Ausgabe 1 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Das Feld verdichtet sich

Claudia Hummel von finger e.V. über die zweite Folge der „evolutionären zellen"

2002 gab es die erste Runde des Wettbewerbs „evolutionäre zellen". Wie ist diese Idee damals entstanden?

Ausgehend von der Frage, wie Gesellschaftsgestaltung in medial nicht kommentierten Formen stattfindet, haben wir uns gefragt: Wie macht man diese Initiativen sichtbar? Wie kann man sie ermuntern, sich zu zeigen, und was bilden dann diese Projekte ab? Wie verändert sich das Bild Deutschlands, wenn man auf diese Art und Weise Geschichte schreibt? Daraus ergab sich dann die Frage: Wie erreicht man diese Leute? Und so sind wir auf das Instrument des Wettbewerbs gekommen, in der Hoffnung, mit einer relativ hoch dotierten Ausschreibung eine große Streuung zu erreichen. Wir haben dann versucht, den Wettbewerb über die unterschiedlichsten Medien publik zu machen, um Menschen zu erreichen, die sich diese Fragen auch stellen, aber nicht wissen, wem sie das überhaupt erzählen sollten. Die Idee trugen wir dann zur NGBK und bekamen den Zuschlag für die erste Ausschreibung des Wettbewerbs.

Hat die zweite Runde nun in etwa denselben Querschnitt an Projekten und Ansätzen zu Tage gefördert oder konntest du da größere Unterschiede feststellen?

Mein Eindruck ist, daß sich die Sache bei der zweiten Ausschreibung präzisiert hat. Es gab wesentlich weniger Einreichungen von Leuten, die die Frage der Ausschreibung überhaupt nicht bedacht oder verstanden hatten, die nur wegen des Preisgeldes mitgemacht haben. Diesmal sind vielleicht auch mehr „brave" Projekte eingereicht worden. Aber manchmal liegt ja in der Ruhe die Kraft. Das sind häufig Projekte, die es schon lange gibt, die aber in den letzten Jahren an Selbstbewußtsein gewonnen haben, weil sich die Frage der selbstbestimmten und selbstorganisierten Gesellschaftsgestaltung absolut zugespitzt hat. In Berlin ist das ja besonders deutlich.

So richtig überrascht war ich aber von sehr wenigen Sachen. Interessant ist vielleicht, daß sich von der akademischen Seite her etwas bewegt. Es gab einige Beiträge aus Uni-Kreisen, etwa die „Rollende Akademie", wo sich GeisteswissenschaftlerInnen zusammengetan haben und sagen: Unser Wissen ist gerade geparkt, wir möchten herumfahren und Fortbildungsveranstaltungen machen, damit unser Wissen Anwendung findet.

Es war nicht ausgeschlossen, daß sich Projekte, die schon in der ersten Runde dabei waren, ein zweites Mal bewerben. Ist das geschehen?

Wir haben die „alten" evolutionären zellen alle angeschrieben und über den neuen Wettbewerb informiert, haben ausdrücklich gesagt, daß wir uns freuen, wenn sie sich wieder melden und ihre Weiterentwicklung sichtbar machen. Einige haben das getan.

Gibt es denn Beispiele für Projekte, die sich in den zwei Jahren merklich weiterentwickelt haben?

Ja, z.B. das „Fukuoka-Demofeld" von Winfried Schiffer. Er lebt in einem Hausprojekt hier in Berlin. Zu zwölft haben sie sich in den Achtzigern ein Haus direkt an der Spree gekauft und einen Gemeinschaftsgarten angelegt. Dann sind einige Hausbewohner „reich" geworden und wollten plötzlich einen Golfrasen, haben den auch durchgesetzt, und Schiffer hat als Erinnerung an die gemeinschaftliche Zeit das „Fukuoka-Demofeld" eingerichtet, eine Garteninsel von 1,80 m mal 1,80 m, die in einer halbwilden Anbauweise kollektiv bestellt werden kann. Dorthin hat er zu Führungen eingeladen und Feste veranstaltet. Dieses Projekt hat sich auf eine ganz erstaunliche Weise weiterentwickelt. Es hat durch den letzten Wettbewerb eine ziemliche Medienresonanz bekommen, und Schiffer hat dann mit neuem Selbstbewußtsein ein Projekt zur Umgestaltung des Görlitzer Parkes erarbeitet sowie aktuell ein Konzept für das Gelände des Wriezener Bahnhofs.

Hinter all dem steht die Theorie, vielleicht die Hoffnung, daß aus solchen kleinteiligen Projekten Potentiale erwachsen, die gesellschaftsverändernd wirken könnten.

Ein Aspekt der „Zellen-Theorie" ist, daß Überlegungen, wie sich die Gesellschaft verändern muß, in unterschiedlichen Feldern verschieden angestellt und formuliert werden. KünstlerInnen, die einen spielerisch-symbolischen Umgang haben, denken anders über die gleichen Probleme nach als Leute aus anderen gesellschaftlichen Bereichen. Da gibt es etwa eine Familie in Süddeutschland, die ein hochkompliziertes Mehrfach-Wasserverwertungssystem entwickelt hat, das „Drei-Wasser-Haus". Sie schaffen damit eigene Methoden, Ressourcen zu schonen, ähnlich dem Kläranlagen-Modell, das eine Künstlerin vor zwei Jahren eingereicht hat. Deswegen war jetzt die zweite Runde auch so interessant: Das Feld verdichtet sich, und es finden sich zunehmend Wahlverwandte.

Die problematische Kehrseite einer solchen Zellen-Theorie ist möglicherweise, daß sich die öffentliche Hand aus der Verantwortung ziehen und darauf verweisen kann, daß diese Dinge selbstorganisiert und ohne Budget offensichtlich auch funktionieren.

Das muß man, glaube ich, projektspezifisch beantworten. Es gibt Projekte, die wirklich Lücken thematisieren oder Zusammenhänge derart neu zusammenfügen, wie das vorher noch niemand getan hat. Es gibt aber auch Projekte, bei denen diese Befürchtung begründet ist, etwa die Studentenstiftung Dresden. Da wollen einige Studenten eine Stiftung gründen, um Kapital zusammenzutragen, das es ihnen erlaubt, z.B. Bibliotheken länger offen zu halten. Das ist natürlich eine Aufgabe, die eigentlich der Staat übernehmen muß. Solche Initiativen tragen nur solange, bis die Defizite sichtbar geworden sind.

Sollen die evolutionären zellen fortgeschrieben werden oder genügen diese zwei Runden?

Nein, das genügt nicht. Es muß jetzt unbedingt noch einen dritten Wettbewerb geben. Dann haben wir einen Zeitraum von sechs Jahren dokumentiert, in dem sich die Gesellschaft auch merklich verändert. Der erste Wettbewerb ist auf sehr große Aufmerksamkeit gestoßen. Wir werden sehen, welche Resonanz der zweite Wettbewerb erfährt. Auf jeden Fall wollen wir die Ergebnisse nicht nur anläßlich von Ausstellungen in die Öffentlichkeit bringen, sondern auch in absehbarer Zeit ein dauerhaft zugängliches Archiv einrichten.

Interview: Florian Neuner

Foto: Manfred Beier

 
 
 
Ausgabe 1 - 2005 © scheinschlag 2005