Ausgabe 1 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Im Schutz der Institutionen

Neue politische Kunst als Avantgarde oder Rückzugsgefecht? Eine Konferenz in Berlin suchte Antworten

Wird in unseren Museen und Kunsthochschulen, in den Ateliers und einschlägigen Institutionen die Revolution vorbereitet? Man möchte das beinahe glauben, wenn man sich vor Augen führt, was dort derzeit an antikapitalistischen und globalisierungskritischen Umtrieben zu beobachten ist, wie engagiert Gruppen wieder versuchen, kritisch mit den Institutionen und mit überkommenen Künstlerbildern ins Gericht zu gehen. Und wenn man den Referenten der „Klartext!"-Konferenz über den „Status des Politischen in aktueller Kunst und Kultur" im Künstlerhaus Bethanien Mitte Januar so zuhörte, dann konnte einem die alte avantgardistische Utopie einer Aufhebung der Kunst in Lebenspraxis schon in einem neuen attraktiven Licht erscheinen. Denn dann wäre etwa Ladendiebstahl eine legitime Praxis, dann würde das US-amerikanische Chemie-Unternehmen Dow nach 20 Jahren doch noch Verantwortung für die Giftkatastrophe im indischen Bhopal übernehmen, dann würde man den Opfern von polizeilicher Willkür Gehör schenken und nicht den routinierten Ausflüchten der Staatsgewalt. Möglich ist das aber vorerst nur – oder nur noch, je nach Sichtweise – in den geschützten Räumen der Kunst.

Auch wenn die politische Kunst von heute auf die Straße drängt, auf der Seite aller möglichen sozialen und politischen Bewegungen kämpfen will, den Schutz der Institutionen benötigt sie eben doch. Die Revolution findet vorerst nur im Museum statt, und es mag einem Kurt Tucholsky in den Sinn kommen, der einst höhnte, die deutsche Revolution habe wegen schlechter Witterung in der Musik stattgefunden. Der Kurator Marius Babias stellte so mit einiger Berechtigung die Frage in den Raum, wie weit man denn bereit sei zu gehen. Exponiere man sich im Schutz der Institution Kunst, dann rechne man doch immer auch mit der Möglichkeit eines gefahrlosen Rückzugs. „Bei euch ist es Kunst, die Unterschichten werden bestraft", meinte denn auch ein sich dem autonomen Spektrum zurechnender Zuhörer. Aber wo ist heute überhaupt die Unterschicht? Füllte nicht ein „Hartz IV-Publikum" aus prekär oder gar nicht beschäftigten „Kulturschaffenden" das Studio 1 im Bethanien bis auf den letzten Stehplatz, wie ein Moderator vermutete?

Neben einem irgendwie antikapitalistischen Konsens schien all die Künstler und Kuratoren auch die Überzeugung zu einen, daß es zuletzt um Kunst zu gehen habe, daß es lediglich Gelder und Institutionen umzunutzen gelte. Für den Wiener Oliver Ressler etwa, der mit der Videokamera an Anti-Globalisierungs-Demos teilgenommen hat, sind die Produktionsressourcen im Kunstfeld schlicht „genial". Und der Spanier Jordi Claramonte von der Gruppe Fiambrera Obrera/Yomango hätte sein Handbuch mit Anleitungen zum erfolgreichen Ladendiebstahl sonst schlecht risikolos publizieren können. Da darf man natürlich einwenden, daß die Institutionen so blöd kaum sein werden, dieses politische Agitieren als Kunst-Kuckucksei zu verkennen, daß hier vielmehr wieder mal erfolgreich mit Umarmungsstrategien gearbeitet wird. Aber das ist diesen Kunst-Aktivisten selbstverständlich klar, die gleichzeitig darauf setzen müssen, daß sich ihre Ideen am Ende doch nicht so leicht neutralisieren lassen. Die Umarmung kann dann so weit gehen wie im Fall der nach Turin eingeladenen Gruppe von Jordi Claramonte. Die hatte mit ihrer Beteiligung an Demonstrationen in Barcelona Aufsehen erregt, und weil auf den Straßen Turins gerade nichts los war, wollte man für sie Schauspieler engagieren. Man lehnte dankend ab.

Überhaupt können die Exponenten dieser neuen politischen Kunst mehr oder weniger lustige Anekdoten erzählen. In Buenos Aires kann man schon noch aus einem Kulturzentrum geworfen werden, wenn man es mit ironischer Institutionskritik zu weit treibt, wie die Grupo de Arte Callejero berichtete. Und die Yes Men aus New York, die spielerisch die Rollen der „Feinde" annehmen, mußten einsehen, daß sie damit George W. Bush Wahlhilfe geleistet hatten. Als falsche Wahlkampftruppe in der Provinz versuchten sie, so viel übersteigert reaktionären Schwachsinn zu erzählen, daß ihr Publikum stutzig würde, sammelten Unterschriften für die Erderwärmung und die Abholzung des Yosemite-Nationalparks ­ ohne Erfolg, die Leute unterschrieben. Manchmal wird eben auch Klartext nicht verstanden.

Die Frage, wie eine kritische Kunstpraxis aussehen könnte, die nicht sofort vom Betrieb integriert wird, zog sich als roter Faden durch alle Gespräche auf der von Marina Sorbello und Antje Weitzel organisierten Veranstaltung. Und man kann den Konferenzteilnehmern aus Europa, Australien, Argentinien und den USA auch gewiß nicht vorwerfen, sie würden diese Gefahren unterschätzen, wüßten nicht ganz genau, wie Institutionen funktionieren. Dazu muß gesagt werden, daß sich hier keineswegs irgendeine Art von Underground oder Gegenöffentlichkeit artikulierte, diese Protagonisten agieren an prominenten Stellen des Kunstbetriebs, kuratieren Ausstellungen in Kunstvereinen und werden mit Preisen ausgezeichnet. Eine Verweigerung findet nur insofern statt, als von diesen Künstlern nicht durch das Auftragen von Farbe auf Leinwand Fetische produziert werden, so daß die ganz großen Geschäfte mit konservativen Sammlern und Museen nicht ohne weiteres möglich sind. Aber man sollte Flick & Co. natürlich auch nicht unterschätzen. An die Stelle des heroischen Einzelkämpfers sind jedenfalls längst Gruppendynamiken getreten. Gleichsam als Veteran des alten Kämpfertums war Hans Haacke zu bestaunen, der gerade Schabernack mit der amerikanischen Flagge treibt ­ befragt von einer Kunsthistorikerin, die all dem Gruppen-Aktivismus der Jüngeren nicht trauen mochte.

Man kann den sich politisch gerierenden Künstlern vielleicht vorwerfen, ihre Aktionen und Manifestationen würden ästhetisch zu wenig abwerfen, seien in ihrer Botschaft zu eindeutig, zu wenig ambivalent, wie Holger Kube Ventura von der Kulturstiftung des Bundes das ausdrückte. Und man darf auch bezweifeln, daß all die Demo-Videos in 20 Jahren noch als Filme interessieren werden. Dann geht es einem aber doch wieder um Kunst, und man könnte mit Brian Holmes die Frage dagegenhalten: „Liegt der wichtigste Beitrag prozeßhaft arbeitender Gruppen vielleicht in der Verbreitung der Fähigkeit, im öffentlichen Raum zu erscheinen, zu intervenieren und dann wieder zu verschwinden, identifizierbare Formen sofort wieder aufzugeben, sobald sie zu Manipulationsobjekten werden?" Eine vertrackte Aufgabe. Und schließlich war man sich ja vor 35 Jahren schon einmal einig, daß zuerst die Revolution über die Bühne gebracht werden müsse, bevor wieder an Kunst zu denken sei. Aber damals agierten die Künstler in einem gesellschaftlichen Umfeld, das sie in ihren Hoffnungen bestärken mochte. Heute arbeitet man gleichsam wider besseres Wissen, muß sich häufig mit Ironie behelfen.

Welche Hilfe können Kunst-Aktivisten sein, wenn die Unterdrückten selbst schon nichts zustandebringen, fragte ein von der stumpfen „Ballermann-Arbeiterklasse" enttäuschter Marius Babias. Wen politisieren die Videos in der Galerie? Immerhin vermag auch diese neue politische Kunst, was Kunst immer schon leisten konnte: Modelle entwerfen, wie eine Gesellschaft anders organisiert sein könnte, Stoff zum Nachdenken liefern, auf Mißstände aufmerksam machen – so wie Anita Di Bianco, die in ihren „Corrections and Clarifications" Falschmeldungen in Zeitungen dokumentiert, oder Deborah Kelly, die in ihrer Plakatserie „Hey, hetero!" so spielerisch wie lehrreich die Welt auf den Kopf stellt und Heterosexuelle vor Gewalt wegen ihrer sexuellen Orientierung warnt, die sie immerhin in 0,05 Prozent der Fälle trifft. Oder die Grupo de Arte Callejero, die es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht hat, amnestierte Verbrecher der argentinischen Militärdiktatur zu denunzieren und mit Schildern auf ihre Wohnhäuser hinzuweisen. Wie hübsch gestaltet diese Schilder sind, wird den Europäer weniger interessieren. Er könnte sich aber immerhin fragen, ob in seinem Land nicht vergleichbare Aufgaben warten. Könnte man nicht etwa so gegen die wirtschaftskriminellen Profiteure des Berliner Bankenskandals vorgehen? Nur ein Vorschlag.

Florian Neuner

Fotos: Knut Hildebrandt

 
 
 
Ausgabe 1 - 2005 © scheinschlag 2005