Ausgabe 1 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Rebellioni tritata

hack.it.art, Disobedience und Kurds On the Map im Kunstraum Kreuzberg

Cornelia Reinauer ist Politikerin. Sie ist die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, und wenn sie bei Ausstellungseröffnungen das Publikum begrüßt, bringt sie ihre Freude darüber zum Ausdruck, daß das bezirkliche Kulturamt es immer wieder schafft, mit möglichst wenig Geld spannende innovative Projekte zu realisieren. Das neueste spannende und innovative Projekt ist noch bis zum 27. Februar im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien zu besichtigen. Eigentlich – und das ist bestimmt noch spannender und innovativer – sind es aber gleich drei Projekte, die vom Kunstraum-Leiter Stéphane Bauer koordiniert und in einer Ausstellung zusammengeführt wurden. Erstens: hack.it.art. Zweitens: Disobedience – Ziviler Ungehorsam. Und drittens: Kurds On the Map.

Das von Tatiana Bazzichelli und Alexandra Weltz kuratierte Projekt hack.it.art beschäftigt sich mit „Hacktivismus im Umfeld von Netzkunst und Medien in Italien". Zu sehen sind verschiedene Arbeiten italienischer Künstler und Aktivisten, die den Zweck verfolgen, unabhängige Kommunikationsstrukturen zu schaffen und die freie Vermittlung von technischem, politischem und kulturellem Wissen zu ermöglichen. Man erfährt etwas über unabhängige Server, freie Fernsehsender und autonome Radios, die Informationen verbreiten, die in Italien ansonsten nicht gesendet würden. Man kann ein Betriebssystem bewundern, das auf die Bedürfnisse von Medien-Aktivisten zugeschnitten ist. Und man ist gehalten, in den liebevoll gestalteten Ausstellungsraum von „Sexyshock" einzutreten, dem ersten von Frauen geführten Sexshop Italiens, der sich als Teil der Hacker-Community versteht. Im Februar finden zudem verschiedene Begleitveranstaltungen statt, in denen man sich z.B. mit dem Thema „Cyberfeminismus, Frauen und Technologie" beschäftigen kann oder lernt, mit einfachen Mitteln einen eigenen Fernsehsender zu bauen.

Disobedience ­ Ziviler Ungehorsam, ein Projekt von Marco Scotini, will die „Beziehung zwischen künstlerischen Praktiken und zivilem Ungehorsam" darstellen. Die Ausstellung ist ein erster Zwischenschritt des langfristigen Projekts, ein Archiv anzulegen, das verschiedene Widerstandstaktiken und -aktionen dokumentiert. Im Kunstraum Kreuzberg bekommt der Besucher vor allem Filmmaterial und Zeitungsausschnitte zu Gesicht, deren Themen von den sozialen Kämpfen im Italien der siebziger Jahre bis zu den globalen Protesten vor und nach Seattle reichen.

Das Projekt Kurds On the Map von der On Egnatia Berlin Agency versteht sich als „Forschungsprojekt, das sich mit der Kartographie kultureller Identitäten in Europa" beschäftigt. In Zusammenarbeit mit dem Osservatorio Nomade in Rom, Mythos-Film Berlin und dem Kurdischen Studentennetzwerk wurden Kurden aus Rom, Venedig und Berlin begleitet, die sich im September 2004 in Gelsenkirchen trafen, um am 12. Internationalen Kurdischen Kulturfestival teilzunehmen. Ausgehend von den individuellen Geschichten der Teilnehmer wurde und wird weiterhin eine „sensible und dynamische Kartographie" der „kurdischen Diaspora" erarbeitet. Im Kunstraum werden erste Ergebnisse in filmischer Form präsentiert. Im weiteren Verlauf der Ausstellung sollen die „kartographischen Aufzeichnungen" in ein „live mapping" übertragen werden.

Das Problem aller drei Projekte besteht nicht darin, daß ihre thematischen Gegenstände künstlerisch uninteressant oder politisch irrelevant wären. Ganz im Gegenteil. Das Problem, von dem nicht einmal ausgemacht ist, ob es das Problem der Ausstellungskonzeption oder doch nur das Problem des Autors ist, besteht darin, daß sich die Präsentation weitgehend elektronischer Medien bedient (und sich ihrer wahrscheinlich auch notwendig bedienen muß). Auf der Ausstellungseröffnung war es, ob des Gedränges, nahezu unmöglich, sich halbstündige Filme anzusehen oder – wild herumklickend – die Geheimnisse einer Hacker-Software zu ergründen.

Da die Eröffnung nun definitiv vorbei ist, scheint zumindest dieses spezielle Problem verschwunden. Aber auch dann, wenn man vorhat, in den nächsten vier Wochen die Ausstellung zu besuchen, sollte man viel Zeit und Geduld mitbringen. Zudem empfiehlt es sich, eine Tageszeit zu wählen, von der man vermutet, daß der Rest Berlins mit anderen Dingen beschäftigt ist. Und notwendige Systemvoraussetzung für den Besuch ist natürlich auch, daß man keine Scheu vor dem öffentlichen Gebrauch von Computern hat.

Thomas Hoffmann

„hack.it.art – Hacktivismus im Umfeld von Netzkunst und Medien in Italien", „Disobedience – Ziviler Ungehorsam", „Kurds On the Map", noch bis zum 27. Februar im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz 2, Kreuzberg, geöffnet von Dienstag bis Sonntag, 12 bis 19 Uhr. Näheres zum Veranstaltungsprogramm unter www.kunstraumkreuzberg.de

 
 
 
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