Ausgabe 1 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Deutsche, Zuwanderer, Illegale und Touristen

Studie zur Kriminalität junger Migranten in Berlin

Die New York Times erwähnt bereits seit vielen Jahren nicht mehr die ethnische Zugehörigkeit von Tatverdächtigen, um rassistischen Zuschreibungen keinen Vorschub zu leisten. Demgegenüber ist hierzulande eine reißerische Berichterstattung über Ausländerkriminalität auch in seriösen Medien häufig anzutreffen. Um zu einer Versachlichung der Diskussion beizutragen, hat der Senatsbeauftragte für Integration und Migration (früher Ausländerbeauftragter), Günter Piening, die Studie Junge Zuwanderer und Kriminalität in Berlin, Bestandsaufnahme – Ursachenanalyse – Präventionsmaßnahmen erstellen lassen. Autor der Ende 2004 erschienenen Studie ist der Politologe Frank Gesemann, der an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin vor allem in den Bereichen Migrations-, Jugend- und Konfliktforschung arbeitet.

Mit Statistiken kann bekanntermaßen alles be- oder widerlegt werden. So gab es zwar von 1991 bis 1997 einen Anstieg der Tatverdächtigen in der Altersgruppe von acht bis 21 Jahre um 29,1 Prozent. In den darauffolgenden Jahren bis 2003 ist dieser Anteil aber wieder um 20,9 Prozent zurückgegangen. Am stärksten war dieser Rückgang mit 29,3 Prozent bei der nichtdeutschen Wohnbevölkerung und mit sogar 62,3 Prozent bei der Gruppe „Illegale und Touristen/Durchreisende". Insgesamt liegen die Tatverdächtigenzahlen der Acht- bis 21jährigen von 2003 nur um 2,1 Prozent über denjenigen von 1991. Dies sind demnach „Entwicklungen, die im deutlichen Widerspruch zur medialen Darstellung und öffentlichen Wahrnehmung des Themas "Junge Ausländer und Kriminalität' stehen", stellt Gesemann fest.

Bei den Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) gibt es eine Reihe sogenannter Verzerrungsfaktoren. So ist die Anzahl der in Deutschland lebenden Ausländer nicht bekannt, da die verschiedenen Register erhebliche Differenzen aufweisen. In der Kriminalstatistik sind auch Ausländer wie Touristen, Durchreisende, Grenzpendler, Stationierungsstreitkräfte und „Illegale", also Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus, aufgeführt, die nicht zur Wohnbevölkerung gehören. Personen aus dieser Gruppe haben vor allem in den Nachwendejahren viele Straftaten begangen.

Zudem gibt es eine Vielzahl von Delikten, die ihrer Natur nach praktisch nur von Ausländern begangen werden können. „So wurde im Jahr 2002 bei 26,7 Prozent aller nichtdeutschen Tatverdächtigen wegen Verstoßes gegen das Ausländer- und das Asylverfahrensgesetz ermittelt", schreibt Gesemann.

Zu den Verzerrungsfaktoren gehört auch die unterschiedliche Bevölkerungsstruktur. Ausländer sind durchschnittlich jünger und häufiger männlich, in der untersuchten Gruppe der Acht- bis 21jährigen immerhin im Verhältnis von 55,8 Prozent gegenüber 50,9 Prozent bei den Deutschen. Kriminalität ist ein jugendtypisches Phänomen, das vor allem unter männlichen Heranwachsenden weit verbreitet ist.

Außerdem leben Nichtdeutsche öfter in großen Städten, die eine höhere Kriminalitätsbelastung aufweisen. Und „Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit gehören häufiger unteren Einkommens- und Bildungsschichten an und sind stärker von Arbeitslosigkeit und relativer Armut betroffen". Die offizielle Arbeitslosenquote lag 2002 in Berlin bei 18,9 Prozent, die der Ausländer mit 38 Prozent gut doppelt so hoch.

Schließlich führt die polizeiliche Praxis, Ausländer häufiger zu kontrollieren sowie das Anzeigeverhalten der Bevölkerung zu einer Verzerrung. Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung von 2003 hat ergeben, daß deutsche Opfer und Zeugen 56,4 Prozent der nichtdeutschen, aber nur 38,3 Prozent der deutschen Täter anzeigen. Wie die polizeiliche Ermittlungsarbeit die Statistik beeinflußt, zeigt etwa die Verdreifachung bei den Sachbeschädigungen seit Anfang der neunziger Jahre im Bereich der „Jugendgruppengewalt", die im wesentlichen auf die Bildung der Ermittlungsgruppe Graffiti zurückzuführen sein dürfte.

Demgegenüber ergibt sich aus dem Zuzug von Aussiedlern, die grundsätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, und der Zunahme von Einbürgerungen in den letzten Jahren ein Verzerrungsfaktor in die andere Richtung. Darauf hat die Polizei reagiert: Seit 2002 werden auch „deutsche Staatsangehörige nichtdeutscher Herkunft" statistisch erfaßt. Zu dieser Gruppe werden bereits Personen gezählt, deren Eltern nicht in Deutschland geboren wurden oder früher eine andere als die deutsche Staatsangehörigkeit hatten.

Alle diese Verzerrungsfaktoren vermögen jedoch nicht zu erklären, warum die Tatverdächtigenbelastungszahl ­ die ermittelten Tatverdächtigen auf 100000 Personen der jeweiligen Bevölkerungsgruppe ­ bei den Acht- bis 21jährigen für die Deutschen bei 7642 gegenüber 13091 für die nichtdeutsche Wohnbevölkerung liegt. Bei einigen Delikten ist die Diskrepanz noch auffälliger. So beträgt die Tatverdächtigenbelastungszahl bei den Gewaltdelikten wie Körperverletzung oder Raub für Deutsche 2037, für Türken 4544, für Personen aus Restjugoslawien 6163 und für Libanesen sogar 11864.

Möglicherweise liegt dies an dem in diesen Ethnien vorherrschenden traditionellen Männlichkeitskonzept, aber auch an den unter Migranten verbreiteten innerfamiliären Gewalterfahrungen. Jugoslawen und Libanesen sind zudem oftmals Bürgerkriegsflüchtlinge mit posttraumatischen Belastungsstörungen und unsicherem Aufenthaltsstatus.

Zur Kriminalitätsprävention schlägt Gesemann Integrationsmaßnahmen wie Sprachförderung, Verbesserung der Ausbildung, Gleichbehandlung, Partizipation und bessere Aufenthaltsperspektiven vor. Um die Akzeptanz zu erhöhen, sollten diese von Einwandererorganisationen mitgetragen werden. Dies erfordert eine grundlegende Änderung des deutschen Ausländerrechts mit seiner Konstruktion von Einheimischen und Fremden, die früher beispielsweise in der Abschottung der „Gastarbeiter" in Wohnheimen ihren Ausdruck fand. Bis heute ist die These, wonach Deutschland kein Einwanderungsland sei, weit verbreitet. Auch die Verknüpfung von Migration mit Sicherheit und Kriminalitätsprävention im neuen Zuwanderungsgesetz dürfte kaum sonderlich integrationsfördernd wirken.

Hoffnungsfroh stimmt die internationale Forschung zur Kriminalität von Migranten. Danach verhält sich die erste Generation in der Regel gesetzestreuer als die Einheimischen. Die zweite und dritte Generation der Zuwanderer wird überproportional oft straffällig, während die nachfolgenden Generationen von der übrigen Bevölkerung in dieser Hinsicht nicht mehr zu unterscheiden sind.

Frank Fitzner

Die lesenswerte Studie ist gegen eine Schutzgebühr von 2,50 Euro über den Integrationsbeauftragten, Potsdamer Straße 65, 10785 Berlin, fon 90172351, e-post Integrationsbeauftragter@auslb.verwalt-berlin.de, zu beziehen.

 
 
 
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