Ausgabe 1 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Subsistenzwirtschaft in der Großstadt

Gemeinschaftsgärten als Orte der Selbstorganisation am Beispiel New York

„Dies ist eine freie Marktwirtschaft, willkommen in der Ära nach dem Kommunismus!" So begann Rudolph Giuliani, der Bügermeister von New York, 1997 seine Rede auf einer Pressekonferenz vor den Community Farmers. Mit den Kommunisten waren in diesem Fall die Gemeinschaftsgärtner gemeint, und das klang ganz entschieden nach einer Kampfansage.

Die Berliner Soziologin und Autorin Elisabeth Meyer-Renschhausen beschreibt ihr neuestes Werk als „eine Reportage, die zu einer anderen Art Erkundung in ein eher unbekanntes New York einlädt". Es ist das New York der Nachbarschaftsgärten, die seit Beginn der Neunziger einen neuerlichen Aufschwung erlebten und sich seit 1998 gegen die Macht und Gewalt des Bürgermeisters behaupten mußten. Besonderes Interesse zollt sie dabei jenen Gärten, die tatsächlich der Nahrungsgewinnung dienen und typischerweise eher in den ärmeren Teilen der Stadt zu finden sind, in die sich Touristen und New Yorker, die nicht dort wohnen, nur selten verirren. Dieses auf Deutsch erschienene Buch ist das erste seiner Art, auch in den USA selbst wurde diesem Thema noch kein Buch gewidmet.

Bei einer Tour durch unterschiedliche Community Gardens gibt es en passant eine Einführung in verschiedene Modelle der Gartengemeinschaft. Allen gemeinsam ist, daß es im Gegensatz zum hierzulande bekannten Schrebergartenmodell keine abgezäunten Grundstücke gibt, sondern allenfalls individuelle Beete, aber auch Gemeinschaftsflächen, die ­ solange einer der Aktiven der Gärtnergruppe anwesend ist ­ auch der Öffentlichkeit als Aufenthaltsort zur Verfügung stehen. Die Geschichten und Einzelschicksale der Gartenaktivisten spiegeln die Geschichte von New York und der ganzen Welt wider. In Ost-Harlem etwa arbeiten 14 Mexikanerinnen unter sich. Von den Frauen im Pleasant Garden erfahren wir, wie die kleine Landwirtschaft in New York auch mit der großen Landwirtschaft in Mexiko verknüpft ist, wie die Landflucht als Folge der Aufgabe der Kleinstlandwirtschaft und Einführung der industriellen Landwirtschaft zu Armut und Perspektivlosigkeit in den Ballungszentren in Mexiko führt und damit zur Flucht in die USA. Die harmlose Frage, wie man in die USA gekommen sei, wird ganz konkret mit „durch die Wüste" beantwortet. Da die Frauen vom Pleasant Garden keine Papiere haben, ist der Garten die Chance für ein wenig Zuverdienst. Er ist auch der Versammlungsort, wo mutig Pläne geschmiedet werden, wie man das Heimweh nach zehn Jahren durch erneute illegale Grenzübertretung überwinden könnte.

Es folgt ein Spaziergang über die Farmermarkets, der uns in die informelle Ökonomie der USA einführt, die „vierte Welt innerhalb der ersten". Da kommt ­ wie an vielen anderen Stellen ­ beim deutschen Leser ein wenig Wehmut auf, kennt man doch in den USA einen gewissen laxen Umgang in der Auslegung von Richtlinien, der Dinge möglich macht, die hierzulande scheinbar noch undenkbar sind, wie in diesem Fall die finanzielle Unterstützung für einen Markt, der offiziell eigentlich gar nicht existieren dürfte. Aber man darf natürlich nicht naiv sein ­ das Buch ist das auch nicht ­ und womöglich denken, der sogenannte American Way of Life wäre ein pauschales Mittel gegen staatliche Regulierung. Spannend ist beim Kapitel über die Märkte, daß das Selbstproduzieren von Gemüse eben nicht nur prosaischer Selbstzweck ist, sondern daß es hier um Qualitätsstandards von Ernährung und Lebensqualität an sich geht, was gemeinhin ja gerne als eine Luxusangelegenheit angesehen wird, die reichen Leuten vorbehalten ist. So entsteht in den Ghettos von New York eine Farmermarket-Kultur, die Ökobauern auf den Plan ruft und Stadtteile wieder lebenswert macht.

Die Märkte als Umschlagplatz bieten quasi eine perfekte Landebahn für das nächste Thema: die Vernetzung der Akteure und damit auch die Politisierung der Gärtner im Kampf um ihre Gärten ­ Ein Kampf, der dank des beherzten Eingreifens und einer Millionen-Spende der Schauspielerin Bette Midler sogar ein internationales Presseecho gefunden hat. Wobei man sagen muß, daß natürlich das Presseecho nur insofern geholfen hat, als es ein Mehr an Spenden zum Ankauf der Gärten bewirkt hat. Das führte natürlich nicht zu einer Änderung der Spielregeln: Grund und Boden wird als Ware angesehen, jeder Community Garden muß gegen die Bau- und Bodenspekulanten verteidigt werden. Es bleibt dabei: „Money makes the world go around". Die Spielregeln zu überdenken, hieße zu fragen: Wie organisiert man sich lokal sinnvoll? Wie organisiert man sich selbst in der Krise? Wie organisiert man sich vom Lokalen ausgehend global? Das sind offene Fragen, und das Buch wird sie nicht beantworten. Aber es gibt vielschichtige Einblicke und läßt uns ahnen, daß es womöglich auf Dauer nicht genügen wird, mit Geldspenden an der Krise herumzudoktern, sondern daß wir als Bürger etwas einfordern und den Staat verändern müssen und uns auch nicht in die Rolle eines kostenlosen Sozialarbeiters drängen lassen dürfen. Die Politisierung der Gärtner im Kampf gegen Gartenräumungen trägt sicher dazu bei, und gerade die Vernetzung der Gärten in der Stadt, im Land und weltweit schafft ein weiteres Standbein für eine internationale Zusammenarbeit auch aus dem Ghetto heraus.

Überraschend dürfte für viele die Erkenntnis aus dem Schlußteil sein, daß New York City selbst, das gemeinhin ja als Globalisierungsgewinner dasteht, tatsächlich in den Siebzigern das Versuchskaninchen für die Roßkur war, zu der der IWF mit Sperrung von Krediten all jene Länder zwingt, die quasi bankrott sind. Die Folgen sind eine radikale Sparpolitik bei den Ausgaben im öffentlichen Sektor, Kürzungen vor allem im sozialen Bereich, gleichzeitig Privatisierung, also Verkauf allen öffentlichen Besitzes, der zu Geld gemacht werden kann. Spätestens seitdem ist New York Vorreiter unter den Städten der „westlichen Industrienationen", wo extreme Armut neben extremem Reichtum in einer Stadt existieren. Da Kleinstlandwirtschaft das Spezialgebiet von Meyer-Renschhausen ist, läßt sie es sich auch nicht nehmen, die New Yorker Aktivitäten von heute im letzten Teil des Buches in Beziehung zur Geschichte der urbanen Landwirtschaft weltweit zu setzen und damit das Thema abzurunden.

Das Buch ist vielseitig verwendbar und wird von der Autorin selbst als alternativer Rad-Reiseführer empfohlen. Doch als Radlerin frage ich mich: Wo ist die Übersichtskarte, die Öffnungszeiten und Standorte von Farmermarkets und Gärten zusammenführt? Aber vielleicht helfen die aufgeführten Links im Anhang weiter. Das Buch kann auch als Anregung für alle dienen, die auf das in Deutschland und besonders auch in Städten wie Berlin in jüngster Zeit aufkeimende Phänomen der Nachbarschaftsgärten aufmerksam geworden sind. Den Förderstrategien, Initiativen und internationalen Wirtschaftsabkommen, die ähnlich zahlreich wie die Pflanzen sprießen, finden sich alle im Anhang in einem Glossar, einem Wegweiser durch das Land der „privatisierten Sozialhilfe".

Parallelen zu Berlin lassen sich viele ziehen. Der Landschaftsarchitekt Carl Linn, der im Buch zitiert wird, weist darauf hin, „daß kaum ein Steinwurf weit entfernt fast zeitgleich mit einem riesigen Aufwand von Millionen Dollar ein öffentlicher Park gebaut worden ist, der ­ im Gegensatz zum Clinton Garden (einem der Community Gardens) ­ ständig Opfer von Vandalismus ist."

Ulrike Solbrig

Elisabeth Meyer-Renschhausen: Unter dem Müll der Acker. Community Gardens in New York City. Ulrike Helmer Verlag in der Reihe Konzepte Materialien, Königstein/Taunus 2004. 17,95 Euro

 
 
 
Ausgabe 1 - 2005 © scheinschlag 2005