Ausgabe 2 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Ein beantwortetes Gebet

Auf der Suche nach 24-Stunden-Kneipen in Ostberlin

Der Satz ist haften geblieben. Weil ich ihn, als ich ihn hörte, geradezu als Verhöhnung empfand: „Jeder Augenblick, den Sie leben, ist ein beantwortetes Gebet", salbaderte ein weißhaariger Untoter, mithin öffentlich-rechtlicher Fernsehpfaffe, während ich mit fürchterlichen Zahnschmerzen vor dem Gerät lag, nein, eigentlich nur noch siechte. Ich erinnere mich häufiger an diesen Satz, in Notlagen, wenn ich vergebens um – meinethalben auch göttliche – Hilfe flehe, und stoße dann überaus lästerliche Verwünschungen wider den fiesen Popen aus. Vor kurzem mußte ich wieder an seine Worte denken, einigermaßen wütend, bei meiner Suche nach einer 24-Stunden-Kneipe in der Nähe meiner Schlafstatt, einer Kneipe, in der man die Morgenstunden ungestört über einem Bier verdämmern kann.

Der erste Weg führte mich zur „Besenkammer" unter der S-Bahn-Brücke am Alexanderplatz. Zuvor war ich zwei Mal dort gewesen, jeweils zu etwas späterer Stunde, will heißen: zwischen acht und neun Uhr morgens. Nun, kurz nach fünf, wurde klar, was es mit der mir bis dato rätselhaften Selbstbezeichnung „Szenekneipe" auf sich hat. Der recht übersichtliche Schankraum war voll: dicht beieinander stehende, kuschelnde Schwule, immer wieder einstimmend ins Potpourri der wirklich beklopptesten Siebziger-Jahre-Schlager, vom Tresen ins Lokal geblasen. Ich wurde schon wenige Minuten nach meiner Ankunft angebaggert. Zum stillen Wegdämmern war das nichts. Ich trank ein Bier und ging.

Vor einiger Zeit hatte mir jemand gesagt, in den S-Bahn-Bögen am Hackeschen Markt gäbe es eine 24-Stunden-Kneipe. Also dorthin. Welch Grauen aber ergriff mich, als ich den Laden dann vor mir sah: „am to pm", im schlingernden Untertitel „Croissanterie Cafélounge Cocktailbar Clubevents", nichts weniger! Und alles andere als eine Kneipe: wummernde Discobeats, zuckendes Stroboskoplicht. Schlimm! Noch hoffte ich, drinnen vielleicht einen verlorenen Winkel zu finden, in dem ich in Ruhe mein Bier schlürfen könnte. Als mir aber der Türsteher befahl, beim Betreten der kruden Event-Cocktaillounge die Mütze abzunehmen (die Betreiber haben wohl vergessen, die Cirche in ihren CCCC-Namensquatsch einzufügen), war's vorbei. Ich winkte mir ein Taxi.

Früher war ich öfter Gast in einem 24-Stunden-Lokal, welches behauptete, die kleinste Kneipe in Prenzlauer Berg zu sein: „Zum kleinen Finger" in der Stargarder Straße, ein formidabler Abfüllort für durstige Frühaufsteher und wackere Dauertrinker. Dort angekommen, mußte ich feststellen, wie die Zeit an mir vorbeiläuft. „Müllers Büro" heißt das Ding jetzt, durch die Fensterscheibe sah ich ein paar Nachwuchsalkoholiker um den Tresen versammelt, vergeblich jedoch mein vehementes Rütteln an der Tür, mein inferiores Weh- und Ach-Geheul. Schande über den neuen Betreiber, der einem weitgereisten Ex-Stammgast nicht einmal sein Morgenbier gönnt! Mittlerweile hatte es auch noch angefangen zu regnen. Und während ich weiterlief, erinnerte ich mich des sabbelnden TV-Pfarrers: Jeder Augenblick, den Sie in Ostberlin nach einer 24-Stunden-Kneipe suchen, ist ein beantwortetes Gebet. Ha!

In der Dunckerstraße, nahe der Danziger Straße, endlich, die Erlösung ­ ein unscheinbares Lokal, rund um die Uhr geöffnet: „Connys Bistro" (jawohl, ohne Apostroph! Man ist hier offenbar des Deutschen mächtig.) Im Bewußtsein, mich unter hochgebildete Menschen zu begeben, betrat ich das Lokal und ward des Glücks teilhaftig: Dieser wundervolle Hort der Gastlichkeit... Die Wände braun in braun, die Einrichtung einfach, ein Zigarettenautomat, ein Daddelautomat, sonst nichts Überflüssiges, nichts, was einem vom Trinken ablenken könnte, nur im Hintergrund ein leise brabbelnder Fernseher: „Alkoholische Getränke hat mir Mutti verboten." Ich bestellte einen halben Liter Radeberger für 1,20 Euro. Die Wirtin reichte mir den köstlichen Trunk und schenkte mir zudem ein belegtes Brötchen. Die beiden Gäste, die sich außer mir im Lokal befanden, tranken Sternburg Export, das sie liebevoll „Sternchen" nannten, referierten über sportive Trinksitten und krankheitsbedingte Schlankheitskuren, einer machte der Wirtin Komplimente: „Da biste aber 'ne junge Oma!" Später legte er ein schwerwiegendes Geständnis ab: „Ich hab 'ne Verwandte im nichtsozialistischen Wirtschaftsbereich gehabt." Ich nuckelte versonnen am ersten, zweiten, dritten Bier ­ ruhiggestellt, wissend, letztlich doch noch am richtigen Ort gestrandet zu sein.

Roland Abbiate

 
 
 
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