Ausgabe 3 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Bald nur noch Multiplex?

Kinosterben in Berlin

Foto: Jörg Gruneberg

Ist es eine Katastrophe, wenn ein Kino, das die Weimarer Republik, das Dritte Reich, den Zweiten Weltkrieg und das Ende der DDR überstanden hat, die rot-rote Kulturpolitik nicht überlebt?

Es gibt in Berlin rund 80 Lichtspielhäuser mit 278 Sälen (davon ca. 140 in Multiplex-Kinos). Zwischen 1995 und 2003 hat sich die Anzahl der Kinosäle in Berlin fast verdoppelt. Gleichzeitig wurden 30 Kinos geschlossen. Heute liegt die durchschnittliche Auslastung der Kinosäle zwischen 30 und 50 Prozent.

Gerade um die Traditionskinos ist es sehr schlecht bestellt. Besonders hart hat es die Kinos in der westlichen Innenstadt getroffen. Marmorhaus, Hollywood und Royal Palast sind nur drei der Häuser, die der Konkurrenz der Multiplex-Kinos nicht gewachsen waren. Neben der allgemeinen Rezession sind bessere Ausstattung, attraktivere Lage, modernere Technik und die knallharte Preispolitik der Multiplex-Kino-Ketten die Hauptursachen für das Ende dieser Kinos.

Anders verhält es sich bei den Programmkinos: Manchem sind die Zuschauer durch Älterwerden oder Umzug einfach abhanden gekommen (Filmbühne am Steinplatz, 1950 eröffnet), andere begründen die Schließung unter anderem mit dem Wandel des Freizeitverhaltens der Kiezbewohner (Blow Up in Prenzlauer Berg).

Es gibt aber auch Positives über die Entwicklung der Kinolandschaft in Berlin zu sagen. So kann sich die Yorck-Gruppe (International, Yorck, Filmtheater am Friedrichshain u.a.) gegen die immer stärker konzentrierte Macht der Multiplex-Kinoketten behaupten. Im Januar hat das Blow Up, mit dem Progreß Verleih als Betreiber, den Betrieb wieder aufgenommen. Der Programmschwerpunkt liegt auf deutschen und osteuropäischen Filmklassikern. Auch die Neueröffnungen Dokument-Kino (Mitte) und Krokodil (ausschließlich russische Filme, Prenzlauer Berg) zeigen, daß es möglich ist, Kinos mit sehr speziellem Programm jenseits von Multiplex- und One-Dollar-Kinos erfolgreich zu betreiben.

Das Kosmos Kino an der Karl-Marx-Allee hingegen, einst neben dem International das repräsentative Premierenkino Ostberlins, wird zum 1. August schließen. Das Filmkunsthaus Babylon, das auf eine fast 76jährige Kinogeschichte zurückblicken kann, hat bereits zum 1. März den Betrieb eingestellt.

Das Kosmos Kino ist das erste Multiplex-Kino (10 Säle mit ca. 3400 Plätzen), das 1996 in Berlin eröffnet wurde, und es wird das erste sein, das wieder schließt. Es ist ein Opfer der Insolvenz der UFA GmbH im Oktober 2002. Der Insolvenzverwalter möchte das Kosmos an Olaf Ponesky, den Betreiber der Groß- raumdisko The New World in Wildau südöstlich von Berlin, vermieten. Ponesky plant ein multikulturelles Haus, in dem Kino eine große Rolle spielen soll. Der Kulturstadtrat von Kreuzberg-Friedrichshain, Lorenz Postler (SPD), steht diesem Nutzungskonzept aufgeschlossen gegenüber. Sicher ist, daß das Kosmos nicht als Multiplex-Kino erhalten bleibt. Den Stadträten ist nur wichtig, daß das Haus überhaupt genutzt wird, weil sie sich davon eine Verjüngung der Karl-Marx-Allee erhoffen.

Sieht sich die Verwaltung beim Kosmos eher in einer beratenden Rolle, verhält es sich in Bezug auf das Filmkunsthaus Babylon ganz anders. Das Kino wurde seit 1994 vom Filmkunsthaus Babylon e.V. als kommunales Kino geführt. Und seit das Arsenal am Potsdamer Platz vom Bund finanziert wird, war es auch das einzige Kino dieser Art in Berlin. Im November 2004 entschied Kultursenator Thomas Flierl (PDS), dem Verein die Fördergelder in Höhe von 320000 Euro zu streichen und für das Kino einen neuen Betreiber zu suchen.

Als Begründung führte der Senator an, daß der Verein nicht wirtschaftlich genug gearbeitet hätte. Wie bereits in den zwei Jahren zuvor hatte man vom Senat zusätzliche Mittel gefordert. Bis zum September waren Mietschulden in Höhe von rund 78000 Euro aufgelaufen. Flierl scheint sich nicht daran zu erinnern, daß die Rechnungsprüfer auf die ständige Unterfinanzierung des Kinos wiederholt hingewiesen hatten. Seit der Wiedereröffnung des großen Saals 2001 (400 Plätze) waren die Betriebskosten des Kinos auf gut 21000 Euro im Monat gestiegen. Die vom Betreiber eingeworbenen Projektmittel und Kooperationen mit anderen Einrichtungen (Festivals, Kulturinstitute, Botschaften etc.) konnten das strukturelle Defizit nur abmildern. Die Kulturverwaltung ist der Meinung, daß das Babylon mit einem Mischprogramm hätte kalkulieren müssen. Diese Meinung widerspricht aber den Aufgaben eines kommunalen Kinos: andere Filme anders zeigen. Durch sein ambitioniertes cineastisches Programm, das mit weit über 100 Kooperationspartnern gestaltet wurde, hat sich der Filmkunsthaus Babylon e.V. einen Ruf erarbeitet, der weit über Berlin hinausgeht.

Im Dezember wurde ein Übergangsbetrieb vereinbart und das Babylon neu ausgeschrieben. Zur Prüfung der Angebote wurde eine Findungskommission (u.a. bestehend aus Vertretern der Senatsverwaltung) einberufen. An der Ausschreibung hatte sich auch der Babylon e.V. beteiligt. Die sechs Experten waren der Meinung, daß von den Bewerbern nur der Filmkunsthaus Babylon e.V. ein tragfähiges Konzept für ein kommunales Kino, so wie es die Ausschreibung vorsah, vorgelegt hatte. Trotzdem wurde am 17. Februar dem Babylon e.V. mitgeteilt, daß er als Betreiber des Kinos aus wirtschaftlichen Gründen nicht in Frage komme. Die Kulturverwaltung plant ein weiteres, freies Vergabeverfahren und will unter den anderen Mitbewerbern noch einmal suchen. Daß der Kultursenator den Filmkunstverein Babylon jetzt ausschließt, zeigt, daß der Erhalt eines kommunalen Kinos in Berlin nicht sein Ziel ist. Das Interessenbekundungsverfahren im Dezember war wohl nicht mehr als ein Scheinmanöver, um den bisherigen Betreiber zu verdrängen. Der Senat wünscht sich offensichtlich einen kommerziellen Betreiber, bei dem die Förderung mittelfristig ganz abgebaut werden kann.

Ja, es ist eine Katastrophe, wenn Kulturpolitik nur noch auf die Einsparung jeglicher Förderung abzielt.

Sven Großmann

 
 
 
Ausgabe 3 - 2005 © scheinschlag 2005