Ausgabe 1 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

musik für die massen

Spalter

Eine Binsenweisheit: Über Geschmack läßt sich nicht streiten. Und doch sind die folgenden CDs hervorragend geeignet, um Geschmacksfragen zu diskutieren. So erhitzt die neue Platte von Hans Nieswandt, ehemaliger Mitstreiter von Whirlpool Productions, in einigen Internetforen die Gemüter. Die einen loben seine Experimentierfreude in Sachen House und freuen sich an seinen Texten mit deutlichen Schlageranleihen, während andere meinen, daß Hans Liedchen trällert, die ihm wohl Michael Schanze oder Howard Carpendale komponiert haben. Man darf es durchaus als mutig bezeichnen, das neue Album The True Sound Center (Ladomat 2000) mit einem Schlager-Disco-Drama wie „Ich vermiß die Zeit (bleib)" zu eröffnen. Italienischer Dancefloor-Beat trifft auf Liebes-Endzeit-Erfahrung. Auch der Remix von Rio Reisers „Dr. Sommer" bewegt sich hart an der Kitschgrenze. Allerdings rettet hier wie auch bei dem ersten Stück der unprätentiöse Gesang und der charmante Housebeat Dr. Sommer vor einem Sonnenbrand. Überhaupt ist das der Clou an dem Album: Vollkommen ironiefrei tragen alle Songs eine leichtgängige Ernsthaftigkeit in sich, so daß sie sowohl in der Dorfdisco wie auch in der lässigen Clubbar funktionieren. Ergänzt werden diese Zuckerstücke von reinen Instrumentalnummern. In diesem Mix liegt dann auch das Geheimnis von House verborgen: mal ein verlockendes und manchmal eben auch leicht klebriges Pop-Versprechen.

Alles andere als klebrig kommt dagegen John Tejada daher. Hier stellt sich die Frage, wer heute noch ein elektronisches Konzeptalbum mit minimalistischen Click&Cut-Geräuschen braucht. Die Titellistung erfolgt von A1 nach C3 und gibt dem Album neben dem arg theoretischen Titel Logic Memory Center (Plug Research) auch noch einen durch und durch konzeptionellen Anstrich. Allerdings verbergen sich tief unter den spröden Sounds auch tanzbare Baßlinien. So finden sich zwischen all dem Minimal-Techno auch drei Vokaltracks, die aus dem vermeintlich trockenen Konzept fast schon wieder Pop werden lassen. Tejada spielt zwar mit einem abstrakt-avantgardistischem Sounddesign, katapultiert sich aber durch House und Dub-Einflechtungen aus der öden Theorieecke heraus.

Dub-Techno ist genau so ein ge-schmacklicher Streitfall. Eigentlich eine hübsche Symbiose zweier Musikstile, ist dieses Subgenre inzwischen recht festgefahren und glänzt durch Langeweile und allzu oft durch kitschig esoterische Schnörkel. Als Soundtüftler bei Palais Schaumburg und The Orb hat Thomas Fehlmann bewiesen, daß er in verschiedenen Welten zu Hause sein kann. Jetzt also Elektrodub, der sich in der Weiterentwicklung à la Fehlmann zwischen Reduktion und Ausuferung zugleich bewegt. Was Lowflow (Plug Research) unterhaltsam macht, sind die Soundornamente, die als kurze Breaks den samtweichen Fluß des Klangtep-pichs unterbrechen, ohne ihn zu zerstören, und ein sanftes, nie langweiliges Dahingleiten ermöglichen.

Marcus Peter

 
 
 
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