche-Methoden zu berichten: den sogenannten Camouflage-Taktiken. Während Nike bei den bisher geschilderten Events durchaus als Initiator in Erscheinung trat, agiert der Konzern hier quasi verdeckt in subkulturellen Räumen der erwählten, elitären Zielgruppe des gemeinen Szene-Clubbers. Den suchte Nike ganz recht in Berlin-Mitte und lockte ihn in so dermaßen improvisierte, retrogeschwängerte Szenebars namens Presto oder WBM-Bar, mit ach so winziger Nike-Turnschuh-Vitrine in der letzten Ecke. Ganz selbstverständlich hängen sie da, die Schuhe und die Swooshs, sie gehören eben einfach dazu, spürt nun auch der letzte Markenverweigerer ­ wieder einer infiziert.

Die Nike-Okkupationsbeispiele in Borries' Buch erzeugen eine Mischung aus Faszination und Entsetzen. Faszination wegen des gnadenlosen Einfallsreichtums der Marketingstrategen, Entsetzen ob der Verwandlung der Stadträume in Nike-Erlebnisräume, der schleichenden Infiltration aller Lebensbereiche durch Nike. Nike hat „Macht über das Denken" errungen. In der modernen Gesellschaft steht es jedem frei, nicht so zu denken wie die Masse, aber „von dem Tag an ist er ein Fremdling". Welcher Teenager wird schon gern durch Markenverweigerung zum Außenseiter? Vielmehr sucht er, inklusive seinen sponsernden Eltern, nach Mittel und Wegen, der Marke gerecht zu werden. Und will er nicht klauen, was Nike den schwarzen, hippen, aber leider armen Jugendlichen in den USA sogar zugesteht ­ Hauptsache, sie bringen Nike unter ihre Leute und ins Gespräch ­, bleibt oft nur eine Einkaufstour nach Polen. Nicht selten ist alles, vom Basecap bis zum Schuh, billiges Fake, aber keiner sagt es laut.

Brigitte Baerlauch

Friedrich von Borries: Wer hat Angst vor Niketown? Nike-Urbanismus, Branding und die Markenstadt von morgen. Episode Publishers, Rotterdam 2004. 17,50 Euro

 
 
 
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