Ausgabe 10 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

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Versuch eines Berichts über die freie Hörspielszene

Wie kann ich über eine Szene berichten, die es nicht gibt? Nicht gibt im Sinne einer Plattform, einer Ansprechperson, einer Vernetzung. Also nicht greifbar. Und die so heterogen ist, so vielfältig, wie sie nur sein kann. Das Spektrum reicht vom klassischen narrativen Hörspiel bis zu Soundstücken und Klangkunst.

Sehen wir uns als erstes die veränderten Produktionsmöglichkeiten und -bedingungen an. Der Einsatz von Computer und entsprechender Software hat diese entscheidend vereinfacht. Manche Hörspiele setzen sich spielerisch mit den Widrigkeiten sogenannter Wohnzimmerproduktionen wie lauten Nachbarn auseinander. Andere Hörspiele thematisieren die großen Schwierigkeiten bzw. die Unmöglichkeit, die Archive der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten für die eigene Recherche zu nutzen.

Da ich es dieses Jahr endlich geschafft habe, an einem Wettbewerb teilzunehmen, kann ich von meinen Produktionsbedingungen erzählen: Ich hatte das Glück, in Humphy einen Sprecher und Techniker in einer Person zu kennen. Nach zwei verworfenen Entwürfen habe ich am dritten Entwurf vier Tage gearbeitet, wir haben insgesamt fünf Stunden im Wohnzimmer aufgenommen. Computer, Software, Mischpult, ein gutes Mikrophon. Keine Musik oder andere Geräusche.

Kenne ich jemanden aus der freien Szene? Ja, Ingo Kottkamp aus unserer ehemaligen Hörspielhörgruppe. Er definiert sich als nicht ganz unbekannt. Geholfen haben ihm die Teilnahme an Wettbewerben und die Bekanntschaft mit Hermann Bohlen, unter anderem Gründungsvater des PLOPP-Wettbewerbs. Die glückliche Situation, daß ein Sender mit einem Auftrag an einen herantritt, komme selten vor. Manche Verträge beinhalteten die Abtretung aller Rechte.

Freies Radio als Plattform

Eine weitere Möglichkeit, etwas über die freie Hörspielszene zu erfahren, ist, ihre Öffentlichkeit zu untersuchen. Findet Öffentlichkeit außerhalb der öffentlich-rechtlichen Sender statt? Ja, im freien Radio, einmal in einem privaten Berliner Musiksender und zwei Mal in Mischformen. Querfunk, freies Radio aus Karlsruhe, verleiht dieses Jahr zum sechsten Mal den Karlsruher Hörspielpreis. Im Vorfeld der Prämierung am 27. Februar 2005 werden die aus 100 Einsendungen ausgewählten Hörstücke seit Ende Oktober in „Querfunk Kultur" vorgestellt.

Radio Corax, freies Radio im Raum Halle, verlieh dieses Jahr erstmals den Hörbert. Hörbert widmet sich vorrangig experimentellen Hörspielformaten. Die Einreichungen wurden im Rahmen einer Hörspielwoche Ende September präsentiert. Der Wettbewerb wird nächstes Jahr fortgesetzt. Eine Zusammenarbeit mit Karlsruhe ist angedacht.

Der Sender TwenFM mit dem Schwerpunkt Musik aus Berliner Clubs und Bars freut sich über Einsendungen bis zum 20. Januar 2005, nicht länger als 30 Minuten. Die Sendung ausgewählter Stükke ist für Februar geplant.

Hörspielsommer und Leipziger Buchmesse veranstalteten dieses Jahr einen Nachwuchswettbewerb mit dem Thema „Grenzerfahrung". Nächstes Jahr lautet das Thema „auf der Suche". Einsendeschluß ist der 31. Januar 2005. Auch beim Prix Europa gibt es seit 1979 einen Wettbewerb für Feature und Hörspiel.

Wie sieht es mit der Öffentlichkeit in den öffentlich-rechtlichen Sendern aus? Bei telefonischen Anfragen in den Hörspielabteilungen in Deutschland und Österreich stieß ich auf prinzipielles Interesse für Einsendungen von Eigenproduktionen. Meine Hauptfrage nach festen Sendeformaten und Sendeterminen für die freie Hörspielszene zeigte allerdings eine nüchterne Realität. Lediglich hr2 mit „The Artist Corner", samstags von 23.05 bis 24.00 Uhr, Deutschlandradio mit „Freispiel", Montag früh von 0.05 bis 1.00 Uhr und das „Kunstradio" aus Österreich mit „Ars acustica", sonntags von 23.05 bis 23.45 Uhr, haben feste Termine. In den anderen Sendern laufen Autoren-Produktionen manchmal im Anschluß an ein senderproduziertes Hörspiel oder gebündelt ein paarmal im Jahr. Die Ö1 Literatur- und Hörspielredaktion lobt erstmalig einen Wettbewerb für freiproduzierte Kurzhörspiele aus. Einsendeschluß ist der 21. Januar 2005.

Fünf Jahre PLOPP

Einen besonderen Stellenwert in der freien Hörspielszene hat(te) der PLOPP-Wettbewerb aufgrund seiner unmittelbaren Nähe, seiner Einbettung in die „Woche des Hörspiels" der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Akademie der Künste (AdK). PLOPP wurde 2000 von Hermann Naber und Hermann Bohlen als Forum für die freie Szene gegründet. Dieses Jahr soll die ARD massive Forderungen an ihre Geldzahlungen geknüpft haben, ein Presseinformationsdienst sprach von einem feindlichen Übernahmeversuch. Daraufhin entschied sich die AdK, die Woche des Hörspiels abzusagen. Ob die Woche des Hörspiels und der PLOPP nächstes Jahr wieder gemeinsam in der AdK stattfinden werden, ist derzeit offen.

Dieses Jahr also fand der PLOPP eigenständig am 13. November in der AdK statt. Die Gruppe LIGNA, entstanden im Umfeld des freien Radios in Hamburg, stellte dort ihren Ansatz vor. Ihr geht es um die Aneignung des Mediums Radio und darum, die Situation des Hörens zu verändern. In ihrem Radioballett, einer Übung in unnötigem Aufenthalt, setzen sie sich mit ­ durch die Hausordnung der Deutschen Bahn ­ klassifizierten erlaubten, zwielichtigen und verbotenen Gesten auseinander. Dazu treffen sich Hörer des Programms mit ihren Radios und Ohrhörern gemeinsam auf dem Bahnsteig, um den Anweisungen über Radio zu folgen. Die Macher setzen auf die Irritation der unbeteiligten Passanten, auf das sich daraus ergebende Gespräch.

Grundprinzip des PLOPP ist, daß eine Person aus allen Einsendungen zehn oder elf Stücke auswählt und diese dann öffentlich vorstellt. Das Publikum wählt aus dieser Vorauswahl mittels Stimmzettel den Gewinner. Auf der Podiumsdiskussion über Vergangenheit und Zukunft des Wettbewerbs war eine Distanz zwischen Podium und Publikum zu spüren. Während Antje Vowinckel, Walter Filz und Hermann Bohlen, alle drei jeweils Vorauswähler, sich in Abgrenzung und Anbiederung an die Öffentlichen übten, die in der Frage gipfelte, ob Redakteure dieser Anstalten anwesend seien, kam aus dem Publikum Kritik an den subjektiven Vorauswahlkriterien und mehrfach der Wunsch nach Vernetzung und Dokumentation auch der Stücke, die nicht in die Vorauswahl gekommen sind.

Herbert Piechot, der eine Datenbank für Hörspiele im Netz betreibt, hat Hermann Bohlen angeboten, alle 185 Einsendungen diesen Jahres in der Datenbank zu erfassen. Zusammen mit der Unterseite Wiki, die zum Erstellen eigener Texte und Ankündigungen aufruft, ist die Seite eine mögliche Plattform. Und das Deutschlandradio wird am 3. Januar 2005 im Freispieltermin, von 0.05 bis 1.00 Uhr, über den PLOPP berichten. Ein Satz noch zum Publikum beim Wettbewerb: Ich wünsche mir zumindest Toleranz sperrigen, schmerzenden Stükken, etwa dem Beitrag von Andreas Jakke, gegenüber. Keine dämlichen Kommentare und Unruhe.

Josef Pröll

Mein PLOPP-Beitrag, „Existenz und Geld 2005", der nicht in die Vorauswahl kam, berichtet in einem fiktiven Nachrichtendialog über die Details der Einführung von Existenzgeld zum 1. Januar 2005. Interessierte können sich gerne bei mir melden. Ebenfalls für Ergänzungen zu meinem Bericht. hoerjosef@arbeitsgrafik.com

www.querfunk.de/kultur/hoerspielpreis.html

www.hoerspielsommer.de/nachwuchs.shtml

www.prix-europa.de

Ö1 Kurzhörspielwettbewerb: www.hoerspiele.co.at/kurzhoerspiel.htm

Hörbert Info: radioworksost@aol.com

Julia Lazarus: lazarus@twenfm.org

ligna@fsk-hh.org

Herbert Piechot: www.hoerdat.de

hoerspiel.com listet die Hörspielverantwortlichen der öffentlich-rechtlichen Sender auf

 
 
 
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