Ausgabe 2 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Schaukelnde Clowns und gewalttätige Frauen

Tag und Nacht „Zum Schinken"

Wir hofften auf ein „Nein", als wir in den Raum fragten, ob wir hier richtig seien, in der rund um die Uhr geöffneten Kneipe am Leopoldplatz, im tiefsten Wedding. Wir waren richtig: „Morgens, wenn die Putzfrau kommt, heben wir nur kurz die Beene", so die Antwort von zwei Lederhosen-Schwulen vor und einem hinter dem Tresen zur besten Kneipenzeit an einem Samstagabend. Später gesellte sich eine Handvoll professioneller Kiezsäufer dazu, und fertig war die typische Schinken-Gästemischung.

Das Interieur des Gastraums, von außen wegen dicker rauchgelber Gardinen womöglich gewollt nicht einsehbar, könnte man wohlwollend als gewachsen bezeichnen. Von den dunkelgelben Wänden lenken zahllose Bierschilder, mit Bildern bedruckte Spiegelchen aus welchem Jahrzehnt auch immer, eine Autogrammkarte von Frank Zander und Hertha-Devotionalien ab, während von der obligatorisch holzimitatgetäfelten Decke drei oder vier schaukelnde Clowns hängen. Einzig ein fast frischer Strauß richtig schöner Rosen störte das Ambiente; seine Herkunft blieb uns ein Rätsel.

Man kann im Schinken auch spielen: Billard, mit der Musikbox, mit Spielautomaten an der Wand und mit Brettspielen. Aber ausgerechnet das von den Kiezsäufern gewünschte Mühlespiel fehlte. Also unterhielt man sich, die Schwulen mit den Kiezsäufern. Zum Beispiel über die Emanzipation der Frau. Ausgerechnet der jüngste der Kieztrinker lehnte dieses um sich greifende Phänomen vehement ab, seien sie doch „gewalttätig", diese Frauen. „Wieso, sind doch gut und richtig, selbständige Frauen!" hielt die weitaus nüchternere Schwulenfraktion mit einem Zwinkern in unsere Richtung entgegen. Und überhaupt, was denn Gewalt mit Emanzipation zu tun habe... Aber der jugendliche Trinker eilte uns mit seinen Gedanken voraus. Zwar wolle er mit so emanzipierten Frauen nichts zu tun haben, „aber ein Kind machen", das würde er wollen! „Um Gottes Willen, bloß nicht!" raunte der schwule Wirt in unsere Richtung, und schon saß er bei uns.

Wir wurden mutig: „Ob es denn was zu essen gäbe", fragten wir ihn. „Klar, Kartoffelsalat mit Würstchen und so'n Scheiß", antwortete er und ging wieder. Nach einem zweiten Anlauf erfuhren wir, daß „so'n Scheiß" Knacker sind, alternativ zu Würstchen. Wir durften sogar bestellen und am Schluß 2,60 Euro dafür bezahlen. Unser Mut zu diesem kulinarischen Test sorgte für allgemeine Heiterkeit und vereinte kurzzeitig Trinker- und Schwulenfraktion im Sich-lustig-Machen über uns: „Wirt, was können Sie uns empfehlen?" ­ „Gar nichts!"

Vera Kühn

 
 
 
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