Ausgabe 2 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Pfiat di Gott

Das neue Handbuch für Deutschland ­ eine Realsatire

„`Hallo', `Tschau', `Tschüs', `Tschö' und `Tschüssi' sind weniger förmliche Grußformeln. Zur Begrüßung sagt man in Bayern, Baden-Württemberg und Teilen der Pfalz zu jeder Tageszeit `Grüß Gott' und `Servus', zur Verabschiedung `Pfiat di Gott' oder `Ade'. In Norddeutschland, in den Küstenregionen Ost- und Nordfrieslands grüßt man sich zum Beispiel `Moin' oder `Moin, Moin'. `Mahlzeit' sagen sich Arbeitskollegen, wenn sie sich um die Mittagszeit begegnen." – Grundwissen Deutschland, das Neuzuwanderern den Start und das Einleben in der fremden Umgebung leichter machen soll.

Die zweite Auflage des Handbuchs für Deutschland, herausgegeben von Marie-Luise Beck, der Migrationsbeauftragten der Bundesregierung, gibt auf 240 Seiten in acht Sprachen Informationen zu Land und Leuten, Politik, Recht, Arbeit und sozialer Sicherung sowie zu Alltagsfragen. Eine „Gebrauchsanleitung" für Deutschland möchte das Buch sein, die Migranten bei der Ankunft in der neuen Heimat hilft.

Und sie vor peinlichen Fehltritten bewahrt? So wird gewarnt vor der deutschen Pünktlichkeit: „Die Deutschen legen auf Pünktlichkeit großen Wert. Natürlich beginnen die Sendungen im Radio oder im Fernsehen exakt um die Uhrzeit, zu der sie angekündigt sind. Genauso ist das in den meisten Fällen mit den Abfahrtszeiten von Bahnen und Bussen."

Bescheid wissen sollte der Neuankömmling über regionale Besonderheiten wie die Spreewaldgurke oder die Schwarzwälder Kuckucksuhr, bei der „sich zu jeder vollen Stunde am Gehäuse der Uhr eine Tür öffnet und ein künstlicher Vogel `kuckuck' ruft".

Als grundlegende Voraussetzung für die erfolgreiche Integration eines ausländischen Mitbürgers wurde seine Kenntnis des deutschen Feierverhaltens erkannt. Es wird ihm auf 15 Seiten nahegebracht: Zu Weihnachten „mieten sich viele Familien einen Weihnachtsmann, der häufig von Studenten im Kostüm gespielt wird". „Auf der Wiesn werden jährlich mehr als fünf Millionen Maß Bier getrunken und über 200000 Paar Schweinswürstl verzehrt", und zum Vatertag „ziehen viele erwachsene Männer mit Handkarren und Alkohol durch die freie Natur".

Selbstverständlich erfährt der Leser alles über „Deutsche Spezialitäten", die da sind „Frankfurter Würstchen, Grünkohl, Weißwurst, Schweinshaxen, Spätzle, Buletten, Salz-Hering und Kieler Sprotten" ­ und er weiß am Ende, was Trinkhalle und Büdchen, Stammtisch und Einstand bedeuten.

Besonders praktische Lebenshilfe bietet das Deutschlandbuch in den Bereichen Wohnen und Einkaufen. Um es sich nicht sogleich mit der Nachbarschaft zu verderben, muß der Fremde berücksichtigen, daß „sich in Deutschland die neuen Mieter ihren direkten Nachbarn vorstellen ­ freiwillig". Auch bewahrt aufmerksame Lektüre unsere neuen Mitbürger davor, die „wöchentliche Kehrwoche" zu verschlafen oder ihr Viehzeug in der Wohnung zu halten, denn „die Haltung von Nutztieren wie Schafen, Schweinen usw. ist in Privatwohnungen generell nicht erlaubt." Damit Ausländer nicht etwa Schlangen in Supermärkten verursachen und so ihre deutschen Gastgeber verärgern, erklärt das Buch ausführlich die dortigen Abläufe: „In den meisten Supermärkten gibt es Kassen mit Förderbändern. Die Kunden legen ihre Waren nacheinander auf das Band und trennen ihre Einkäufe mit sogenannten Warentrennern. Obst und Gemüse müssen manchmal abgewogen werden. Und so geht's: Eine Obst- und Gemüsesorte in eine kleine Plastiktüte packen, Nummer der Ware merken, Ware auf die Waage legen und die entsprechende Nummer drücken. Die Waage druckt dann einen kleinen Klebezettel mit dem Preis aus, den man an die Tüte klebt und an der Kasse bezahlt. Klingt komplizierter als es ist."

Was für Ausländer wirklich kompliziert ist, nämlich das sie betreffende Ausländerrecht, wird im Handbuch auch besprochen. Aber sollte diese „Darstellung nicht als umfassende und verbindliche Rechtsauskunft verstanden werden. Über diese Details kann man sich beim örtlichen Ausländeramt oder bei einem auf Ausländerrecht spezialisierten Anwalt informieren". Und über „Arbeitslosigkeit und Existenzsicherung" erhalten „Sie Informationen bei der örtlichen Agentur für Arbeit", und „bei Problemen am Arbeitsplatz bietet Informationen und Hilfe der Betriebsrat". Tatsächlich sind im Anhang des Buches Anlaufstellen aufgelistet, die dem Ausländer hilfreich sein können.

Man habe sich bei dem Buch ein Beispiel an Broschüren aus den klassischen Einwanderungsländern wie Kanada, Neuseeland oder Australien genommen, so Beck. Diese Länder betreiben eine Einwanderungspolitik, die es Neuankömmlingen tatsächlich erlaubt, sich mit Begrüßungsformeln und Feierkultur zu beschäftigen. In Deutschland allerdings dürfte dem frisch Gestrandeten angesichts der bürokratischen Hürden, die er zu überwinden hat, der Spaß daran schnell vergehen. Für seinen Hindernislauf zum Bleiberecht bietet das Buch nur wenig konkrete Hilfe, gerade, weil es so „gewollt unverkrampft" und mit dem „Mut zur Lücke" daher kommt.

Vera Kühn

Ein Handbuch für Deutschland,
herausgegeben von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration,
2. überarbeitete Auflage 2005.
www.handbuch-deutschland.de

 
 
 
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