Ausgabe 10 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Jahresendspecial Arbeit. Teil 1.

Wer die meiste Puste hat, bläst die meisten auf

„Tante, wo ist der Vater?"

„Die Gesprächsführung müssen immer Sie in der Hand behalten."

„Sie müssen gut aber seriös aussehen."

„Das Licht ist so, damit man sich nicht so sieht."

„Wir arbeiten in einem helfenden Beruf."

„Schwester. Schau, wie schön er noch steht."

„Jeder Gang muß in zehn Minuten erledigt sein."

„Zuviel Ausschuß gefährdet die Prämie."

„Sehen Sie die Affen in den Bäumen? Ja? Das ist gut. Sie sind mein einziger Freund. Die anderen sind alle korrupt."

„Es dürfen keine Streifen auf den Gläsern bleiben."

„Sie sind hier freie Unternehmerin. Kondome müssen selbst mitgebracht werden."

„Mit dieser Arbeitseinstellung werden Sie keine Karriere machen."

„Ich habe noch nie jemanden so langsam abwaschen gesehen."

„Mein Sohn ist übrigens Offizier."

„Wer hat meinen Weihnachtsmann gestohlen?"

„Wir sind ein anständiges Haus und kein Bordell."

„Schön ist die Jugend, sie kommt nie mehr."

„Berlin putzmunter ist eine gemeinsame Werbeveranstaltung der Zahnärztekammer und der BSR."

„Es fehlt Ihnen an Willen und innerer Überzeugung."

„Wer die meiste Puste hat, bläst die meisten auf."

„Eine positive Einstellung. Das ist die Grundregel."

„Ondulieren immer mit viel Wasser. Das ist die Grundregel."

„Sie müssen ihre Persönlichkeit mit einbringen."

„Das ganze Personal ist korrupt. Nur wir haben saubere Westen."

„Die Härchen müssen alle weg."

„Bringen Sie sich dem Chef ins Gedächtnis."

„Der Besucher muß den Eindruck haben, daß wir eine seriöse Adresse sind."

„Immer Rot mit Grün kombinieren."

„Es regnet. Die Affen werden naß."

„Der Deckel muß geschlossen sein, damit es nicht riecht."

Tina Veihelmann

Belebende Getränke an Gräbern

In der Frühstückspause saßen wir auf Bänken im großzügigen Innenhof. Die Stimmung war gelöst, man spaßte miteinander. Ein metallenes Etwas flog von Hand zu Hand, in der einen hielt man die Frühstücksstulle, in der anderen befingerte man das Etwas. Was konnte es wohl sein, frug ich mich, als es zu mir gelangte – ein Gelenk mit zwei kleinen Metallschienen? Die junge, hoch aufgewachsene Leichenwäscherin sah uns freundlich nickend zu, jaja, ein Schultergelenk. Wenn man jung an Jahren ist, quittiert man erstaunliche Vorkommnisse gern mit einem möglichst harmlosen Lächeln, um sich nicht in aller Öffentlichkeit jugendlicher Unwissenheit schuldig zu machen.

Auch der Leichenverbrenner war unter uns, ich kündigte ihm meinen Besuch an, der ihm durchaus willkommen war. Im Angesicht der Öfen erklärte er mir, die meisten Leichen würden sich im Verbrennungsprozeß früher oder später aufbäumen. Wie er zu dieser Tätigkeit gekommen sei? Er habe vier Kinder verloren, zwei ertrunken, eins verbrannt, an das vierte erinnere ich mich nicht. Die einzige Möglichkeit, mit so viel Tod umgehen zu können, sei die direkte Konfrontation.

Dann lief ich, die Grabausheber zu besuchen. Das Loch war zu zwei Dritteln ausgehoben, die Schaufel lag im Grab. Hinter dem Grabstein lag der Gräber und schnarchte. Die Unumgänglichkeit des ausreichenden Genusses von Bier und anderen Getränken mit Auswirkung leuchtete mir ein. Es war ein herrlicher Sommertag. Grabausheber und Sargträger waren dieselben Personen, nur daß sie bei letztgenannter Tätigkeit schlecht sitzende Anzüge trugen. Wie schafften sie es nur, den Sarg nicht fallen zu lassen?

Dann fuhr ich an die Ostsee, um wochenlang tagein, tagaus in einer stinkenden Bude Kartoffelpuffer in viel zu viel Fett zu braten.

Mila Zoufall

Neue Arbeitswelt

Das letzte, was ich tat, was als Arbeit beschrieben werden könnte, war die Wahrnehmung einer Einladung vom Kulturausschuß der Republik. Dort sitzen Leute, die ihren Geldgeber (das heißt den immer knickeriger werdenden Staat) alljährlich von der Notwendigkeit ihrer Existenz überzeugen müssen. Zu diesem Zweck sind sie verpflichtet, sich Projekte auszudenken, die zur Aufklärung der Bevölkerung beitragen sollen. Für die kommende Saison wurde das unerschöpfliche und immer brisante Thema „Arbeit" ausgewählt, bzw. die „kulturellen Veränderungen der neuen Arbeitswelt". Da ist die Wortwahl sehr wichtig. Neu muß die Problematik sein, denn für Althergebrachtes wird kein Cent locker gemacht. Und kulturell sowieso, denn für wirtschaftliche oder soziologische Parameter sind entsprechende Gremien zuständig, die bereits subventioniert werden.

Der Rahmen stand fest und wartete nur noch darauf, mit Inhalten gefüllt zu werden. Bloß, was sind denn die kulturellen Aspekte der neuen Arbeitswelt? Eindeutig überschritt die Frage die Kompetenz des Ausschusses, welcher mit der Beweisführung der eigenen kulturellen Relevanz bereits genug Arbeit hatte. Outsourcing war vonnöten. So wurden „Experten" zur Beratung vorgeladen, also Menschen, die ihr Leben damit verdienen, über die Arbeit bzw. die nicht vorhandene Arbeit der anderen zu labern.

Zu jeder demokratischen Debatte gehört eine gewisse Querulantenquote, weshalb auch ich zwischen Profiberatern sitzen, Leckerbissen schlucken und mitdenken durfte. Was ich dann in den drei Minuten sagte, die mir zugeteilt waren, weiß ich nicht mehr so genau. Es ging eh um nichts Verbindliches, sondern einzig darum, Stichworte zu liefern, die den Staatssponsoren imponieren könnten. Wie gewöhnlich in solchen Veranstaltungen redeten alle gutmütig aneinander vorbei. Die Geschäftsführer machten tüchtig Notizen. Dann nach der Raucherpause bedankten sie sich herzlich bei uns allen und äußerten die Hoffnung, daß die anregende Diskussion sich nächstes Jahr konkretisieren würde. Ich unterschrieb meinen Vertrag und erhielt mein Honorar. Wieder war meine Ich-AG vorangeschritten.

Guillaume Paoli

So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben

Am Ende der 11. Klasse mußten wir drei Wochen arbeiten. Damals gab es die DDR noch und den Glauben, daß es sich positiv auf die Entwicklung zur allseits gebildeten sozialistischen Persönlichkeit auswirken würde, wenn zukünftige Intellektuelle eine Weile mit ihren Diktatoren, also den Angehörigen des Proletariats, konfrontiert würden. Für die 300prozentigen gab es ein paar Elitejobs, für das Gros hingegen war die Maloche vorgesehen.

Ich landete im Konsum bei uns an der Ecke, in der Flaschenannahme. Besonders viel gab es dort ja nicht, eines dafür immer: leere Flaschen! Milchflaschen, Brauseflaschen, Bierflaschen. Am schlimmsten war es nach der Mittagspause. Da hatte es zwei Stunden lang keine Möglichkeit gegeben, Bier zu kaufen. Ungeduldig standen jetzt alle in einer langen Schlange, um ihre leeren Flaschen bei mir gegen Bares zu tauschen. Ich wußte nicht, was tun: hinter mir Ebbe bei den leeren Kästen, vor mir die Flut in Gestalt leerer Flaschen, ich mittendrin. Ich wurde angeschnauzt, wenn es nicht schnell genug ging oder kein Kleingeld mehr in der Kasse war. Ich verzählte mich, verrechnete mich, gab zu viel raus oder zu wenig, um mich herum drehte sich al-les. Ich begann, halblaut sozialistische Durchhalteparolen zu skandieren: „Der Sozialismus siegt", „Die Lehre von Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist", „So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben". Wie bitte? An dieser Stelle brach ich ideologisch zusammen ­ nie, nie, nie würde ich so leben wollen, wie ich hier zu schuften hatte!

Carola Köhler

Betriebspsychologische Sprechstunde

Im Gegensatz zur Ausübung eines Berufs geht es beim Jobben aus der Sicht des Jobbers ausschließlich ums Geld, wovon er im Sinne der Marktgesetze möglichst viel für möglichst wenig Einsatz haben will. Wer einen Job richtig gut machen möchte, arbeitet demnach gar nicht, bereichert sich so gut es geht am Betriebsinventar und vertreibt die drohende Langeweile mit einem guten Buch oder einer sinnvollen kurzweiligen Tätigkeit nach eigenem Belieben.

Meine ersten Jobs verband ich mit einer Art Feldforschung, die mir wichtige Erkenntnisse für mein späteres Arbeitsleben liefern sollte: Wie weit kann man gehen und wie lange braucht der jeweilige Chef, um zu merken, daß ich keinerlei längerfristige Perspektive für mich in der Firma sehe, und feuert mich? Die Firma Schneider-Kessel in Berlin-Marienfelde untersuchten wir zu dritt. Ich war der Fleißigste von uns. Nach ein paar Tagen sprach mich deshalb der Meister an: „Dein Kumpel hat die Arbeit ja auch nicht erfunden." „Wenn er die Arbeit erfunden hätte, wär' er nicht mein Kumpel." Die Antwort hat ihm gefallen. Trotzdem flogen meine beiden Freunde ein paar Tage später raus, als sie erst mittags völlig bekifft zur Arbeit erschienen.

Ich selbst hielt mich noch zwei Monate länger in der Firma. Dafür hatte ich einen gemütlichen Ort auf dem Betriebsgelände ausbaldowert, an dem ich den ganzen Tag verweilen konnte, ohne mit Arbeitsanweisungen belästigt zu werden. Anfangs ließ ich mir nur die Sonne auf den Bauch scheinen und las irgendwelchen Unsinn. Mit der Zeit bekamen meine Kollegen Wind von meinem Versteck und besuchten mich gelegentlich. Sie klagten über andere Kollegen und zu schlechte Bezahlung, erzählten mir den neuesten Klatsch und Tratsch oder daß von den Neueingestellten jemand fliegen sollte und sie Angst um ihren Arbeitplatz hätten. Ich hätte dort wohl noch bis heute Hof halten und meine Kollegen beruhigen können, wenn ich nicht eines Tages auffällig geworden wäre, indem ich den Meister fragte, ob ich nicht ausnahmsweise früher gehen könnte. Er hatte mich wohl lange nicht gesehen und deshalb vergessen, mich rauszuschmeißen.

Søren Jansen

 
 
 
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