Ausgabe 1 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Verwanzte Eintrittskarten zur lückenlosen Überwachung

Die Tickets für die Fußball-Weltmeisterschaft enthalten RFID-Mikrochips

Wenn am 9. Juli 2006 im Berliner Olympiastadion der Schlußpfiff für das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft verhallt, wird auch ein großer Feldversuch zu Ende gegangen sein. Denn jede der 3,2 Millionen Eintrittskarten für die 64 Spiele enthält einen RFID-Chip (Radiofrequenz-Identifikation). Laut dem Organisationskomitee der WM dient dies der Sicherheit: Fälschern und Hooligans soll so das Leben schwergemacht und Schwarzmarktverkauf unterbunden werden. RFID ermöglicht es, die Eintrittskarte zu personalisieren: Die Chips enthalten einmalige Seriennummern, die aus einiger Entfernung per Funk gelesen werden können. Um eine Eintrittskarte zu erhalten, muß man seinen Namen, seine Adresse und seine Ausweisnummer angeben. Der Name wird auf die Karte gedruckt, die gesamten Daten werden mit dem RFID-Chip auf der Eintrittskarte gekoppelt und sind in einer Datenbank abfragbar.

Die angegebenen Gründe für die Nutzung der RFID-Technik sind aber nicht schlüssig. Denn um zu kontrollieren, wer das Stadion betritt, würde es ausreichen ­ wie bei der EM in Portugal 2004 ­ den jeweiligen Namen auf die Tickets zu drucken. Der RFID-Chip kann das zwar vereinfachen, da das Ticket zur Preisgabe des Namens einfach in die Nähe eines Lesegeräts gehalten werden kann. Das Abgleichen der Identität des Karteninhabers mit seinem Ausweis muß aber trotzdem noch per Menschenhand passieren.

Deshalb zweifeln Datenschützer, ob es sich bei dem Argument Sicherheit nicht um einen vorgeschobenen Grund handelt, eine neue Überwachungstechnologie einzuführen und die WM als Akzeptanzbeschaffungsmaßnahme zu benutzen.

Drei Aspekte dürften tatsächlich für die Nutzung von RFID eine Rolle spielen: 1. Marketing: Laut Informationen des Vereins zur Förderung des bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBud e.V.) muß man schon bei der Bewerbung für eine Eintrittskarte im Internet seine Daten angeben. Dabei kann man beispielsweise auch Angaben darüber machen, von welchem Fußballverein man Fan ist. Gleichzeitig muß man sich dazu bereit erklären, daß Hauptsponsoren wie Adidas oder Gillette die Daten nutzen dürfen. Da erwartet wird, daß die Nachfrage nach den Tickets mindestens fünfmal höher sein wird als Karten verkauft werden können, fällt eine riesige Menge von potentiellen Kundendaten an. Während der WM selbst sind dann mittels RFID diverse Marketingmöglichkeiten denkbar, die durch Lesen des Tickets persönlich auf den jeweiligen Fan zugeschnitten sind.

2. Überwachung: Schmackhaft wird das RFID-Ticket auch mit dem Versprechen der Bequemlichkeit gemacht ­ muß man es doch erst gar nicht mehr aus dem Portemonnaie holen, sondern man hält einfach seine Brieftasche vor ein Lesegerät. Angeblich soll die Reichweite der RFID-Chips auf den Tickets nur einige Zentimeter sein. Dabei wird verschwiegen, daß beim Lesen der Chips die Sendeleistung der Lesegeräte relevant ist. Sie ist es nämlich, von der die Chips aktiviert werden und ihre Informationen freigeben. Die Geräte können sichtbar installiert sein, wie heutzutage die Diebstahlschutz-Technik an den Ausgängen von Läden. Aber sie können auch hinter Wänden versteckt werden und mit entsprechender Leistung die Chips unbemerkt aus mehreren Metern Entfernung lesen. So wird es möglich, umfassende Bewegungsprofile von Millionen von Menschen zu erstellen. Da alle zwölf Stadien für die WM in Deutschland mit RFID-Infrastruktur ausgerüstet werden, ist anzunehmen, daß anschließend RFID-Tickets auch für die Bundesliga und andere Sportereignisse üblich werden.

3. Akzeptanz: Wenn die WM über die Bühne gegangen ist, wird es heißen, daß sie dank RFID sicher gewesen sei. Innenminister Otto Schily arbeitet an der Vorbereitung der Fußball-WM mit und soll maßgeblich auf die Nutzung von RFID gedrängt haben. Dazu passen die Überlegungen des Bundesinnenministeriums über die Zukunft der Ausweispapiere: Biometrische Daten sollen künftig auf RFID-Chips im Personalausweis und Reisepaß geschrieben werden. Datenschutzrechtliche Bedenken gegen RFID könnten mit Verweis auf die Akzeptanz der neuen Technik durch Fußball-Fans zerstreut werden.

Tatsächlich sind bislang öffentlich kaum Vorbehalte gegen diese Art von WM-Tickets geäußert worden. Neben dem oben erwähnten FoeBud e.V. und einigen anderen Datenschützern ruft nur der Bund Aktiver Fußballfans (BAFF) zu Protesten gegen die verwanzten Eintrittskarten auf. Doch steht zu befürchten, daß wenig auszurichten sein wird, denn die Tickets gibt es nur mit Chip, und der Vorverkauf beginnt am 1. Februar.

RFID wird in den kommenden Jahren alltäglich werden: Internationale Großhandelsketten wie Metro und Wal-Mart wollen den Großteil ihrer Produkte ab 2008 per RFID verwalten. Die Technik vereinfacht die Logistik, da sie dem herkömmlichen Strichcode durch die aus der Ferne lesbaren individuellen Seriennummern überlegen ist. Und die Marketingmöglichkeiten durch Kopplung der Chips an das gespeicherte Kaufverhalten auf Kundenkarten sind für Firmen sehr vielversprechend. So mußte der sich abzeichnende Siegeszug von RFID bislang nur im Fußballspiel eine Niederlage erleiden: Der Idee, die Bälle mit Chips auszustatten, um per Funk und Computer zu ermitteln, ob ein Ball über die Tor- oder Auslinie gerollt ist, ist eine Absage erteilt worden.

Lorenz Matzat

 
 
 
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