Ausgabe 1 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Aus der Kathedrale in die Abfüllanlage

Das Vitra Design Museum kommt in den Pfefferberg

Verlassen ist das Gelände des ehemaligen Humboldt-Abspannwerkes in der Kopenhagener Straße, seit das Vitra Design Museum vor nunmehr einem Jahr diesem Standort den Rücken gekehrt hat. Eine Eventagentur vermietet die ehemalige Museumsfläche – nur selten. Für die restlichen 7000 m2 werden Mieter bzw. für das Gesamtobjekt ein Käufer gesucht.

Das Vitra Design Museum ist kein staatliches. Aus der Idee einer Privatsammlung des Firmeninhabers von Vitra, einem internationalen Unternehmen der Möbelproduktion, wurde 1989 eine unabhängige kulturelle Institution. Ihren Etat sichert sie selbstständig aus Wanderausstellungen und Publikationen. Ein Museum in Weil am Rhein widmet sich der Erforschung und Popularisierung von Möbel- und Interieurdesign und ist nicht zuletzt bekannt für seine spektakulären Museumsbauten.

Deshalb schienen mit dem Einzug der Berliner Außenstelle des Vitra Design Museums in das Abspannwerk die Träume vieler erfüllt. Die Stadt war damit um eines der bedeutendsten Museen für zeitgenössisches Design reicher geworden. Die Denkmalpfleger glaubten, endlich eine substanzschonende Nutzung für die Anlage gefunden zu haben. Die Eigentümerin Bewag hatte einen lukrativen und prestigeträchtigen Mieter für ihre Immobilie gefunden.

Vitra glaubte sich an genau diesem Standort in Berlin angekommen. Die ehemaligen Bewag-Abspannwerke werden treffend als „Kathedralen der Industrie-Architektur" bezeichnet und schienen wegen ihrer beeindruckend klaren und nahezu sakralen Formensprache der perfekte bauliche Rahmen für ein Museum für Design und Architektur zu sein. Doch bald machte sich bei den Museumsbetreibern Ernüchterung breit, die viele Ursachen hatte. Anders als wohl durch die Bewag zugesichert, mußte sich Vitra mit einer schlecht nutzbaren, weil sehr langgestreckten Halle zufrieden geben. Weder Vitra noch anderen Kultur- oder Kunsteinrichtungen wurde ermöglicht, weitere leerstehende Flächen zu nutzen. Das städtebauliche Umfeld in diesem Teil des Prenzlauer Bergs entwickelte sich nicht wie erhofft. Es behielt den verschlafenen Charme eines reinen Wohngebietes, in das sich selten kunstbeflissenes Laufpublikum verirrte. Die Besucherzahlen blieben nicht zuletzt wegen der ungünstigen Verkehrsanbindung unter den Erwartungen.

Als Vitra seine Türen schloß, blieben große Enttäuschung bei den Stammgästen und allen Design-Fans, ein bitterer Beigeschmack seitens der Stadt zurück, und die Bewag ließ verlauten: „Zu den Gründen fragen Sie am besten Vitra." Allein der Leiter des Museums, Mateo Kries, behielt den Glauben an einen Neuanfang in dieser Stadt.

Nun, ein Jahr später, ist der Mietvertrag zwischen dem Design Museum und dem Pfefferberg unterschrieben, mit 25jähriger Gültigkeit. Damit zieht Vitra wiederum in einen denkmalgeschützten Industriekomplex. Doch diesmal unter offensichtlich günstigeren Rahmenbedingungen. Die ehemalige Brauerei auf dem Pfefferberg liegt in einem lebendigen Kiez, ist gut zu erreichen und ein seit Jahren etablierter Veranstaltungsort. Direkte Nachbarn von Vitra auf dem Pfefferberg-Gelände sind zwei renommierte Galerien. Weitere Nutzer aus den Bereichen Design, Kunst und Architektur sollen folgen. Die baulichen Voraussetzungen in den Händen des Basler Architekten, Designers und Ausstellungsgestalters Dieter Thiel und dem Berliner Büro Multiplan lassen ebenfalls hohe Erwartungen aufkommen. Thiel hatte bereits bei der Gestaltung des ersten Vitra-Standortes durch seinen behutsamen Umgang mit der Substanz überzeugt.

Das Museum bezieht nun die ehemalige Flaschenreinigungs- und -abfüllanlage der Brauerei. Das Gebäude von 1906/07 überragt alle umstehenden und beeindruckt schon allein durch seine Ausmaße: eine Fläche von insgesamt fast 3000 m2 auf vier Geschossen. Die enorme Höhe wird zusätzlich betont durch eine stark in der Senkrechten gegliederte Ziegelfassade, die abschließend in einem Eckturm gipfelt. Die Ausstellungsfläche wird doppelt so groß sein wie bisher. In den weitläufigen Industriehallen tragen gußeiserne Stützen die massiven, teilweise gefliesten Kappendecken.

Den ursprünglichen Industriecharakter des Gebäudes wollen Bauherr und Architekt ganz im Sinne der Denkmalpflege erhalten bzw. durch die Beseitigung späterer Anbauten wieder erkennbar werden lassen. Geplant ist außerdem ein Neubau für Rezeption, Shop und Café zum Teutoburger Platz. Ein „einfacher Kubus", der sich laut Mateo Kries durch seine „minimalistische zurückhaltende Formensprache deutlich von den historischen Brauerei-Gebäuden absetzt", ohne sie zu übertönen. Finanzielle Unterstützung für die Baumaßnahme erhält das Museum von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie.

Bis zur endgültigen Eröffnung des Vitra Design Museums im Pfefferberg muß man sich allerdings noch einige Zeit gedulden. Sie ist für Herbst 2006 geplant. Das lange Warten wird mit einem Programm belohnt, das die Herzen der Design-Interessierten höher schlagen läßt: Retrospektiven über Marcel Breuer, den italienischen Designer Joe Colombo und Le Corbusier. Die vielgerühmte Ausstellung „Airworld ­ Design für die Luftfahrt", zur Zeit im Design Museum in Weil, ab März in Gent, wird dann auch in Berlin zu sehen sein.

Vera Kühn

 
 
 
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